Die Klimadebatte bestimmt die Schlagzeilen. Warum verdient das Thema Biodiversität mindestens genauso viel Aufmerksamkeit?

Frauke Fischer: Der Klimawandel wird massiv die Art und Weise beeinflussen, wie wir leben, je nachdem, wo man auf der Welt Zuhause ist. Biodiversität und Ökosystemleistung bilden hingegen die Grundlage unserer Existenz. Und das hat nochmal eine ganz andere Dimension. Man könnte es deshalb etwas provokant auf den Punkt bringen: Bei der Klimakrise geht es darum, wie wir in Zukunft leben. Beim Verlust von Biodiversität geht es darum, ob wir überhaupt noch leben.

Was sind die wichtigsten Aspekte, die der Mensch in Zusammenhang mit Biodiversität verstehen sollte?

Menschen sollten verstehen, wie stark wir von Biodiversität und Ökosystemleistung abhängen. Auch im Hinblick auf den Umgang mit dem Klimawandel. Denn naturbedingte Lösungen sind die effizientesten, effektivsten und billigsten, die einzig erprobten und die ohne Nebenwirkungen. Das ist das zentrale Thema, von dem alles abhängt. Die gute Nachricht ist, dass ich immer mehr das Gefühl habe, dass die Menschen und auch die Unternehmen sich immer mehr damit beschäftigen.

Beim Klimawandel gibt es einfache Zusammenhänge: Ich nutze Energie, dabei entsteht CO2. CO2 ist ein Treibhausgas und das trägt zum Klimawandel bei. Man kann CO2 messen und ihm durch Zertifikate auch einen Preis geben. Bei Biodiversität ist das nicht so. Da gibt es keinen Preis oder eine Währung. Die meisten Leute denken, Biodiversität sei ein Synonym für Artenvielfalt. Aber wir haben genetische Vielfalt, Artenvielfalt und eine Vielfalt von Ökosystemen.

Die promovierte Biologin Frauke Fischer gründete 2003 die Agentur »auf!«, die Unternehmen bei ihrem Engagement für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und den Erhalt von Biodiversität berät. Sie ist Mitautorin des Buchs »Planet 3.0 - Klima.Leben.Zukunft.«, im oekom verlag erschienen von ihr »Der Palmöl-Kompass« und »Was hat die Mücke je für uns getan?«.

Für dieses Buch über den Wert der biologischen Vielfalt wurden die Autorinnen Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg von der Deutschen Umwelthilfe mit dem UmweltMedienpreis 2021 ausgezeichnet.

Foto: Frauke Fischer

Wie könnte man klüger handeln?

Das Dumme ist, dass die Effekte unseres Handelns beim Klimawandel nicht unbedingt gleich sichtbar werden und auch nicht unbedingt am selben Ort auftreten müssen, an dem der Verursacher ist. Wir haben jetzt einen superheißen Sommer und die Leute denken sofort an den Klimawandel. Wenn aber der Kirschpreis steigt, weil wir zu wenig Bestäuber von Kirschen haben, dann merkt das am Ende auch jeder, aber der Zusammenhang, dass das mit dem Verlust von Biodiversität zu tun hat, ist nicht so leicht erkennbar. Klüger handeln würde bedeuten, den Ressourcenverbrauch zu limitieren, also weniger Dinge zu kaufen. Und dann nur solche, die hochwertig und auch langlebig sind. Ein Beispiel aus meiner Schulzeit: Ich habe mir damals immer diese Swatch-Uhren gekauft. Hätte ich mir aber eine hochwertige Uhr gekauft und dafür einmal mehr Geld ausgegeben, dann hätte ich heute sicher noch eine Uhr. So habe ich über die Jahre wahrscheinlich genauso viel Geld ausgeben, aber mit einem deutlich größeren Ressourcenverbrauch.

Was genau versteht man unter Ökosystemleistung?

Es gibt vier große Gruppen: Erstens die Versorgungsleistung, also Dinge, die wir direkt aus der Natur entnehmen. Zum Beispiel Trinkwasser, Fische oder Holz. Die zweite Gruppe sind Regulierungsleistungen wie die des Klimas oder der Schutz vor Erosion. Dann gibt es drei Basisleistungen, das sind die Bereitstellung von Photosynthese und fruchtbarer Böden sowie die Aufrechterhaltung globaler Nährstoffkreisläufe. Und die vierte Gruppe sind kulturelle Leistungen wie Ästhetik der Natur, indem sie uns durch ihre Schönheit und Spiritualität dabei hilft, gesund zu bleiben oder es wieder zu werden.

Was ist das Besondere an Ökosystemleistungen?

Alle Ökosystemleistungen sind kostenlos, werden per Definition von der Natur nur für uns Menschen hergestellt. Manche können wir technisch ersetzen, wie das Filtern von Wasser, das aber sehr viel teurer ist, als wenn es die Natur für uns übernimmt. Oder nehmen wir die Bestäubung von Blüten: Ein Mensch kann mit der Hand in etwa 10.000 Blüten am Tag bestäuben, ein Bienenvolk bis zu 300 Millionen. Und dann gibt es Dinge, die wir nicht ersetzen können, wie zum Beispiel das Generieren von fruchtbaren Böden und davon hängt ja weltweit fast die gesamte Ernährung ab. Momentan verlieren wir jährlich pro Person ca. dreieinhalb Tonnen fruchtbaren Boden. Daran sieht man, wenn wir den Verlust von Biodiversität und Ökosystemleistung nicht in den Griff bekommen, dann ist der Klimawandel völlig egal. Ob es ein bisschen wärmer oder kälter ist, ist dann irrelevant.

Foto: oekom

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, gemeinsam mit Ihrer Co-Autorin Hilke Oberhansberg, ein Buch über Biodiversität und eine Mücke zu schreiben?

Wir kannten uns und waren beide der Ansicht, dass man so ein Buch mal schreiben müsste, weil es so eines noch nicht gab. Wenn ein Laie wissen wollte, warum Biodiversität für ihn als Person überhaupt wichtig ist, dann musste er sich das aus irgendwelchen wissenschaftlichen Publikationen oder von Seiten der Umweltorganisationen zusammensuchen. Und wir haben uns beim Schreiben super ergänzt. Ich als Biologin tendiere natürlich dazu, zu viel vorauszusetzen. Hilke war da ein guter Sparringspartner und wollte vieles genauer erklärt bekommen. Wir haben das offensichtlich so gut und motivierend erklärt, dass wir dafür den Umwelt-Medienpreis 2021 erhalten haben, was uns sehr freut.

Um auf ihren Buchtitel zurückzukommen: "Was hat die Mücke denn je für uns getan?" Außer manch einen zu piesacken und um den Schlaf zu bringen?

Auch Mücken, die uns piesacken und uns um den Schlaf bringen, stehen am Anfang einer langen Nahrungskette. Ohne Mücken gäbe es beispielsweise keine Singvögel mehr. Man würde also unten einen großen Stein rausziehen und das ganz Gebilde käme zum Einsturz und würde kollabieren. Im Fall der Mücke ist das Interessante, dass zum Beispiel Kakaoblüten nur von zwei Arten Bartmücken bestäubt werden. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass es ohne diese Mücke keine Schokolade gäbe. Und das ist sicherlich für viele Menschen ein ganz wichtiges Argument.

Von: Stefan Jablonka
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UmweltBank AG published this content on 21 September 2022 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 21 September 2022 07:09:04 UTC.