März auf dem Weg von Addis Abeba nach Nairobi beginnt schon zwölf Sekunden nach dem Start. Ein plötzlicher Datenausschlag zeigt an, dass beim Abheben ein entscheidender Luftstromsensor der Boeing 737 MAX beschädigt wurde. Womöglich war es ein Vogelschlag, wie Experten vermuten, die den ersten vorläufigen Bericht zur Ursache des Flugzeugunglücks studierten, bei dem alle 157 Menschen an Bord ums Leben kamen. Der Schaden am Anstellwinkel-Sensor könnte die Katastrophe der folgenden sechs Minuten ausgelöst haben. Er misst die Neigung des Flugzeugs und löst das für die neue 737 entwickelte automatische Kontrollsystem MCAS aus, wenn die Maschine so steil ansteigt, dass ein Luftströmungsabriss droht. MCAS soll dann dafür sorgen, dass die Flugzeugnase sinkt, um einen Absturz zu verhindern.

Ständiges Auslösen der Automatik auf Basis falscher Sensordaten wurde schon als Ursache des ersten Absturzes dieses neuen Boeing-Modells im Oktober in Indonesien vermutet. Nach Auffassung der äthiopischen Behörden befolgten der erst 29-jährige Flugkapitän Yared Getachew, der jüngste bei Ethiopian Airlines, und sein 25-jähriger Copilot den Notfallplan bei einer Fehlfunktion des MCAS genau. Doch die Auswertung der jetzt veröffentlichten Daten im vorläufigen Bericht lassen nach Einschätzung von Piloten darauf schließen, dass die jungen Männer in einer überaus chaotischen Situation fatale Fehler gemacht haben könnten.

"PULL UP, PULL UP, PULL UP"

Als das MCAS-System das erste Mal die 737 MAX zum Sinkflug zwingt, befolgt Getachew die nach dem Absturz in Indonesien von Boeing herausgegebene Anweisung. Sie lautet, kurz gesagt: Drück die Schalter in der Mittelkonsole, stell MCAS ab, und wenn das nicht hilft, setze das manuelle Rad zum Trimmen ein. Durch Trimmen, ob automatisch, elektronisch oder manuell, kann das Flugzeug zurück in eine stabile Lage gebracht werden. Die Piloten betätigen also den Schalter in der Mittelkonsole, der die Gegenbewegung auslösen soll. Womöglich halten sie die Schalter aber nicht lange genug fest, um das zu erreichen, sollen die Daten ergeben. Zu dem Zeitpunkt hat die Maschine erst eine Höhe von rund 900 Metern erreicht. Das löst eine akustische Warnung aus - "Don't sink", sagt der Bordcomputer.

Als MCAS zum zweiten Mal eingreift, wird die Nase mit maximaler Kraft erneut nach unten gedrückt. Das löst den "Stick Shaker" aus, ebenfalls eine Warnung vor einem Strömungsabriss. Das Steuerjoch vibriert und brummt. Jetzt schalten die Piloten das MCAS ab. Doch das Flugzeug nähert sich in diesem Moment mit hoher Geschwindigkeit dem Boden. Um gegen den Luftwiderstand zu arbeiten, brauchen die Männer sehr viel Kraft, wenn sie den Steuerknüppel oder das manuelle Trimmrad mit einer Kurbel bewegen wollen.

Der Kapitän ruft "hochziehen, hochziehen, hochziehen". Der Copilot meldet der Flugsicherung die Steuerungsprobleme, während die Maschine weiterrast. Ein Klackern warnt die Piloten, dass der Flieger zu schnell ist. Der Sensorausfall könnte auch die Tempomessung gestört haben. In einem solchen Fall müssen die Piloten den Schub manuell kontrollieren. Doch der blieb unverändert hoch, heißt es im Bericht.

RASENDE GESCHWINDIGKEIT

Erfahrene Piloten sagen, dieser stressige Ablauf - automatische Warnansagen, Brummen, Vibrieren, Klackern, während die Maschine im Sturzflug ist - könnte die Ethiopian-Kollegen überfordert haben. Boeing-Chef Dennis Muilenburg räumt bei Bekanntwerden des Berichts ein, aus Gesprächen mit Piloten habe der Hersteller schon erfahren, dass eine fehlerhafte Aktivierung des MCAS zur Arbeitsüberlastung führen könne. "Es liegt in unserer Verantwortung, dieses Risiko zu eliminieren. Das ist unsere Sache, und wir wissen, wie man es macht."

Der Kapitän weist seinen Copiloten an, das manuelle Trimmrad einzusetzen. Doch das rührt sich offenbar nicht. Dann arbeiten sie zu zweit daran. Aber das Rad lässt sich eigentlich nur bis zu einem Tempo von 250 Knoten (463 Stundenkilometer) betätigen und muss über eine Kurbel Dutzende Male gedreht werden, damit sich die Nase hebt. Als die Männer mit dem Trimmrad kämpfen, hat die 737 ihre zulässige Höchstgeschwindigkeit von 340 Knoten aber bereits überschritten. Als letzten Rettungsversuch schalten die Piloten, entgegen der Anweisung, das MCAS-System wieder an. Es gelingt, die Maschine ein bisschen hochzuziehen. Eine der letzten Äußerungen von Kapitän Getachew ist - "Es reicht nicht."

Die Boeing kracht schließlich mit mehr als 500 Knoten auf ein Feld nicht weit von Addis Abeba. Der Bericht hält fest: Kurz vor dem Aufprall ist die Schwerkraft weg, es zieht die Menschen im letzten Augenblick aus den Sitzen. Von den 157 Passagieren und Crewmitgliedern aus mehr als 30 Ländern, darunter fünf Deutsche und viele Mitarbeiter der Vereinten Nationen, können die Bergungskräfte im Trümmerfeld nur noch DNA-Spuren finden.