ESSEN (dpa-AFX) - Der kriselnde Stahl- und Industriekonzern Thyssenkrupp treibt seine Sanierung voran und kann inzwischen die ersten Früchte ernten. Luft verschafft den Essenern nach dem Corona-Tief 2020 auch die wirtschaftliche Erholung. Den Hauptpunkt auf der Liste muss Konzernchefin Martina Merz aber noch abarbeiten: Eine Lösung für das schwankungsanfällige Stahlgeschäft zu finden und den Bereich fit für die Zukunft zu machen. Was bei Thyssenkrupp los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI THYSSENKRUPP:

Gute Nachrichten bei Thyssenkrupp waren in den vergangenen Jahren rar. In diesem Jahr konnte das Unternehmen hingegen gleich mehrfach positiv überraschen. So erhöhte der Konzern im Mai bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr die Prognose für das laufende Geschäftsjahr 2020/21 (per Ende September). Die Konjunkturerholung in vielen Bereichen sowie höhere Stahlpreise spielen Thyssenkrupp in die Hände. Operativ will der Konzern wieder in die schwarzen Zahlen zurückkehren. Daran war noch zu Jahresbeginn nicht zu denken, nachdem der Konzern im vergangenen Jahr Milliardenverluste angehäuft hatte.

Doch die Erholung in der Stahl- und der Automobilindustrie sowie gute Geschäfte mit Industriekomponenten brachten zuletzt Schwung. Daneben profitiert Thyssenkrupp auch von seinem Sanierungsprogramm, welches sich langsam auszuzahlen beginnt. Allerdings ist der Konzern noch nicht am Ziel. Und so warnt Konzernchefin Merz auch vor zu viel Euphorie. "Ausruhen" dürfe man sich nicht. Es liege "noch viel Arbeit vor uns", sagte die Managerin zur Vorlage der jüngsten Quartalszahlen. Die Neuausrichtung bleibe "ein Weg der vielen kleinen Schritte".

Die Essener wollen sich in Zukunft vor allem auf das Geschäft mit Industrie- und Autokomponenten sowie den Stahlhandel konzentrieren. Dazu kommen weitere Bereiche wie etwa der Schiffbau. Unrentable oder zu kleine Segmente stehen vor einem Verkauf oder werden geschlossen, wie etwa das Geschäft mit Grobblech. Der Plan sieht auch den Abbau von tausenden Stellen vor.

Potenzial sieht Thyssenkrupp auch im derzeit heiß diskutierten Wasserstoffbereich. Ein angepeilter Verkauf des Chemieanlagenbaus wurde daher gestoppt. Zuletzt konnte das Unternehmen beim derzeitigen Trendthema Nummer 1 punkten: So zog der Konzern mehrere Aufträge für den Bau von Elektrolyseanlagen an Land.

Ziel ist dabei die Schaffung klimaneutraler Energie, die auch bei der Stahlherstellung eine größere Rolle spielen soll. Um klimaschädliche Treibhausgase zu reduzieren, wetteifern die Produzenten um Ideen für eine CO2-neutrale Stahlerzeugung. Hierbei gilt Wasserstoff derzeit als der Renner. Doch der Umbau erfordert hohe Investitionen - Kosten, die die Stahlhersteller nicht alleine stemmen wollen. Deswegen fordern sie Unterstützung vom Staat.

Abseits dessen strebt Thyssenkrupp mittelfristig weiter eine Trennung vom Stahlgeschäft an, welches stark schwankt und sehr kapitalintensiv ist. Nachdem ein Verkauf an den Konkurrenten Liberty Steel zuletzt an zu unterschiedlichen Vorstellungen sowohl preislicher als auch strategischer Art scheiterte, strebt das Management nun "perspektivisch" eine Abspaltung an. In diesem Jahr wird dies jedoch nicht mehr über die Bühne gehen.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Branchenexperten waren für Thyssenkrupp zuletzt wieder versöhnlicher gestimmt. Eine Reihe von im dpa-AFX Analyser vertretenen Analysten hatte zuletzt die Aktie zum Kauf empfohlen. Die Zahlen zum zweiten Quartal sowie die Prognoseerhöhungen waren dabei gut angekommen. Der Industriekonzern habe solide abgeschnitten und befinde sich auf Kurs, notierte etwa Deutsche-Bank-Analyst Bastian Synagowitz. Er ruft mit 17 Euro eines der höchsten Kursziele für die Aktie auf.

Christian Obst von der Baader Bank hält die jüngsten Resultate für einen weiteren Schritt heraus aus dem Tal. Die Bilanz bleibe solide und biete die erforderliche Unterstützung für den laufenden Umbauprozess. Die spätzyklische Aufholjagd und auch die Umstrukturierungen seien intakt, hieß es auch von Credit-Suisse-Experte Carsten Riek. Er geht von einer weiteren Erholung aus.

Im Wasserstoffgeschäft sehen die Analysten dabei große Möglichkeiten. So etwa Deutsche-Bank-Experte Synagowitz. Der Markt habe erst angefangen, den Wert dieses Bereichs zu verstehen, schrieb er kürzlich in einer Studie und bescheinigte dem Bereich von Thyssenkrupp ein hohes Wachstumspotenzial.

Sorgenkind bleibt jedoch der weiter hohe Mittelabfluss. Dieser wird von den Marktexperten schon länger kritisiert. Auch im zweiten Quartal sei die Entwicklung enttäuschend gewesen, was die besser als erwartet ausgefallenen operativen Zahlen überschattet habe, so Jefferies-Analyst Alan Spence. So rechnet Thyssenlkrupp auch in diesem Jahr wieder mit einem Kapitalabfluss von rund einer Milliarde Euro - immerhin deutlich weniger als die 5,5 Milliarden ein Jahr zuvor.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die in den vergangenen Jahren schwer gebeutelte Aktie hat in diesem Jahr zu einer Erholung angesetzt. Hatte das Papier im Oktober 2020 zeitweise noch weniger als vier Euro gekostet, setzte es danach zu einem Höhenflug an. Schrittweise war der Kurs bis März in Richtung der Zwölf-Euro-Marke gestiegen und damit an das Niveau von Januar 2020 herangerückt.

Danach war jedoch die Luft raus. Anleger agierten wieder vorsichtiger und nahmen Gewinne mit. Derzeit notiert die Aktie wieder unter zehn Euro. Damit kommt Thyssenkrupp auf eine Marktkapitalisierung von rund sechs Milliarden Euro. Die Bilanz in den vergangenen drei Monaten ist mit Kursverlusten von rund 15 Prozent wieder negativ. Im laufenden Jahr hat die Aktie jedoch insgesamt fast 17 Prozent dazugewonnen, in den vergangenen zwölf Monaten sogar über 80 Prozent.

Dies kann jedoch nicht über die insgesamt schwache Entwicklung der vergangenen Jahre hinwegtäuschen, in denen das Papier massiv unter Druck stand. So kommt die Aktie in den letzten drei Jahren auf ein Minus von mehr als 55 Prozent. Die Fünf-Jahres-Bilanz ist kaum besser. Von alten Höchstständen mit Kursen von fast 27 Euro aus dem Sommer 2017 ist Thyssenkrupp weit entfernt. Von Werten von mehr als 45 Euro aus Zeiten vor der Finanzkrise, die den Abstieg von Thyssenkrupp einläutete, ist schon lange keine Rede mehr./nas/tav/jha/