Von Andrea Thomas

BERLIN (Dow Jones)--Die Bundesregierung will bei Gasimporteuren mit neuen Instrumenten einen möglichen Lehman-Brothers-Effekt verhindern. Zur Sicherung der Gasversorgung sollen deshalb Staatsbeteiligungen und Finanzspritzen bei Energieunternehmen der kritischen Infrastruktur ähnlich wie während der Corona-Pandemie ermöglicht werden, wie es aus Regierungskreisen hieß. Außerdem wird die Weitergabe von höheren Gaspreisen an Kunden klar geregelt. Das Bundeskabinett soll zügig eine entsprechende gesetzliche Änderung des Energiesicherungsgesetzes und des Energiewirtschaftsgesetzes beschließen. Diese sollen noch in dieser Woche vom Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.

Staatliche Finanzspritzen könnten etwa an den Versorger Uniper gehen. Der Gasimporteur hat bereits bestätigt, mit dem Bund wegen der Mehrkosten für den Gasankauf über Stabilisierungsmaßnahmen in Milliardenhöhe im Gespräch zu sein. Während der Corona-Pandemie war der Bund bei Lufthansa eingestiegen. Außerdem könnte sich der Bund an Gazprom Germania beteiligen, für das die Bundesnetzagentur seit April übergangsweise die Treuhänderschaft übernommen hat. Dem Bund sollen bei Unternehmen der kritischen Infrastruktur im Energiesektor Aktienanteile oder stille Einlagen möglich sein.

Mit der Ausweitung des Instrumentenkastens will die Bundesregierung in der Lage sein, im Notfall schnell auf eine sich zuspitzende Versorgungslage reagieren zu können. Am 11. Juli stehen Wartungsarbeiten an der Gaspipeline Nord Stream 1 an, durch die russisches Gas nach Deutschland fließt. Bereits vor Wochen wurde die Gasliefermenge um 60 Prozent auf 40 Prozent der maximalen Kapazitäten reduziert. Sollte der Zufluss ganz versiegen und nicht etwa durch zusätzliche Gaslieferungen über die ukrainische Pipeline oder durch den Ankauf von Flüssiggas ersetzt werden können, droht Deutschland ein schwieriger Herbst und Winter, in denen das Gas knapp ist.

"Alle Anpassungen dienen der Stärkung der Vorsorge, damit der Instrumentenkasten auch im Fall einer sich weiter zuspitzenden Lage am Energiemarkt gut gefüllt ist und die Bundesregierung handlungsfähig ist und alle notwendigen Maßnahmen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit ergreifen kann", hieß von Mitarbeitern der Bundesregierung, die nicht namentlich genannt werden wollten.


   Weitergabe von höheren Einkaufspreisen von Gas 

Die Vorhaben sehen zudem eine Änderung des Paragrafen 24 des Energiesicherungsgesetzes vor, damit die Weitergabe von höheren Gaspreisen zweifelsfrei in Verträgen möglich ist. Voraussetzung für Preisanpassungen ist demnach die Feststellung einer "erheblichen Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland durch die Bundesnetzagentur". Außerdem werde es keinen Automatismus zwischen der Ausrufung der Alarm- oder Notfallstufe durch die Bundesnetzagentur gemäß dem Notfallplan Gas und der Aktivierung der gesetzlichen Preisanpassungsrechte geben.

Zudem ist im Energiesicherungsgesetz ein neuer Paragraf 26 vorgesehen, in dem nach Angaben aus Regierungskreisen ein sogenanntes saldiertes Preisanpassungsrecht vorgesehen ist. Dabei handele es sich um einen Mechanismus, bei dem die Mehrkosten einer Ersatzbeschaffung infolge von verminderten Gasimporten gleichmäßig auf alle Gaskunden verteilt werden können. Dieses Umlageverfahren wird damit ermöglicht, aber es soll erst auf Anordnung scharf gestellt werden.

Außerdem werden im Paragraf 29 des Energiesicherungsgesetzes zeitlich befristet gesellschaftsrechtliche Erleichterungen eingeführt, die dem Bund die Durchführung von Stabilisierungsmaßnahmen bei Unternehmen der kritischen Infrastruktur im Energiesektor erleichtern. Dieses Instrument ist an enge Voraussetzungen geknüpft und soll erst im Falle weiter steigender Gaspreise und einer Zuspitzung der Lage genutzt werden. Dabei werden diese Stabilisierungsmaßnahmen vorrangig zu den Optionen des Umlageverfahrens nach Paragraf 26 und des saldierten Preisanpassungsverfahrens nach Paragraf 24 zu prüfen sein.


   Kettenreaktion verhindern 

Mit den Maßnahmen will die Bundesregierung Kettenreaktionen verhindern. Denn bei verminderten Gasimporten steigt das Risiko, dass Gas am Markt deutlicher teurer wird und Energieunternehmen die hohen Preise nicht mehr zahlen oder ihre Verträge nicht mehr erfüllen können.

"Brechen aber die Energieunternehmen weg, so drohen ernste Störungen im gesamten Markt entlang der Lieferkette bis hin zum Letztverbraucher. Um das zu vermeiden, werden Preisanpassungsregeln und saldierte Preisanpassungsmechanismen ausnahmsweise, zeitlich befristet und unter engen Voraussetzungen zulässig", hieß es aus der Regierung.

Die Regelungen sehen weiterhin vor, dass künftig Verordnungsermächtigungen bereits vor Eintritt eines Krisenfalls und der Bundeslastenverteilung möglich sein sollen. Sie sollen Maßnahmen zur Energieeinsparung wie etwa der geringeren Raumtemperatur im Winter, Maßnahmen bei schienengebundenen Transporten von Energieträgern bzw. Großtransformatoren und Erleichterungen beim Umweltrecht, insbesondere beim Immissionsschutzrecht für Anlagenbetreiber ermöglichen.

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July 04, 2022 15:46 ET (19:46 GMT)