ESSEN (dpa-AFX) - Die abgesagte Stahlfusion von Thyssenkrupp mit dem indischen Konkurrenten Tata hätte nach Einschätzung des Wirtschaftsforschers Roland Döhrn keinen kurzfristigen Abbau der Überkapazitäten in Europa gebracht. Die dafür notwendige "Schließungen von Stahlwerken sind nur schwer durchzusetzen", sagte der Stahlexperte des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung der Deutschen Presse-Agentur. Stilllegungen wären "durch die Zusagen, die im Zusammenhang mit der Fusion von Thyssenkrupp und Tata gemacht wurden, zunächst schwieriger geworden".

Döhrn verwies in diesem Zusammenhang auf das Stahlwerk von Tata in Port Talbot in Großbritannien. "Um die Bilanz der britischen Sparte von Tata zu entlasten, hat der britische Staat in erheblichem Umfang Pensionsverpflichtungen übernommen", sagte er. Deshalb wäre es wenig wahrscheinlich gewesen, dass das Stahlwerk "in absehbarer Zeit geschlossen wird, obwohl es als das am wenigsten effiziente Werk von Thyssenkrupp und Tata gilt". In Deutschland hatte Thyssenkrupp mit der IG Metall langfristigen Standortgarantien vereinbart. Auf längere Sicht könnten Werksschließungen aber nicht verhindert werden, sagte Döhrn.

Thyssenkrupp hatte am Freitag mitgeteilt, dass das geplante Gemeinschaftsunternehmen mit Tata "am Widerstand der Europäischen Kommission gescheitert" sei. Die von Thyssenkrupp und Tata angebotenen Zugeständnisse hätten der Wettbewerbshütern nicht ausgereicht. Thyssenkrupp hat deshalb auch die geplante Aufspaltung des Konzerns in zwei eigenständige Unternehmen abgesagt. Der Essener Konzern will jetzt 6000 Stellen streichen, 4000 mehr als bisher geplant.

"Verschlechtert hätte sich durch die Fusion vor allem die Position der Stahlverbraucher, weil ein großer Lieferant verschwunden wäre", sagte Döhrn. Möglicherweise habe die EU-Kommission bei ihren Prüfungen vor allem auf diesen Punkt geachtet. Auch bei der Beschaffung der Rohstoffe "hätte ein fusioniertes Unternehmen eine größere Marktmacht gegenüber den Lieferanten gehabt".

Thyssenkrupp-Chef Kerkhoff hatte betont, die Stahlfusion wäre wegen der Überkapazitäten und wegen des hohen Importdrucks aus Asien keine Bedrohung des Wettbewerbs gewesen. "Die europäische Stahlindustrie braucht Konsolidierung", hatte Kerkhoff gesagt. Davon sei er nach wie vor überzeugt./hff/DP/zb