Winterkorn - anders als Herr Dr. Diess, der erst seit Anfang Juli 2015 für Volkswagen tätig war - diesen Anhaltspunkten ab dem 27. Juli 2015 unverzüglich und mit höchster Priorität nachgehen müssen. Herr Professor Dr. Winterkorn war aufgrund seiner Zuständigkeiten für die Lösung der in der Besprechung nach dem 'Schadenstisch' diskutierten technischen Probleme primär verantwortlich. In der Zeit seiner Tätigkeit erlangte er ein umfangreiches und teilweise detailliertes Wissen über die besonderen Herausforderungen der technischen Entwicklung von Dieselmotoren für den Markt NAR. Für Herrn Professor Dr. Winterkorn war insbesondere erkennbar, dass ein nur wenige Monate zuvor durchgeführter Software-Fix die Emissionsprobleme nicht beseitigt hatte. Herr Professor Dr. Winterkorn durfte daher zu diesem Zeitpunkt nicht mehr darauf vertrauen, dass die zuständigen Volkswagen-Gremien und Mitarbeiter den Anhaltspunkten für möglicherweise rechtswidrige Funktionen in von Volkswagen entwickelten 2,0 l-Dieselmotoren der Typen EA 189 Gen 1 NAR und Gen 2 NAR mit der gebotenen Sorgfalt und Geschwindigkeit nachgehen sowie gegenüber den US-amerikanischen Behörden und Kunden pflichtgemäß kommunizieren würden.

Aufgrund der konkreten Anhaltspunkte für möglicherweise rechtswidrige Funktionen in von Volkswagen entwickelten Motoren sowie der Tatsache, dass diese Motoren nach Kenntnis von Herrn Professor Dr. Winterkorn auch in Fahrzeugen der Marke AUDI verbaut waren, wäre Herr Professor Dr. Winterkorn in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Aufsichtsrats von AUDI außerdem verpflichtet gewesen, den Vorstand von AUDI von seinen Erkenntnissen zu unterrichten und auf eine umfassende Aufklärung auch bei AUDI hinzuwirken. Da Herr Professor Dr. Winterkorn dies unterlassen hat, hat er nach den Feststellungen des Vorstands von AUDI seine aktienrechtlichen Pflichten auch als Vorsitzender des Aufsichtsrats von AUDI in fahrlässiger Weise verletzt.

Herr Prof. Dr. Winterkorn hat über die von ihm beauftragten Rechtsanwälte den Vorwurf einer Sorgfaltspflichtverletzung zurückgewiesen und die geltend gemachten Ansprüche bestritten.


2.             Herr Stadler 

Herr Stadler war von Januar 2003 an Mitglied des Vorstands von AUDI. Zunächst war er für das Ressort Finanzen zuständig. Zum 1. Januar 2007 übernahm er den Vorstandsvorsitz bei AUDI. Zum Geschäftsbereich des Vorstandsvorsitzenden gehörten die Zuständigkeiten für Recht (Zentraler Rechtsservice) und bis zum 31. August 2017 zudem der Bereich 'Compliance'. Zwischen 25. September 2015 und 31. Dezember 2015 war Herr Stadler darüber hinaus kommissarisch zuständig für den Geschäftsbereich Technische Entwicklung. Seit Januar 2010 und bis zur einvernehmlichen Beendigung aller Vorstandsämter bei Volkswagen und AUDI am 28. September 2018 war Herr Stadler Mitglied des Vorstands von Volkswagen und dort zuständig für den Geschäftsbereich 'Audi, Vorsitzender des Vorstands'.

Herr Stadler war weder an der Entwicklung und Verwendung unzulässiger Softwarefunktionen aktiv beteiligt, noch hatte er positive Kenntnis von einem solchen Rechtsverstoß. Zudem wurden keine Organisationspflichtverletzungen von Herrn Stadler festgestellt, die für die Dieselthematik mitursächlich waren.

Herr Stadler hat aber seine aktienrechtlichen Sorgfaltspflichten als Vorstandsmitglied von Volkswagen in fahrlässiger Weise verletzt, indem er es in der Zeit ab dem 21. September 2016 unterließ, unverzüglich auf eine zielgerichtete und systematische Untersuchung der von AUDI für die europäischen Märkte entwickelten 3,0 l V6 und 4,2 l V8 TDI-Motoren hinzuwirken, um feststellen zu lassen, ob die Emissionskontrollsysteme der betroffenen Fahrzeuge unzulässige Abschalteinrichtungen enthielten.

Am 21. September 2016 erhielt Herr Stadler mehrere Präsentationen, die AUDI-Mitarbeiter erstellt hatten. Eine der Präsentationen, die unmittelbar nach der Notice of Violation im September 2015 erstellt worden war, zeigt, dass bestimmte Datenstände der Motorsteuerungssoftware von AUDI-Mitarbeitern bereits zu diesem Zeitpunkt als vor der Behörde anzeigepflichtig eingestuft worden waren und eine weitere Analyse für notwendig gehalten wurde. Die betroffenen Funktionen wurden ausweislich der Präsentation nicht nur in den von AUDI für den Markt NAR entwickelten 3,0 l V6 TDI-Motoren, sondern auch in den Motoren verwendet, die AUDI ab 2005 parallel für den künftigen Einsatz in den europäischen Märkten entwickelt hatte.

Nach der Notice of Violation hatte der AUDI-Vorstand die Entwicklungsingenieure wiederholt aufgefordert, Transparenz zu schaffen und sämtliche Funktionen offenzulegen. Im Rahmen erster Untersuchungen der 3,0 l V6 TDI-Motoren für den Markt NAR wurden bis zum Juni 2016 weitere Softwarefunktionen entdeckt und gegenüber den US-amerikanischen Behörden offengelegt.

Nach der Notice of Violation vom 2. November 2015 stellte auch das KBA Untersuchungen zu den von AUDI entwickelten und hergestellten 3,0 l V6 und 4,2 l V8 TDI-Motoren für die europäischen Märkte an. Obwohl in dieser Zeit bei AUDI-internen stichprobenartigen Untersuchungen bereits Unregelmäßigkeiten festgestellt worden waren, berichteten die Entwicklungsingenieure gegenüber dem AUDI-Vorstand, dass die Motoren für die europäischen Märkte 'sauber' seien. In Gesprächen mit dem KBA legten AUDI-Mitarbeiter zwar bestimmte Elemente der Softwarefunktionen offen, verschwiegen aber sowohl gegenüber dem AUDI-Vorstand als auch gegenüber dem KBA kritische Parameter dieser Funktionen. Am 22. April 2016 veröffentlichte das BMVI den 'Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen', der anhand von Messungen zu AUDI-Fahrzeugen mit 3,0 l V6 TDI-Motoren mit Zulassungen nach den Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 feststellte, der in den USA erhobene Vorwurf zur Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen sei durch die unabhängige Überprüfung des KBA für bestimmte Fahrzeugtypen für die europäischen Märkte nicht bestätigt worden. Ab November 2016 wurden die Untersuchungen bei AUDI durch eine Task Force weitergeführt und ab Juli 2017 eine systematische Überprüfung der Software der Motoren für die europäischen Märkte vorgenommen. Bis Juli 2018 wurden daraufhin sämtliche relevanten Fahrzeugkonzepte mit 3,0 l V6 und 4,2 l V8 TDI-Motoren der Jahre 2008 bis 2018 geprüft und die Prüfungs- und Messergebnisse dem KBA vorgestellt.

Im Rahmen der von AUDI durchgeführten Untersuchungen der Motoren für die europäischen Märkte durfte Herr Stadler zunächst auf die Aussagen der Entwicklungsingenieure sowie die positive Rückmeldung des KBA, dass in der Software für die europäischen Märkte kein mit den Motoren für den Markt NAR vergleichbares Problem bestehe, vertrauen. Herr Stadler ist kein Ingenieur und war mit den technischen Einzelheiten der Abgasreinigung nicht vertraut. Aus der am 21. September 2016 vorgelegten Präsentation war aber erkennbar, dass Mitarbeiter im Unternehmen zuvor eine Einordnung der Funktionen für den Markt NAR und die europäischen Märkte vorgenommen hatten, die sich im Sommer 2016 für die bereits untersuchten Aggregate für den Markt NAR als zutreffend erwiesen hatten. Mit dem Vorwissen aus der intensiven Befassung des AUDI-Vorstands mit der Dieselthematik seit November 2015 und den Angaben in der von ihm am 21. September 2016 erhaltenen Präsentation hätte Herr Stadler erkennen können, dass für die Motoren für die europäischen Märkte weiterer Aufklärungsbedarf bestand und eine über die bisherigen Untersuchungen hinausgehende zielgerichtete und systematische Untersuchung der von AUDI entwickelten Dieselmotoren für die europäischen Märkte erforderlich war.

Herr Stadler hat den Vorwurf einer Sorgfaltspflichtverletzung zurückgewiesen und die geltend gemachten Ansprüche bestritten.


V.            Im Übrigen keine Schadensersatzansprüche von Volkswagen gegen Vorstandsmitglieder 

Nach den Ergebnissen der Untersuchung des Aufsichtsrats wurden keine Pflichtverletzungen anderer Vorstandsmitglieder von Volkswagen im Zusammenhang mit der Dieselthematik festgestellt.

Insbesondere hat kein Vorstandsmitglied kapitalmarkrechtliche Pflichten verletzt. Die erheblichen Kursverluste der VW-Aktie nach Veröffentlichung der Notice of Violation am 18. September 2015 waren darauf zurückzuführen, dass die US-amerikanischen Behörden ihre Vorwürfe während laufender Gespräche mit Volkswagen völlig unerwartet veröffentlicht haben. Mit der Veröffentlichung der Notice of Violation wurde nicht nur die Existenz einer unzulässigen Abschalteinrichtung öffentlich gemacht. Durch die Notice of Violation wurde insbesondere auch ein fundamentaler Kurswechsel der EPA in der Regulierung von Verstößen gegen den US Clean Air Act kommuniziert. Die EPA machte durch die Notice of Violation deutlich, konfrontativ und mit aller Schärfe gegen Volkswagen vorgehen zu wollen. Zudem bestätigte ein Mitarbeiter der EPA am 18. September 2015 auf Nachfrage von Journalisten ausdrücklich, dass gegen Volkswagen Strafzahlungen in einer Höhe von bis zu USD 18 Mrd. verhängt werden könnten. Entgegen der bisherigen Praxis der US-Behörden, nach der sich Strafzahlungen in vergleichbaren Fällen eher am unteren Rand des Strafrahmens bewegten - was im Fall von Volkswagen zu einer Strafe im unteren dreistelligen Millionenbereich geführt hätte -, stand damit erstmals im Raum, dass der maximale Strafrahmen ausgeschöpft werden könnte. Dieses Vorgehen der

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June 14, 2021 09:06 ET (13:06 GMT)