Von Dan Gallagher

NEW YORK (Dow Jones)--Disney plant den ultimativen Test für das Streamen zu Hause als Alternative zum Kinobesuch. Anfang dieser Woche kündigte der Entertainment-Riese eine überraschende Änderung seiner Pläne für den Spionage-Thriller "Black Widow" an. Das mit Spannung erwartete nächste Kapitel im Marvel Cinematic Universe sollte eigentlich am 7. Mai in die Kinos kommen - ein Jahr nach dem ursprünglich geplanten Datum, das durch die globale Pandemie hinfällig wurde.

Nun hat Disney das Debüt um zwei Monate auf den 9. Juli verschoben und eine weitere Wendung in die Abfolge eingebaut: "Black Widow" wird am selben Tag im Rahmen des Premiere Access-Plans, der den Abonnenten zusätzliche 30 US-Dollar für das Ansehen des Programms in Rechnung stellt, auch für seinen Disney+ -Streaming-Service verfügbar sein.

Noch hat Disney diesen Schritt nicht öffentlich begründet, doch wird vermutet, dass Sorgen um den Zustand des Kinomarktes im Mai ursächlich waren. Etwas mehr als die Hälfte der nordamerikanischen Filmtheater war nach Angaben von Comscore bis Mitte März wiedereröffnet worden. Die Zahl wird deutlich steigen, wenn die Cineworld Group am 2. April mit der Wiedereröffnung ihrer Regal-Cinemas nachzieht. Aber selbst jene Kinos, die wieder offen sind, arbeiten überwiegend bei stark reduzierten Kapazitäten. Der Analyst Michael Pachter von Wedbush ist überzeugt, dass die Kapazitätsbeschränkungen vor dem vierten Quartal dieses Jahres wahrscheinlich nicht vollständig aufgehoben werden.


   Die Film-Pipeline ist gut gefüllt 

Dabei wartet gerade eine Fülle aufwändiger Produktionen darauf, endlich auf der Leinwand zu erscheinen. Comscore zählt 24 bedeutende Verfilmungen, die im zweiten Quartal um das Interesse des Publikums konkurrieren wollen und aufgrund der Pandemie seit dem vergangenen Jahr zurückgehalten wurden. Darunter sind solche Blockbuster wie der neue James Bond "No Time to Die".

Daher scheint Disneys geänderter Plan für "Black Widow" eine Möglichkeit zu sein, die Rendite für einen 200-Millionen-Dollar-Film zu maximieren, der wegen anhaltender Einschränkungen nicht jene Publikumsmassen in die Kinos bringen kann, wie man das von früheren Superhelden-Filmen gewohnt ist. Auch könnte die Entscheidung dazu beitragen, die Abonnentenbasis von Disney+ zu stärken. Das hat nicht nur Priorität für das Unternehmen. Auch Anleger schauen auf diese Zahlen mit großem Interesse.

Dennoch konfrontiert die Verschiebung die Filmindustrie mit weiteren Herausforderungen in ihrer ohnehin schon komplizierten Erholungsgeschichte. "Black Widow" sollte als Initial für die Sommerfilmsaison dienen. Stattdessen haben AMC Entertainment, Cinemark Holdings und Cineworld seit der Verschiebung von Disneys "Black Widow" einen durchschnittlichen Kursrückgang von elf Prozent verzeichnen müssen.


   Kinos nicht zu früh abschreiben 

Am Ende könnte das Ergebnis für die Kinos aber weniger einschneidend sein, als vielleicht befürchtet. "Wonder Woman 1984" war zum Beispiel kostenlos bei HBO Max oder zum Preis einer Kinokarte am selben Tag zu sehen. Der 30-Dollar-Zuschlag von Disney für "Black Widow" ist hinsichtlich der Preisgestaltung viel näher dran an einem gemeinsamen Kinoabend und könnte alleine schon deshalb weniger Publikum davon überzeugen, den Fernseher einzuschalten statt ins Kino zu gehen.

Das Filmtheater hat auch in einer Streaming-Welt noch Macht. Der Mangel an Unterstützung durch die US-Kinokette Cinemark hatte Anfang dieses Monats einen bemerkenswerten Einfluss auf Disneys "Raya und der letzte Drache". Dieser Film war am Tag seiner Veröffentlichung ebenfalls für 30 US-Dollar bei Disney+ erhältlich, spielte aber am Eröffnungswochenende aufgrund der Zurückhaltung der Kinobetreiber an der Abendkasse nur 8,6 Millionen US-Dollar ein.


   Disney lotet Zahlungsbereitschaft der Kunden aus 

Kinoketten müssen sich noch entscheiden, ob sie "Black Widow" auch unter den geänderten Bedingungen zeigen wollen. Vermutlich werden sie mit Disney zumindest über niedrigere Filmverleih-Preise verhandeln. Andere Medienriesen mit eigenen Streaming-Plattformen üben bei ihren Filmveröffentlichungen immer noch Rücksicht auf die Kinos. Meghan Durkin von der Credit Suisse merkt an, dass neue Deals mit Universal, Warner Bros. und Paramount auf ein exklusives US-Kinofenster von 30-45 Tagen in einer Welt nach Covid hindeuten. Das ist deutlich kürzer als die 90 Tage, die die Branche einst gewährte, aber die meisten großen Filme spielen ohnehin den größten Teil ihres Umsatzes an den Kinokassen im ersten Monat ein.

Und Disney selbst hat auch deutlich gemacht, weiterhin Filme fürs Kino zu produzieren. "Black Widow" bietet nun beiden Seiten eine gute Lektion zu lernen, wofür Filmfans letztendlich bereit sind zu zahlen.

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March 29, 2021 04:56 ET (08:56 GMT)