BERLIN/HAMBURG (dpa-AFX) - Die deutsche Windbranche mahnt beim Ausbau der Windkraft in Nord- und Ostsee zur Eile. Nach der politisch verursachten Vollbremsung in den vergangenen beiden Jahren müssen aus Sicht der Hersteller und Betreiber von Windenergie Ausschreibungen, Planungs- und Genehmigungsverfahren für neue Anlagen nun umgehend forciert werden, "um weitere Zeitverluste zu vermeiden", hieß es am Donnerstag im gemeinsamen Jahresbericht mehrerer Branchenverbände. Angesichts der deutlich ehrgeizigeren Zielvorgaben der neuen Bundesregierung müsse es "darum gehen, alle Beschleunigungspotenziale zu heben, um einen wirtschaftlichen und klimaschutzgerechten Ausbau zu ermöglichen".

Die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP will erreichen, dass der Anteil der Erneuerbaren Energien am Stromverbrauch bis 2030 von derzeit rund 42 auf 80 Prozent steigt. Dazu wurden auch die Ausbauziele für die Windenergie auf See im Vergleich zur Vorgängerregierung deutlich erhöht. So soll die Erzeugungskapazität auf See bis 2030 statt auf 20 nun auf 30 Gigawatt (GW) steigen. Aktuell sind 1501 Anlagen mit einer Leistung von knapp 7,8 GW in Betrieb, 6,7 GW davon in der Nordsee, weitere 1,1 GW in der Ostsee. Seit der zweiten Jahreshälfte 2020 war der Ausbau der Windkraft auf See erstmals seit vielen Jahren komplett zum Erliegen gekommen - mit entsprechenden Folgen auch für die Beschäftigung in der Windindustrie.

Wind auf See ist neben Wind an Land und Solarenergie eine zentrale Säule beim Ausbau des Ökostroms. Damit die vor allem im Norden erzeugte Windkraft in große Verbrauchszentren im Süden kommt, müssen Tausende Kilometer neue Stromleitungen verlegt werden - der Netzausbau droht sich jedoch um Jahre zu verzögern. Der neue Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) will nun Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen. Das ist ein Baustein beim ehrgeizigen Programm Habecks, der beim Klimaschutz einen "drastischen Rückstand" sieht.

"Grundsätzlich bietet die Offshore-Windenergie ja eine unglaubliche Chance", sagte die Geschäftsführerin der Stiftung Offshore-Windenergie, Karina Würtz, stellvertretend für die Betreiber der Windkraftanlagen. "Das ist ein massiver Konjunkturmotor, der viele Milliarden Euro wert ist, aber durch fehlende oder falsche politische Entscheidungen und gesetzliche Rahmenbedingungen ist dieser Motor in den letzten Jahren abgewürgt worden."

In den kommenden Jahren dürfte der Zubau wieder an Fahrt gewinnen - allerdings bei weitem nicht in einem ausreichenden Maß. Nach Berechnungen der Deutschen Windguard, eines unabhängigen Beratungsunternehmens der Branche, ist bis 2030 eine zusätzliche Leistung von rund 4,1 GW absehbar, für die bereits Investitionsentscheidungen gefallen sind oder zumindest Zuschläge erteilt wurden.

Weitere 8,7 GW seien bereits im Flächenentwicklungsplan (FEP) vorgesehen, die verbleibende Lücke von 9,4 GW werde in der zum Jahresende gestarteten FEP-Fortschreibung berücksichtigt werden. Das gelte auch für den bis 2035 angepeilten weiteren Ausbau auf 40 GW. Allerdings sieht die Planung der neuen Regierung in Berlin bis 2045 mindestens 70 GW Leistung für die Windenergie auf See vor. "Dafür müssten noch in erheblichem Umfang weitere Flächen erschlossen und ausgewiesen werden", sagte Windguard-Expertin Anna-Kathrin Wallasch. Zusätzlich will die Regierung für die Produktion von Wasserstoff eine Elektrolysekapazität von 10 GW bis 2030 schaffen.

Die neuen Ausbauziele erfordern aus Branchensicht "eine umgehende Mobilisierung aller Kräfte in Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung auf Bundes- und Landesebene", wie Würtz sagte. Als Voraussetzung nannte sie neben dem Mehrbedarf an Flächen unter anderem einen massiven Ausbau der Stromnetze und der Infrastruktur in den Häfen. Außerdem müssten Planungs- und Genehmigungsprozesse beschleunigt werden, die im Vergleich zum reinen Bau derzeit etwa die dreifache Zeit beanspruchten.

Die Windbranche sorgt sich zudem um mögliche Zielkonflikte zwischen dem klimapolitisch erforderlichen Ausbau der Windenergie und dem Umweltschutz auf See. Umweltverbände kritisieren, der Naturschutz komme beim geplanten Ausbau der wirtschaftlichen Nutzung von Nord- und Ostsee zu kurz. Zwar seien Naturschutzinteressen legitim, sagte der Geschäftsführer der Sparte Power Systems im Maschinenbauverband VDMA, Dennis Rendschmidt. Wenn das Argument Naturschutz allerdings nur dazu vorgebracht werde, um Planungen zu blockieren, müsse dem "ein Riegel vorgeschoben" werden./kf/DP/jha