Das Bruttoinlandsprodukt des gesamten Währungsraums werde in diesem und im nächsten Jahr um jeweils 1,2 Prozent zulegen, sagte die Brüsseler Behörde am Donnerstag voraus. Schlusslicht dürfte demnach Italien mit einem mageren Wachstum von 0,3 Prozent im laufenden und 0,6 Prozent im kommenden Jahr sein. Deutschland wird demnach mit jeweils 1,1 Prozent in den Jahren 2020 und 2021 voraussichtlich knapp unter dem EU-Durchschnitt landen. Laut EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Paolo Gentiloni fußen die Prognosen allerdings auf dem Szenario, dass der Coronavirus-Ausbruch in China im ersten Quartal seinen Höhepunkt erreicht und die globalen Folgen begrenzt bleiben: "Doch das ist eine Annahme und keine Prognose", betonte der Italiener.

Die Viruskrise in China schürt im Ausland die Angst vor einer Ausbreitung und trübt vielerorts auch die Konjunkturaussichten ein. Doch Experten stochern im Nebel, wie heftig die Verwerfungen tatsächlich ausfallen. Wegen der wichtigen Rolle Chinas in der Weltwirtschaft werde die Krise auf jeden Fall negative Auswirkungen haben, betonte Gentiloni. Doch sei es "noch zu früh", das Ausmaß abzuschätzen. Die Sars-Epidemie von 2003 könne nicht zum Vergleich herangezogen werden. Gentiloni verwies darauf, dass China seinerzeit nur 4,5 Prozent zur Weltwirtschaftsleistung beigetragen habe. Aktuell seien es 17,7 Prozent. Und auf die Einwohner in der Volksrepublik entfielen beispielsweise 18 Prozent der weltweiten Reiseausgaben. "Sie können sich vorstellen, welche Auswirkungen es haben wird, wenn sich der Ausbruch noch länger hinzieht", warnte der italienische Ex-Ministerpräsident.

Sein Heimatland sieht Gentiloni trotz dessen Nachzügler-Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung auf einem gutem Weg, auf dem "das Wachstum allmählich an Fahrt gewinnen" wird. Insgesamt laste auf den Konjunkturaussichten der Euro-Zone weiterhin die Unklarheit über die künftigen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Ex-EU-Mitglied Großbritannien. Auch der weitere Verlauf der von US-Präsident Donald Trump angefachten Zollkonflikte stehe in den Sternen. Sie könnten trotz der jüngsten Entspannung wieder aufflammen, und auch neue Handelshürden seien nicht ausgeschlossen, warnte Gentiloni. Beim Weltwirtschaftsforum im Schweizer Skiort Davos drohte Trump der Europäischen Union jüngst mit höheren Zöllen auf Autos - konkret 25 Prozent.

DEUTSCHLAND SOLL HAUSHALTSSPIELRAUM NUTZEN

Für Deutschland sieht die EU-Kommission vorerst weiter eingetrübte Aussichten für die einst erfolgsverwöhnten Exporteure. Doch würden der boomende Servicesektor und der Bau weiter für Schwung sorgen. Die Ökonomen der Deutschen Bank halten allerdings wegen der rasanten Ausbreitung des Coronavirus in China hierzulande eine Rezession für möglich.

Gentiloni sagte, dass in Deutschland auch "einige" wachstumsfördernde Effekte durch die Fiskalpolitik zu erwarten seien. Der Bundestag hatte im November beschlossen, dass der Solidaritätszuschlag von 5,5 Prozent in der Einkommens- und Körperschaftsteuer ab Anfang 2021 für 90 Prozent der Steuerzahler wegfällt. Die Teil-Abschaffung könnte jedoch um ein halbes Jahr auf den 1. Juli vorgezogen werden, wie der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Carsten Schneider, jüngst vorschlug. Gentiloni bekräftigte die Forderung der EU-Kommission, dass Länder mit fiskalpolitischem Spielraum diesen auch zur Förderung des Wachstums nutzen sollten. Es gehe dabei um einen "expansiveren" Kurs.