Istanbul (Reuters) - Die türkische Zentralbank setzt ihre unorthodoxe Geldpolitik fort und senkt ungeachtet einer extrem hohen Inflation ihren Leitzins.

Er werde von bislang 12,0 auf nunmehr 10,5 Prozent zurückgenommen, gaben die Währungshüter am Donnerstag bekannt. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten zwar mit einer Senkung gerechnet, allerdings nur auf 11,0 Prozent. Die Notenbank signalisierte zugleich noch eine weitere Senkung. "Der Ausschuss erwägt, auf der nächsten Sitzung einen ähnlichen Schritt zu unternehmen und den Zinssenkungszyklus dann zu beenden", hieß es. Die Zentralbank hatte vor gut einem Jahr mit der Lockerung ihrer Geldpolitik begonnen. Damals lag der Zinssatz noch bei 19 Prozent.

Die Landeswährung Lira geriet unmittelbar nach Bekanntgabe der Entscheidung erneut unter Abwertungsdruck. Der Kurs fiel auf das Rekordtief von 18,6150 zum Dollar. "Die Zinssenkung ergibt auf dem aktuellen Niveau keinen Sinn, weil die Inflation viel zu hoch ist", sagte Analystin Ipek Ozkardeskaya vom Finanzdienstleister Swissquote. "Es ist wie eine Zeitbombe." Solange Geld hereinkomme, könne die Zentralbank es ausgeben, um den Wechselkurs einigermaßen stabil zu halten. "Aber wenn das Geld einfach nicht mehr kommt, wird die Türkei nicht in der Lage sein, die Lira auf dem aktuellen Niveau gegenüber dem US-Dollar zu halten."

"ZINSEN WERDEN JEDEN TAG FALLEN"

Analysten gehen davon aus, dass die Verbraucherpreise auch in den kommenden Monaten stark steigen werden. Von Reuters befragte Ökonomen sehen die Inflationsrate am Jahresende bei 72,5 Prozent und Ende 2023 bei 40,5 Prozent. Experten halten Zinserhöhungen für das geeignete Gegenmittel, da dadurch beispielsweise die Lira wieder attraktiver wird.

Präsident Recep Tayyip Erdogan will dagegen dafür sorgen, dass die Zinsen weiter kontinuierlich gesenkt werden, solange er an der Macht ist. "Solange Euer Bruder in dieser Position ist, "werden die Zinsen mit jedem Tag, jeder Woche, jeden Monat fallen", sagte Erdogan kürzlich bei einer Veranstaltung in der westlichen Provinz Balikesir. Er will mit günstigen Krediten die Produktion und die Exporte anschieben, was wiederum für mehr Beschäftigung sorgen soll.

Die türkische Wirtschaft ist 2021 mit elf Prozent so stark gewachsen wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr. Die Konjunktur steht aber wegen der hohen Inflation und der negativen Folgen des Ukraine-Kriegs etwa für den Tourismus vor einem schwierigen Jahr. Ökonomen trauen der Türkei in diesem Jahr nur noch rund 3,5 Prozent Wachstum zu.

(Bericht von Ali Kucukgocmen und Ece Toksabay, geschrieben von Rene Wagner. Redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)