Die Ausstellung im Lentos widmet sich einer künstlerischen Bewegung, die in der Kunstgeschichte bisher zu wenig Beachtung fand. Erstmals in der Geschichte der Kunst schufen diese Künstlerinnen in verschiedenen Ländern ein neues 'Bild der Frau' aus weiblicher Perspektive. Für diese Bewegung prägte Gabriele Schor, Gründungsdirektorin der SAMMLUNG VERBUND, den Begriff "Feministische Avantgarde", mit der Absicht, dass diese kollektive Pionierleistung gebührend in die Kunstgeschichte aufgenommen wird.

In der Lentos Schau "Female Sensibility. Feministische Avantgarde aus der SAMMLUNG VERBUND" kann man sich auf drei neue Schwerpunkte einlassen. Afroamerikanische Künstlerinnen sind mehrfacher Diskriminierung im Sinne von Gender, Rassismus und sozialer Stellung ausgesetzt, die aktuelle Black Lives Matter-Bewegung verdeutlicht ihre prekäre Situation. Diese intersektionale Benachteiligung kommt in den Werken Afroamerikanischer Künstlerinnen eindrucksvoll zum Ausdruck. Neben Werke von Howardena Pindell, Lorraine O'Grady sind auch Arbeiten von Elizabeth Catlett zu sehen, sie zeigt wie Schwarze Mütter um ihre Kinder bangen, weil diese vermehrt auf den Straßen Gewalt ausgesetzt sind.

Kommunistische Systeme propagierten gesellschaftliche Gleichstellung von Mann und Frau. Dennoch vertraten Künstlerinnen wie Gabriele Stötzer trotz jahrelanger Stasi-Kontrollen in der ehemaligen DDR vehement ihre feministische Kunst. Erstaunlicherweise schuf sie, obwohl sie vom westlichen feministischen Diskurs getrennt war, ähnlich inszenierte Fotografien wie Künstlerinnen von "drüben". Stötzer presste etwa ihren nackten Körper gegen eine Glasscheibe oder bandagierte sich wie eine Mumie von Kopf bis Fuß, um das Gefühl des Eingeschränkt- Seins auszudrücken.

Überraschend ist, dass jahrelange Recherche Arbeiten von 17 österreichischen Künstlerinnen hervorbrachte, was sich ist im internationalen Vergleich als ein starkes feministisches Bekenntnis zeigt und verdeutlich, dass es nicht nur eine feministisch orientierte Kunst gibt. Die öffentlichen Performances von VALIE EXPORT, etwa ihr "Tapp- und Tastkino" von 1968 waren im Sinne des "aktionistischen Feminismus" starke und notwendige Provokationen. Weniger Beachtung fand, dass zeitgleich auch poetisch-performative Werke entstanden, z. B. von Renate Bertlmann, Linda Christanell, Birgit Jürgenssen, Karin Mack oder Friederike Pezold. Margot Pilz, deren Biographie kürzlich erschien, verarbeitet ihre Gesellschaftskritik soziologisch, Auguste Kronheim hingegen literarisch pointiert.

Vor dem Hintergrund der 68er-Studentenbewegung, der Bürgerrechts- und Antikriegsbewegung sowie der "sexuellen Revolution" formierte sich in westlichen Ländern eine zweite Frauenbewegung. Frauen erkannten, ihre sogenannten "privaten" Probleme sind nicht Natur gegeben, sondern entstehen aufgrund gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Sie lehnten sich gegen gesetzliche Diskriminierung auf, wonach der Mann das Familienoberhaupt war und allein entscheiden konnte, z.B. ob die Ehefrau außerhalb der Familie erwerbstätig ist, wo die Kinder in die Schule gehen oder ob sie ins Ausland fahren dürfen. Die Überzeugung wuchs: Das Private ist politisch!

Die Ausstellung im Lentos Kunstmuseum zeigt, dass sich die Künstlerinnen mit ähnlichen Themen beschäftigten. So ist die internationale Schau in fünf Bereiche gegliedert: das Aufbegehren gegen die eindimensionale Wahrnehmung nur "Mutter, Hausfrau und Ehefrau" zu sein, das daraus resultierende Gefühl "Eingesperrt-zu-Sein" und ausbrechen zu wollen, das Aufbegehren gegen das "Diktat der Schönheit" und die Konzentration auf den weiblichen Körper, das Ausloten, was "weibliche Sexualität" sein kann, schließlich der Entwurf mannigfaltiger weiblicher Identitäten mit "Rollenspielen". "Spannend ist zu beobachten, dass viele Künstlerinnen sich untereinander nicht kannten und dennoch ähnliche Bildstrategien schufen", erklärt Gabriele Schor, Kuratorin der Ausstellung und Leiterin der SAMMLUNG VERBUND.

Die Künstlerinnen wandten sich bewusst neuen, historisch unbelasteten Medien wie Fotografie, Film und Video zu und nutzten die Performance als künstlerisches Ausdrucksmittel. Oftmals war es der eigene Körper, der zum Material, zum Code oder Chiffre für die Kunst wurde. Humorvoll und ironisch, subtil und provozierend dekonstruierten sie die traditionelle Ikonographie des Weiblichen. "Dem Lentos ist es ein Anliegen, revolutionäre Ansätze feministischer Künstlerinnen einem breiten Publikum bekannt zu machen und den damit verbundenen politischen Forderungen Gewicht zu verleihen", bekundet Hemma Schmutz, künstlerische Direktorin des Lentos.

Da Künstlerinnen aufgrund ihres Geschlechts nicht ernst genommen wurden, begannen sie sich selbst zu organisieren. Sie demonstrierten vor Museen, die in Gruppenausstellungen keine Werke von Künstlerinnen aufnahmen, sie verfassten Manifeste, gründeten Zeitschriften, Kollektive und Galerien. 1972 gründeten Judy Chicago und Miriam Schapiro den feministischen Ausstellungort Womanhouse in Kalifornien und Mary Beth Edelson initiierte die erste große Frauenkonferenz in der bildenden Kunst in Washington. Zeitgleich wurde die Frauengruppe "Aktion Unabhängiger Frauen "(AUF) in Wien gegründet. 1975, im internationalen Jahr der Frau, entstand die New Yorker A.I.R. Gallery. Im selben Jahr kuratierte VALIE EXPORT die legendäre Ausstellung "MAGNA. Feminismus: Kunst und Kreativität" in der Galerie nächst St. Stephan. 1977 wird das Netzwerk "Internationale Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen" (IntAkt) in Wien gegründet, das bis heute existiert.

Seit der Schau "Women"(2017) im Wiener mumok, die ebenfalls in Kooperation mit der SAMMLUNG VERBUND umgesetzt wurde, hat sich die Anzahl der gezeigten Künstlerinnen nahezu verdoppelt. Das Lentos bietet nun die Möglichkeit erstmals Werke von allen 82 Künstlerinnen aus Lateinamerika, Nordamerika, Asien sowie aus West- und Osteuropa zu sehen. Neben prominenten Positionen können im Lentos auch weniger bekannte Künstlerinnen entdeckt werden.

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