Von Mike Colias und Scott Patterson

NEW YORK (Dow Jones)--Da hatte General Motors (GM) die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Als der Konzern nämlich 2020 begann, Pläne für die vollständige Umstellung auf Elektrofahrzeuge zu skizzieren, bedachte er einen entscheidenden Faktor nicht: Viele der Batteriemineralien, die für die Umsetzung der Pläne vonnöten waren, steckten noch im Boden.

"Ich erinnere mich an einen Bericht unseres damaligen Rohstoffteams, in dem es hieß: Es gibt jede Menge Lithium da draußen. Es gibt reichlich Nickel", sagt Sham Kunjur, bei GM für die Sicherung der Rohstoffe für die Batterien zuständig. "Wir werden sie auf dem freien Markt kaufen." Doch die GM-Manager stellten bald fest, dass diese Prognosen nicht zutrafen. Und nun sucht das Kunjurs 40-köpfiges Team weltweit nach diesen Mineralien.


   Wettlauf um Mineralien beflügelt Engagement der E-Autohersteller 

Die Umstellung der Autoindustrie auf Elektroautos hat einen Wettlauf um die Versorgung mit Lithium, Nickel, Graphit und anderen für die Batterieherstellung wichtigen Materialien ausgelöst. Ein Großteil von ihnen stammt derzeit von außerhalb der USA aus Ländern wie China und Australien. Dort werden sie abgebaut und verarbeitet.

Das Schreckgespenst eines möglichen Mangels an Batterien für Elektrofahrzeuge treibt die Automobilhersteller dazu, sich direkter in das Bergbaugeschäft einzubringen, das ihnen weitgehend fremd ist und neue Risiken in sich birgt. Die Bemühungen spiegeln die verspätete Einsicht der Manager in der Automobilindustrie wider, dass der Bergbausektor - trotz des Versprechens einer enormen Nachfrage - nicht genug von diesen Batteriemineralien abbaut. Jetzt spielen die Autokonzerne die Rolle von Investoren und Kunden zugleich. Viele nutzen ihre tiefen Taschen, um Minen zum Laufen zu bringen, und garantieren gleichzeitig die Abnahme der abgebauten Materialien.


   Autobranche und Bergbau sind im Prinzip wie Feuer und Wasser 

Das Ergebnis ist eine zufällige Allianz von zwei Sektoren, die in vielerlei Hinsicht schwer zusammenpassen. So wird das Automobilgeschäft von starren Zeitplänen und der Präzision der riesigen, globalen Lieferkette beherrscht. Im Bergbau dagegen sind Kostenüberschreitungen und Verzögerungen an der Tagesordnung, und selbst die erfahrensten Betreiber wissen nicht immer, ob sich diese riskanten Unternehmungen auszahlen werden. Die Autohersteller wollen stabile, abgesicherte Preise, die Bergleute sind an wilde Marktschwankungen gewöhnt. "Die Bergleute haben Dreck unter den Fingernägeln und erzählen an der Bar tolle Geschichten über die Erkundung des Amazonas", berichtet Todd Malan, Leiter der Klimastrategie bei Talon Metals. Das Unternehmen erschließt gerade eine Nickel-, Kupfer- und Kobaltmine in Zentral-Minnesota.

Die Autohersteller stehen unter Druck, dieses Versorgungsproblem zu lösen. Überall in den USA entstehen neue Batteriewerke, und die Autofirmen investieren Milliarden US-Dollar in Fabriken für Elektroautos. Sie wollen den Vorschriften zur Begrenzung der Auspuffemissionen zuvorkommen und nicht ins Hintertreffen geraten, wenn der Verkauf von Elektrofahrzeugen an Fahrt gewinnt.


   Lithium-Nachfrage mittelfristig größer als derzeitiges Angebot 

Einer der größten Engpässe ist Lithium, ein weiches weißes Metall, das essentiell für wiederaufladbare Batterien ist. Es wird erwartet, dass die Nachfrage nach verarbeitetem Lithium das Angebot im kommenden Jahrzehnt bei weitem übersteigt, wenn der Bergbau seine Produktion nicht drastisch ausweitet, so Analysten und Produzenten. "Verzweiflung ist ein starkes Wort", wiegelt CEO Paul Graves des Lithiumherstellers Livent ein wenig ab. Er fügt hinzu: "Aber sicherlich machen sich die Autohersteller heute viel mehr Sorgen darüber, ob sie genug davon haben werden."

Im Januar erklärte sich GM bereit, in ein gemeinsames Entwicklungsprojekt mit dem in Vancouver ansässigen Bergbauunternehmen Lithium Americas zu investieren. Durch die Vereinbarung erhält GM die Exklusivrechte an Lithium, das an einem abgelegenen Wüstenstandort in Nevada namens Thacker Pass gewonnen wird, der nach Angaben der Unternehmen eine der größten bekannten Lithiumquellen in den USA ist.

Ford erklärte derweil im März, dass es einen ungenannten Betrag investieren würde, um eine Beteiligung an einer indonesischen Nickelmine zu kaufen. Das in den Niederlanden ansässige Unternehmen Stellantis will nach Angaben vom Februar 155 Millionen Dollar in eine Kupfermine in Argentinien investieren. "Man muss seine Versorgung sichern. Wenn nicht, ist man aus dem Geschäft", betont Stellantis-Chef Carlos Tavares.

Der Elektroauto-Pionier Tesla hat jahrelang daran gearbeitet, seinen Zugang zu Batterielieferungen zu verbessern, nachdem er schon früh mit Engpässen zu kämpfen hatte. Im vergangenen Jahr bezog Tesla mehr als 95 Prozent des Lithiumhydroxids und 55 Prozent des Kobalts, das es für seine Batterien benötigt, direkt von Bergbauunternehmen oder Raffinerien, so das Unternehmen in einem kürzlich veröffentlichten Bericht. Es ist unklar, ob sich diese Zahlen nur auf Teslas eigene Batterien beziehen oder auch auf solche, die das Unternehmen von Zulieferern bezieht. Tesla reagierte nicht auf eine Bitte um Stellungnahme. Dennoch klagt CEO Elon Musk, dass das Fehlen einer stabilen Pipeline für verarbeitetes Lithium ein großes Hindernis bedeutet. "Lithium gibt es fast überall auf der Erde, aber die Gewinnung/Veredelung geht nur langsam voran", tweetete er vergangenes Jahr.

Das Defizit bei den Mineralien geht auf den Beginn des vergangenen Jahrzehnts zurück, als ein durch die unersättliche chinesische Nachfrage angeheizter Rohstoff-Superzyklus in die Brüche ging und die schuldenbeladenen Bilanzen der Bergbaukonzerne ruinierte. Diese Unternehmen hatten sich für Milliarden von Dollar verschuldet, um riesige Bergbauprojekte zu finanzieren. Anstatt in neue Projekte zu investieren, schütteten die weltgrößten Bergbaugiganten lieber Milliarden von Dollar an Dividenden an ihre Aktionäre aus.


   Auch bei VW läuten die Alarmglocken 

Als die Autohersteller in den vergangenen Jahren verstärkt in Elektroautos investierten, entdeckten die Automanager, dass die Lieferketten für Batterien und Rohstoffe nicht so funktionieren wie die für Lenksäulen oder Zündkerzen.

Ende 2017 lud VW mehrere Kobaltproduzenten an seinen Stammsitz in Wolfsburg ein, um die Sicherung der Kobaltversorgung zu besprechen, so Tony Southgate, Leiter des Kobaltmarketings beim Minenbetreiber Eurasian Resources. Während des Gesprächs fragte VW, was seine Firma für Kobalt verlange. Southgate sagte, dass er den aktuellen Marktpreis nannte, der zu diesem Zeitpunkt etwa 30 Dollar pro Pfund betrug.

"Was ist mit dem VW-Rabatt?", fragten die VW-Manager Southgate zufolge erstaunt. Er antwortete, es gäbe keinen. "Sie konnten sich das nicht erklären", berichtet er. VW lehnte eine Stellungnahme ab.


   Bergbauunternehmen und Autobauer hatten Vorbehalte gegen Partnerschaft 

Als sich 2020 der Ansturm der Autohersteller auf Elektroautos beschleunigte, wurden die Prognosen über einen akuten Mangel an Batterien immer lauter, und die Preise für wichtige Mineralien stiegen. Automanager erkannten, dass die Bergbauunternehmen nicht nur Käufer brauchten, sondern auch Partner, die ihnen bei den Vorabinvestitionen halfen, sagen Manager, die an den Gesprächen beteiligt waren.

Beide Branchen hatten Vorbehalte. Die Automobilhersteller, die bei der Beschaffung von Rohstoffen in der Regel auf ihre Zulieferer angewiesen sind, zögerten zunächst, das Geld für die von Natur aus riskanten Bergbauvorhaben bereitzustellen. Solche Projekte sind oft anfällig für Verzögerungen, bürokratische Hürden und Preisschwankungen. Auch unvorhergesehene technische Hürden können die Kosten in die Höhe treiben.

Auch die Bergleute hatten Vorbehalte. "Ich bin mir nicht sicher, ob sie geglaubt haben, dass die Umstellung auf Elektrofahrzeuge in dem Ausmaß stattfindet, wie es jetzt der Fall ist", sagte Tanya Skilton, die 2017 von Rio Tinto zu GM kam und jetzt Direktorin in Kunjurs Team ist.


   GM zu Lithium Americas: Wir nehmen die Gesamtmenge ab 

Kunjur entdeckte die Dringlichkeit seines Auftrags vergangenes Jahr bei einem seiner ersten Treffen mit GM-Chefin Mary Barra. Das Thema: Wie GM alle Batteriematerialien beschaffen würde, um sein Ziel zu erreichen, bis 2025 jährlich zwei Millionen Elektroautos zu verkaufen. "Ich dachte, Sie hätten das schon gestern herausgefunden", sagte Barra zu seinem Team, erinnerte sich Kunjur.

Ungefähr zu dieser Zeit vereinbarte er ein Treffen mit dem CEO von Lithium Americas, Jonathan Evans, auf einer Bergbaukonferenz in Phoenix. Im Laufe der Gespräche erklärte Evans, dass das Unternehmen nach zwei oder drei separaten Kunden suchte, die jeweils 10.000 oder 15.000 Tonnen Lithium kaufen würden, deren Erschließung schätzungsweise 2,3 Milliarden Dollar kosten würde.

"Wir sagten: 'Wir wollen das alles haben'", erinnert sich Kunjur von GM.

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May 16, 2023 06:15 ET (10:15 GMT)