AURICH (dpa-AFX) - Die Windindustrie schlägt Alarm: Mit dem Abbau von 3000 Stellen beim Anlagenbauer Enercon muss die Branche den nächsten schweren Rückschlag einstecken. Auch bei Produktionspartnern, Zulieferern und Zeitarbeitsfirmen sei in der Folge mit Einschnitten zu rechnen, sagte der Chef der Enercon-Geschäftsleitung, Hans-Dieter Kettwig, am Freitag in Aurich. Zur Begründung verwies das Unternehmen auf die Energiepolitik der Bundesregierung, die zu einem Einbruch des Markts für Windenergie an Land geführt habe.

Dabei will die Bundesregierung die Erneuerbaren eigentlich fördern: Bis 2030 soll der Anteil von Ökostrom beim Stromverbrauch in Deutschland auf 65 Prozent steigen. In den ersten neun Monaten dieses Jahres waren es nach Zahlen der Energiewirtschaft rund 43 Prozent. Da 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht und bis 2038 mit dem Strom aus Kohle Schluss sein soll, drängt die Zeit.

Doch die Zeiten, in denen Deutschland der größte Markt für Windkraftanlagen in Europa war, sind vorbei. Jetzt herrscht Flaute in der Branche. Im ersten Halbjahr 2019 kam der Ausbau der Windkraft an Land fast zum Erliegen. Nur rund 150 Windräder wurden neu errichtet, rund 80 Prozent weniger als im Vorjahr.

"Die aktuelle Energie- und Klimapolitik gefährdet nicht nur über Jahre aufgebautes Know-how und Arbeitsplätze in unserer Branche, sondern auch den Klimaschutz und die Energiewende insgesamt", sagte Enercon-Manager Kettwig. "Nach Vorlage des Klimaschutzpakets der Bundesregierung wird klar, dass die Probleme für uns sogar noch größer werden."

Der Bundesverband Windenergie sprach angesichts des Stellenabbaus bei Enercon von einem "letzten Weckruf". Präsident Hermann Albers rief die Regierung auf, "das Wertschöpfungsnetzwerk Wind in Deutschland zu halten". Auch der Bezirksleiter der IG Metall Küste, Meinhard Geiken, warnte: "Es droht ein dramatischer Kahlschlag in der Windindustrie."

Bereits im vergangenen Jahr hatte Enercon angekündigt, sich stärker international auszurichten und in seinen deutschen Werken rund 800 Arbeitsplätze abzubauen. Am Freitag erhielten die Mitarbeiter an den verschiedenen Standorten die nächste Hiobsbotschaft.

Das Unternehmen beendet wegen des Markteinbruchs die Zusammenarbeit mit mehreren Produktionspartnern. Der Vergabestopp für Produktionsaufträge betreffe in erster Linie die Lieferung von Rotorblättern. Für die Blattwerke in Aurich und Magdeburg gebe es keine Aufträge mehr.

Enercon ist in der Misere nicht allein. Erst im April hatte Konkurrent Senvion Insolvenz angemeldet. Bei Nordex brach der Gewinn im ersten Halbjahr um mehr als die Hälfte ein. Als Hauptgründe für die Branchenkrise gelten lange Genehmigungsverfahren, zu wenig ausgewiesene Flächen und viele Klagen von Bürgerinitiativen. Allerdings sind auch die Unternehmen selbst für den Niedergang verantwortlich. Wer sich vor allem auf den Inlandsmarkt konzentriert und wenig Offshore-Anlagen im Angebot hat, bekommt Probleme.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte nach einem "Windkraftgipfel" Anfang September zwar ein Maßnahmenprogramm angekündigt, um den Ausbau zu beschleunigen - konkrete Ergebnisse gibt es bisher aber nicht. Um die Akzeptanz für die Windräder zu erhöhen, hat sich die schwarz-rote Koalition in Berlin in ihrem Klimaschutzprogramm zudem auf verschärfte Vorgaben verständigt: Bis zu einem Mindestabstand von 1000 Metern zu Wohngegenden sollen künftig keine neuen Windkraftanlagen errichtet werden. Die Windbranche sieht in dieser Abstandsregelung die Gefahr, dass der Ausbau weiter abgewürgt wird.

Der Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, Oliver Krischer, machte die Energiepolitik der Bundesregierung auch für den Stellenabbau bei Enercon verantwortlich. "Während weltweit die Windenergie boomt, bricht in Deutschland die Industrie zusammen", sagte Krischer. "Die Bundesregierung treibt nach der Photovoltaik gerade eine weitere Zukunftsbranche aus den Land."

Altmaier warf Krischer vor, mehr Arbeitsplätze bei der Erneuerbaren Energie vernichtet zu haben als es in Kohleindustrie überhaupt gebe. Und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) warnte, es gehe nun "um die Glaubwürdigkeit der Klimaschutzpolitik insgesamt"./cwe/DP/mis