LEIPZIG (dpa-AFX) - Wenn die 22-jährige Sissor aus Bayern im Videoportal Twitch auftaucht, dann schalten Hunderte oder gar Tausende ihren Stream ein. Sie unterhält sich per Chat ein bisschen mit den Leuten. Vor allem aber spielt sie online "League of Legends". Und das auf einem solchen Niveau, dass sie eine regelrechte Fangemeinde hat.

Sissor gehöre zur nationalen Streaming-Elite, sagt der Sprecher der Leipziger DreamHack, Felix Wisotzki. Auch auf diesem eSports-Festival vom Freitag bis zum Sonntag dieser Woche (13. bis 15. Januar) wird sie dabei sein. eSports ist grob gesagt das professionelle Spielen von Online-Games wie "League of Legends" oder "Dota 2". Sissor, Studentin aus Bayern, ist Teil einer Bewegung, die eSports und Streaming zunehmend auch in Deutschland ins Rampenlicht rückt.

Auch die Fußball-Simulation Fifa wird als Wettbewerb gespielt. Auf der DreamHack wird es ein großes "Counter-Strike"-Turnier geben. Längst haben sich wie im "richtigen" Sport Profi-Ligen etabliert, bei Weltmeisterschaften geht es um Preisgelder in Millionenhöhe.

Auf Kanälen wie Twitch oder YouTube übertragen die Spieler ihre Games

- und verdienen damit Geld über Werbung und Sponsoring. Auch Sissor

finanziert sich über das Gamen, sagt sie.

"Mit dem Klischee des Computer-Nerds, der seine Nächte vor dem Rechner verbringt, hat eSports schon lange nichts mehr zu tun", sagt der Journalist und Radiomoderator Konstantin Winkler. Der 36-Jährige spielt und streamt selbst. Mit der Faszination des eSports und des Streamings sei es ähnlich wie bei anderen Sportarten auch. "Wenn ich im Verein Fußball spiele und in der Kreisliga kicke, dann schalte ich auch die Sportschau an und staune, was die Profis können. Wenn man selber spielt, kann man das wertschätzen", erläutert Winkler. Das sei die Motivation, anderen Menschen beim Computerspielen zuzuschauen.

Auch große Sportvereine sehen inzwischen ein Potenzial im eSport. Schalke 04 hat zum Beispiel 2016 eine eigene eSports-Abteilung gegründet. "Es ist für uns eine Sportart, wie es andere Sportarten auch sind. Und es ist ein extrem stark wachsender Markt", sagt der Leiter, Tim Reichert. Es gibt bei Schalke ein Fifa-Team auf Amateurbasis und ein professionelles "League of Legends"-Team. Dessen fünf Spieler samt Trainer und Teammanager sind wie die Fußballprofis bei Schalke angestellt. In einem eigens eingerichteten Gamingraum trainieren sie täglich in Vollzeit die "League of Legends"-Kniffe.

Eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte und des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) sagt eSports ein rasantes Wachstum voraus. 2016 seien damit in Deutschland 50 Millionen Euro umgesetzt worden, hauptsächlich über Werbung, Sponsoring und große Turniere. 2020 werde der Umsatz schon bei 130 Millionen liegen.

Gegen die knapp 2,4 Milliarden Euro der Fußball-Bundesliga ist das zwar wenig. "Jedoch ist eSports nicht mehr weit von den anderen etablierten Sportarten wie Handball, Basketball oder Eishockey entfernt", schreiben die Deloitte-Berater.

Groß geworden ist eSports im Internet, im frei empfangbaren Fernsehen wurde es in Deutschland bisher eher vereinzelt gezeigt. Entsprechend gilt für die Hauptzielgruppe die Definition: jung, männlich, internet-affin. Die Vermittlung des eSports in breitere Bevölkerungskreise sei eine Schwierigkeit, sagt Schalke-Manager Reichert. "Für die junge Generation ist es das Alltäglichste der Welt. Bei der älteren Generation gibt es da viele Fragezeichen."

eSports-Fachmann Winkler meint, eSports im Free-TV wäre gut für die gesellschaftliche Akzeptanz. "Man kann die Challenge dahinter zeigen. Computerspielen kann jeder, aber auf dem Niveau ist es eben etwas ganz anderes." Für das weitere Wachstum des eSports an sich sei das FreeTV dagegen wohl nicht zwingend nötig. Die Fans folgten ja bereits jetzt zu Tausenden den Streams. "Dem Free-TV schadet eSports nichts. Aber der eSport braucht das Fernsehen eher nicht."

Für die weitere Entwicklung der Szene fordert der Verband BIU zudem eine andere Antwort als die bisherige auf die Gretchen-Frage des eSports: "Ist das Sport oder nicht?" Bislang gilt ein kategorisches Nein. BIU-Geschäftsführer Maximilian Schenk sagt: "eSports ist Sport und gehört daher wie andere Sportarten auch als solcher anerkannt." Diese Forderung ist eine von zehn, die die Games-Branche zur Bundestagswahl 2017 aufgestellt hat.

Untersuchungen von Sportwissenschaftlern zeigten, dass kompetitive Spiele wie "League of Legends" oder "Counter-Strike" von eSports-Athleten ähnliche körperliche und psychische Leistungen erforderten, wie sie auch von Sportlern anderer Disziplinen verlangt werden, sagt Schenk. "Es geht um Körperbeherrschung, Reaktionsgeschwindigkeit und präzises Timing."

Und ohne ethische Werte wie Teamgeist und Fairplay gehe es im eSport auch nicht. Schalke-Manager Reichert, der früher Fußballer war, sagt: "Am Ende des Tages ist es ein Wettbewerb, wie es alle anderen Sportarten auch sind."/bz/DP/fbr

Unternehmen im Artikel: Vivendi, Electronic Arts Inc.