Von Chun Han Wong und Yang Jie

HONGKONG/TOKIO (Dow Jones)--Peking betrachtet die demokratisch regierte Insel Taiwan als Teil seines Territoriums. Als die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, diesen Monat Taiwan besuchte, um die dortige Regierung zu unterstützen, verurteilte Peking die Reise scharf. Die Machthaber ließen militärische Übungen mit Kampfflugzeugen, Schiffen und Raketen vornehmen, um die Fähigkeit zur Blockade der Insel zu demonstrieren. Zuletzt flog eine Gruppe von US-Gesetzgebern nach Taiwan, um sich mit dem taiwanesischen Präsidenten zu treffen, was die Spannungen erneut anheizen könnte. Ein Sprecher der chinesischen Botschaft in Washington antwortete, dass "China entschlossene Gegenmaßnahmen als Antwort auf die Provokationen der USA ergreifen wird". Im Folgenden finden Sie einige Fragen und Antworten zu den Spannungen in der Straße von Taiwan und den möglichen Auswirkungen auf die globale Wirtschaft, falls China versuchen sollte, die Insel zu blockieren.


Wie würde sich eine Blockade auf die globale Wirtschaft auswirken? 

Eine chinesische Blockade Taiwans würde die globalen Lieferketten lahmlegen und die Frachtpreise in Asien und möglicherweise auch darüber hinaus in die Höhe treiben. Schließlich spielt die Insel mit ihren rund 23 Millionen Einwohnern eine herausragende Rolle in der globalen Wirtschaft. Auf Taiwan entfallen rund 70 Prozent des weltweiten Angebots von Mikrochips. Die Insel ist ein wichtiger Teil der Produktionskette für Waren wie Smartphones, Computer und Autos. Und es liegt direkt an den pazifischen Schifffahrtswegen, über die Handelsströme in und aus Ostasien im Wert von Billionen von US-Dollar abgewickelt werden. "Taiwan hat eine weitaus größere Bedeutung für die Weltwirtschaft, als sein Anteil von 1 Prozent am globalen BIP vermuten lässt", schreibt Volkswirt Gareth Leather von Capital Economics. Eine Unterbrechung der taiwanesischen Exporte würde zu Engpässen bei Chips für Autos und Elektronik führen und den Inflationsdruck erhöhen.


Wie wichtig ist Taiwan für die Chipindustrie? 

Sehr wichtig. In Taiwan befindet sich der weltweit größte Auftragsfertiger von Chips, Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC), der Halbleiter für Unternehmen wie Apple und Qualcomm herstellt. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Gartner hielt TSMC im vergangenen Jahr weltweit mehr als die Hälfte des 100-Milliarden-Dollar-Marktes für Halbleiterfertigung. Ein Bericht der Boston Consulting Group und der Semiconductor Industry Association aus dem Jahr 2021 kommt zu einem klaren Schluss. Eine einjährige Unterbrechung der taiwanesischen Chip-Lieferkette würde den Elektronikunternehmen weltweit Verluste in Höhe von rund 490 Milliarden Dollar einbrocken. Sollte die taiwanesische Chip-Produktion dauerhaft unterbrochen werden, würde es mindestens drei Jahre dauern und 350 Milliarden Dollar kosten, anderswo Produktionskapazitäten aufzubauen, um den Ausfall zu kompensieren. In einem undatierten Interview, das Ende Juli von CNN ausgestrahlt wurde, sagte TSMC-Chef Mark Liu, dass eine militärische Gewaltanwendung oder eine Invasion Taiwans die TSMC-Fabriken unbrauchbar machen würde. Die Produktionsstätten des Unternehmens "hängen von Echtzeit-Verbindungen mit der Außenwelt, mit Europa, mit Japan und mit den USA ab." TSMC reagierte nicht auf eine Anfrage nach weiteren Kommentaren.


Wo sonst könnte die Welt ihre Chips herbekommen? 

Westliche Mächte hatten bereits versucht, ihre Abhängigkeit von Taiwans Halbleitern zu verringern. Schließlich hatten die weltweite Chip-Knappheit und die Unterbrechung der Versorgungskette während der Pandemiezeit die Dominanz der Insel in der Branche nur zu deutlich gemacht. Sowohl die USA als auch die EU haben Dutzende von Milliarden Dollar zugesagt, um die heimische Chipfertigung und die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Asien zu steigern. TSMC, ein Nutznießer der Mittel aus einem Gesetz über die Chipindustrie in den USA, das Präsident Joe Biden vergangene Woche unterzeichnete, baut derzeit ein 12-Milliarden-Dollar-Werk in Arizona. Außerdem errichtet das Unternehmen ein 7 Milliarden Dollar teures Werk in Japan.


Welche anderen großen Industriezweige wären von einer Blockade Taiwans betroffen? 

Eine Sperrung der Taiwanstraße, einer der meistbefahrenen Routen der Welt, hätte schwerwiegende Auswirkungen auf die Schifffahrtskapazitäten, so CEO Soren Skou vom dänischen Reedereiriesen AP Moller-Maersk A/S. "Alle müssten um Taiwan herumfahren und die Fahrtzeiten verlängern", klagte er Anfang des Monats gegenüber Analysten. Fachleuten zufolge könnten die Reedereien wegen der längeren Transitzeiten mehr für Treibstoff und Besatzung ausgeben - Kosten, die wahrscheinlich an Unternehmen und Verbraucher weitergegeben würden. Versicherer haben kürzlich erklärt, dass sie zögerten, Versicherungen zur Deckung möglicher Verluste wegen eines Taiwan-Konflikts zu verkaufen, bis sich die Spannungen dort beruhigt hätten. Die kurzfristigen Tarife für den Versand von Fracht auf den Seewegen zwischen Taiwan und dem chinesischen Festland waren Anfang August im Vergleich zum Juli nach der Taipeh-Reise von Pelosi um 11 Prozent emporgeschnellt. Der Grund sei, dass die Risiken für die Schifffahrt in diesem Gebiet gestiegen sind, so Peter Sand, Chefanalyst bei Xeneta, das die See- und Luftfrachttarife analysiert.


Wie würde eine chinesische Blockade von Taiwan aussehen? 

Eine Blockade, die nach internationalem Recht eine Kriegshandlung bedeutet, könnte unterschiedliche Formen annehmen. Sie könnte von einem umfassenden Versuch, alle Menschen und Güter an der Ein- und Ausreise nach Taiwan zu hindern, bis hin zu weniger ehrgeizigen Operationen reichen, bei denen versucht wird, bestimmte Arten von Verkehr oder Waren zu blockieren. Das chinesische Militär könnte Luft- und Seepatrouillen einsetzen, Seeminen legen oder sogar Flughäfen und Häfen zerstören, so Analysten. Schon die Ausrufung einer Blockade könnte Fluggesellschaften und Reedereien dazu veranlassen, den Verkehr aus Vorsicht umzuleiten.

In einem Bericht des taiwanesischen Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 2021 heißt es, Chinas Militär sei in der Lage, die Luft- und Seekommunikationslinien der Insel zu kappen und den Fluss der militärischen Versorgung und logistischen Ressourcen zu beeinträchtigen. Taiwan könnte unter Engpässen bei Rohstoffen leiden, darunter Flüssigerdgas, das die Insel für einen Großteil ihrer Energieversorgung importiert. Dennoch ist unklar, ob Chinas Militär über die Mittel verfügt, um eine Blockade aufrechtzuerhalten, und jeder Versuch, Taiwan abzuschneiden, würde wahrscheinlich die USA, Japan und andere Länder zum Eingreifen veranlassen, so Drew Thompson. Er ist Gastwissenschaftler an der Lee Kuan Yew School of Public Policy in Singapur.


Was hält Peking davon ab, eine Blockade zu versuchen? 

Neben den militärischen und geopolitischen Kosten einer versuchten Blockade gibt es Analysten zufolge eine wichtige Abschreckung für Peking: China selbst ist in Bezug auf Handel und Arbeitsplätze auf Taiwan angewiesen. China ist auf TSMC angewiesen, wenn es um Chips geht, die für modernste Computer- und Industrieanwendungen benötigt werden. Taiwanesische Unternehmen wie Foxconn Technology, der größte iPhone-Montagebetrieb, sind wichtige Arbeitgeber im Privatsektor des chinesischen Festlands. Und Taiwan dient China als strategisches Schifffahrtstor zum Pazifischen Ozean. "Sollte es jemals zu einem militärischen Konflikt kommen, würde das die gesamte Lieferkette und sogar Chinas eigene ehrgeizige Strategien unterbrechen", schätzt Direktor Jui-Lin Yang vom taiwanesischen Industrial Technology Research Institute die Lage ein. Mit anderen Worten: Peking könnte Taiwans Wirtschaft nicht stören, ohne seine eigene aus dem Gleichgewicht zu bringen.

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August 15, 2022 09:18 ET (13:18 GMT)