Von Jon Sindreu

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Einigung am Dienstag war das vorläufige Ende des 17-jährigen Streits zwischen den USA und der Europäische Union um staatliche Subventionen für die Flugzeughersteller Boeing und Airbus. Die Länder auf beiden Seiten des Atlantiks hatten von der Welthandelsorganisation WTO die Erlaubnis erhalten, sich gegenseitig mit Strafzöllen in Höhe von insgesamt 12 Milliarden US-Dollar zu belegen. Bereits im März war eine viermonatige Aussetzung der Maßnahmen vereinbart worden. Nun soll der Waffenstillstand um fünf Jahre verlängert werden.

Der Streit war schon immer ein Kampf ohne Triumphator. Hier hatte staatliche Unterstützung die Dominanz von Boeing gefördert, dort hatte sie den Aufstieg von Airbus ermöglicht. Nun, da die Luftfahrtindustrie aufgrund der Pandemie am Boden liegt und viele Fluggesellschaften von der öffentlichen Hand gerettet werden mussten, wäre es für alle Beteiligten gefährlich gewesen, die juristische Fehde fortzusetzen.


   Machtwechsel in den USA brachte Umschwung 

Anders als unter Donald Trump wurden die Verhandlungen auch durch die versöhnlichere Haltung der Biden-Regierung begünstigt. Schon vor der US-Wahl im November letzten Jahres gab es Anzeichen dafür, dass man sich auf ein Abkommen einlassen würde. Und dann gab es auch noch den entscheidenden Faktor, der alles vorantrieb: China.

Der asiatische Riese ist entschlossen, in die Fußstapfen von Airbus zu treten. Im Mittelpunkt der Regierungs-Strategie "Made in China 2025" steht der staatliche Luft- und Raumfahrtproduzent Comac. Dieser hat einen Schmalrumpfjet namens C919 entwickelt, der noch in diesem Jahr als direkter Konkurrent zu den Boeing 737- und Airbus A320-Familien in Dienst gestellt werden soll.

Außerdem hat sich China mit Russland zusammengetan, um ein Großraumflugzeug mit der Bezeichnung C929 zu bauen, das Langstreckenflüge übernehmen könnte. Eine Luftfahrtallianz zwischen diesen beiden Ländern könnte auf lange Sicht zu einer echten Bedrohung werden.


   Technischer Rückstand - noch? 

Im Moment braucht China noch Zeit. Die C919 ist dem A320neo und der 737 MAX in jeder Hinsicht unterlegen: Sie hat eine geringere Reichweite, verbrennt mehr Treibstoff und, was entscheidend ist, sie verfügt nicht über ein internationales Support-Netzwerk, das bei der Vermarktung im Ausland hilft.

Außerdem ist China bei den komplexesten Teilen der Lieferkette in der Luft- und Raumfahrt noch nicht autark: Die C919 wird mit Triebwerken von General Electric und Safran starten. Das verschafft dem Westen einen geopolitischen Druckpunkt.

Für Anleger jedoch ist die Aussicht, dass Boeing und Airbus Marktanteile auf dem riesigen und schnell wachsenden chinesischen Markt verlieren könnten, Grund genug zur Sorge.


   Chinesischer Bedarf 

Wie eine aktuelle Analyse von Barclays zeigt, liegen Chinas Jet-Bestellungen weit unter dem Bedarf des Landes. Zum Teil sieht das aus, als wolle man Druck auf die USA ausüben; Peking hat die MAX noch immer nicht rezertifiziert. Aber auch die A320-Bestellungen sind ungewöhnlich niedrig, was Chinas Hoffnungen widerspiegeln könnte, dass die C919 in diese Lücke stößt.

Es liegt daher im Interesse der USA und Europas, ihr Kriegsbeil zu begraben und sich juristisch gemeinsam in Stellung zu bringen. Die Entwicklung der C919 kam zwar einigen westlichen Zulieferern zugute, verstieß aber mit ziemlicher Sicherheit auch gegen die Regeln der WTO. Eingedenk der Tatsache, dass China seine staatlichen Fluggesellschaften anweisen kann, Kontingente von Flugzeugen aus heimischer Produktion zu festgelegten Preisen zu kaufen, sollte man sich vor allem Gedanken über das öffentliche Beschaffungswesen machen, und darüber, was als solches gilt.

In der Vergangenheit hatten staatliche Eingriffe den Zweck, Mitbewerber aufzubauen, was letztendlich die Luft- und Raumfahrtindustrie wettbewerbsfähiger machte. China hat die nötige Größe, um den Zyklus neu zu starten. Während das Ende eines sinnlosen und teuren transatlantischen Rechtsstreits eine willkommene Entwicklung für Anleger ist, richtet sich der Blick auch auf die langfristige Bedrohung für Boeing und Airbus, die jetzt einen gemeinsamen Gegner haben.

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

DJG/DJN/rer/smh

(END) Dow Jones Newswires

June 16, 2021 04:12 ET (08:12 GMT)