WOLFSBURG (dpa-AFX) - Der weltgrößte Autobauer Volkswagen steht wie die gesamte Branche vor der schwierigen Aufgabe, einen nahezu weltumfassenden Stopp seiner Geschäfte zu bewältigen. An diesem Montag hat der Konzern weitere wichtige Werke wieder angefahren, allerdings zunächst noch mit angezogener Handbremse. Auch weil niemand weiß, wie schnell der Markt die neu gebauten Autos derzeit aufnimmt. Was bei den Wolfsburgern los ist, was die Analysten sagen und wie die Aktie zuletzt lief, bevor VW an diesem Mittwoch (29. April) detaillierte Zahlen zum ersten Quartal vorlegt.

WAS IN WOLFSBURG LOS IST:

Vor kurzem noch schien es das große Thema dieses Jahres zu sein: Schafft die Autoindustrie es, die schärferen CO2-Abgasgrenzwerte der Europäischen Union in diesem und dem nächsten Jahr einzuhalten? Müssen die deutschen Autobauer womöglich Milliarden nach Brüssel überweisen? Verzetteln sich die Autohersteller im Konflikt zwischen profitablen, spritschluckenden Stadtgeländewagen (SUVs) und der vorgeschriebenen Notwendigkeit, die Kohlendioxid-Emissionen drastisch zu drücken?

Die Sorge um die Kundenbeliebtheit von Elektroautos, Flottengrenzwerten und Ladeinfrastruktur ist zwar nicht weg - doch sie spielt mit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie lange nicht mehr die erste Geige. Plötzlich geht es in der Branche bei Herstellern und vor allem Zulieferern um die Existenz, weil die Werke wochenlang stillstehen und keine Autos bei Händlern gekauft werden können.

Volkswagen hat mit einem ersten Blick in die Bücher bereits durchblicken lassen, was das für die Geschäftszahlen bedeutet. Der Umsatz knickte im ersten Quartal um rund 5 Milliarden auf 55 Milliarden Euro ein, das operative Ergebnis lag nur noch bei rund 900 Millionen Euro. Vor einem Jahr hatte es noch bei 3,9 Milliarden Euro gelegen. Turbulenzen auf den Rohstoff- und Kapitalmärkten sorgten unter anderem wegen negativer Währungseinflüsse für Belastungen von rund 1,3 Milliarden Euro.

Ob unter dem Strich nach dem Abzug von Zinsen und Steuern noch ein Gewinn angefallen ist, blieb bisher offen. Auch die Prognose für das Gesamtjahr zog VW zurück - die Produktionspause in den wichtigen europäischen Werken hatte spürbar länger gedauert als zunächst gedacht.

Der April dürfte als ein nahezu verlorener Monat in die Bücher eingehen. Daher könnte sich womöglich auch erst im zweiten Quartal die ganze Malaise in Zahlenform fassen lassen, unter anderem auch deswegen, weil die zuerst lahmgelegten chinesischen Geschäfte im Umsatz und im operativen Ergebnis des Konzerns gar nicht auftauchen, sondern erst unter dem Strich mit dem anteiligen Gewinn.

Wie schnell die Autokäufer wieder in die Verkaufsräume strömen und angesichts der Konjunkturunsicherheit viel Geld für ein Auto auf den Tisch legen - das könnte auch vom Ausgang des Autogipfels am 5. Mai bei Kanzlerin Angela Merkel abhängen. VW, BMW und die Autolobby VDA haben sich bereits für kräftige Kaufanreize aus dem Staatssäckel ausgesprochen. Auch in China hofft der dortige Marktführer VW auf starke Konjunkturspritzen von der Regierung aus Peking.

Wie bei den anderen Branchenvertretern kommt es jetzt auch bei Volkswagen auf ganz elementare Dinge an: Wieviel Geld noch in der Kasse ist, wie schnell der Konzern Geld verbrennt, solange keine Autos gekauft werden, und auch ob die Zulieferer durchhalten. Die Kassenlage hat VW zur höchsten Priorität erhoben, zuletzt war im industriellen Geschäft - also ohne die Finanzdienstleistungen - Ende März noch ein Polster von 17,8 Milliarden Euro vorhanden. Über die ersten drei Monate verzeichnete VW netto einen Abfluss freier Mittel von 2,5 Milliarden Euro im laufenden Geschäft. Konzernchef Herbert Diess warnte, im Shutdown verliere VW pro Woche bis zu 2 Milliarden Euro an Liquidität.

WAS DIE ANALYSTEN SAGEN:

Aktuell geben die Analysten dem Konzern noch viel Vertrauensvorschuss - das kann aber auch am Kursverfall und der aktuell wieder sehr niedrigen Bewertung liegen. Neun im dpa-AFX-Analyser erfasste Experten haben sich zur VW-Vorzugsaktie nach der Bekanntgabe von vorläufigen Zahlen geäußert. Fünf von ihnen raten zum Kauf der Papiere, vier zum Halten.

Die Wolfsburger hätten seine Erwartungen erfüllt, schrieb Jose Asumendi von JPMorgan. Finanziell stehe der Konzern ebenfalls gut da und bleibe sein Branchenfavorit im insgesamt schwierigen ersten Halbjahr. Für George Galliers von Goldman Sachs schnitt VW beim operativen Ergebnis in einem schwierigen Umfeld zwar insgesamt enttäuschend ab. Allerdings hätten sich die Absicherungen für Währungseinflüsse und Rohstoffpreise im ersten Jahresviertel negativ niedergeschlagen - wenn man diese herausrechne, hätte VW beim Ertrag nicht so schlecht abgeschnitten.

Auch Henning Cosman von der HSBC wähnte operatives Ergebnis und den freien Barmittelzufluss als nicht allzu schlecht. Und dass die Jahresziele ad acta gelegt wurden, sei ohnehin nur eine Formalität gewesen. Für Patrick Hummel von der UBS war das Ergebnis besser als befürchtet.

WIE DIE VW-AKTIE ZULETZT LIEF:

Die Volkswagen-Vorzugsaktie hat seit Jahresanfang rund 30 Prozent eingebüßt. Seit dem Corona-Crash, der die Aktienmärkte am 24. Februar erstmals mit voller Wucht erfasst hat, hat das Papier rund 27 Prozent verloren - etwas weniger als Daimler, aber etwas mehr als die vorher schon schwächere BMW-Stammaktie. Im Tief rutschte der Kurs bei unter 80 Euro sogar deutlich unter das Dieselkrisentief von gut 86 Euro im Herbst 2015.

Bei aktuellen Kursen von etwas über 120 Euro haben die VW-Aktionäre nach der Erholung in ihrem Depot zwar wieder etwas mehr zu Buche stehen. Die mühsamen Zugewinne seit dem Ausbruch der Dieselaffäre um manipulierte Motorensoftware sind aber größtenteils mit der Corona-Krise wieder dahin. Immerhin steht VW trotz Kritik und trotz drohender Belastung des Kassenbestands noch zu der vorgeschlagenen Dividendenzahlung von 6,56 Euro je Vorzugspapier. Das schmälert die vorhandenen Finanzmittel in der Krise um 3,3 Milliarden Euro.

Volkswagen ist an der Börse derzeit rund 64 Milliarden Euro wert, zusammen mit Daimler (31 Mrd Euro) und BMW (33 Mrd) kommen die deutschen Autokonzerne auf 128 Milliarden Euro Marktkapitalisierung. Zum Vergleich: Der US-Elektroautopionier Tesla bringt es derzeit auf 147 Milliarden US-Dollar und mit umgerechnet 136 Milliarden Euro - und damit mehr als die drei großen deutschen Autobauer zusammen./men/kro/eas/he