(neu: Aussagen aus Online-Pressekonferenz zu Hurrikan "Ian", Wachstumsplänen und Preisstrategie.)

MÜNCHEN/BADEN-BADEN (dpa-AFX) - Ungünstige Faktoren wie Inflation und Naturkatastrophen machen das Versicherungsgeschäft schwieriger und riskanter. Die Rückversicherung könnte sowohl teurer als auch vom Angebot knapper werden - bei gleichzeitig steigender Nachfrage. Das kündigte der weltgrößte Rückversicherer Munich Re am Donnerstag an. Nach ihrem weltweiten Branchentreffen in Monte Carlo im September kommen Erst- und Rückversicherer vom 23. bis 26. Oktober in Baden-Baden zusammen, um über die Erneuerung ihrer Verträge zum 1. Januar 2023 zu verhandeln. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf dem europäischen Markt.

Ein Teil des Problems ist der schwierigen Wirtschaftslage geschuldet: Die hohe Inflation treibt die Schadenssummen in die Höhe, wie Vorstandsmitglied Thomas Blunck und Deutschland-Chefin Claudia Hasse erläuterten. Steigende Zinsen wiederum führen in einem komplizierten Mechanismus dazu, dass den Rückversicherern weniger Mittel zur Verfügung stehen, um Risiken von Erstversicherern wie der Allianz oder der Axa zu übernehmen. "Der Anstieg der Zinsen führt bei festverzinslichen Wertpapieren zu einem niedrigeren Wert der Papiere", sagte Blunck.

"Langfristig sind höhere Zinsen attraktiv, aber der kurzfristige Effekt kann dazu führen, dass weniger Kapazität in den Märkten verfügbar ist." Niedrigere Kapazität würde bedeuten, dass die Rückversicherer den Erstversicherern geringere Deckungen anbieten oder auch insgesamt weniger Verträge abschließen. Zuvor hatte die Swiss Re - einer der größten Konkurrenten der Munich Re - höhere Preise in Aussicht gestellt und die Erstversicherer aufgefordert, mehr Risiken auf eigene Rechnung zu übernehmen.

Nach Einschätzung der auf Versicherer spezialisierten Ratingagentur A.M. Best dürfte das weltweite Rückversicherungskapital in diesem Jahr um acht Prozent schrumpfen. Diese Berechnungen stammten jedoch aus der Zeit vor Hurrikan "Ian", der Ende September in Florida milliardenschwere Zerstörungen angerichtet hat, merkte Blunck am Donnerstag an. Weil die Schäden am Kapital von Rückversicherern zehren, könnte auch für das Europa-Geschäft im nächsten Jahr weniger Kapital zur Verfügung stehen, sagte er.

Wie teuer der Hurrikan die Munich Re zu stehen kommt, kann das Unternehmen laut Blunck noch nicht sagen. Eine Einschätzung will der Dax-Konzern bei der Vorlage der Quartalszahlen am 8. November veröffentlichen. Die Swiss Re hat ihre Belastung bereits auf 1,3 Milliarden US-Dollar (gut 1,3 Mrd Euro) beziffert und rechnet deshalb für das dritte Quartal unter dem Strich mit einem Verlust.

Erstversicherer schließen ihre Verträge mit Rückversicherern in Erneuerungsrunden ab, bei denen die Vertragskonditionen in regelmäßigen Abständen neu ausgehandelt werden. Die Inflation sei "ein ganz großes Thema in der jetzigen Erneuerung", sagte Deutschland-Chefin Hasse.

Die Munich Re sei mit den Kunden schon seit langem im Gespräch. "Der erste Schritt ist, dass wir verstehen, was der Erstversicherer in seiner Preispolitik macht. Der zweite Schritt ist, dass wir schauen, ob es auf der Rückversicherungsseite eine Lücke gibt, also ob wir glauben, dass der Erstversicherer die gestiegenen Kosten nicht komplett abbildet."

Wie viel mehr Geld die Munich Re von den Erstversicherern verlangt, ist laut Blunck unterschiedlich. Bei manchen Unternehmen werde es kaum Erhöhungen brauchen, bei anderen stärkere. Daher wolle die Munich Re keine generellen Preisforderungen nennen. Ob sie ihr Geschäft zum 1. Januar ausweite, hänge von der Einigung mit den Kunden auf höhere Prämien ab, sagte Blunck.

Der Deutschlandchef des weltweit drittgrößten Rückversicherers Hannover Rück, Michael Pickel, hatte in Monte Carlo prozentual zweistellige Erhöhungen etwa in der Kfz-Versicherung und der privaten Wohngebäude-Rückversicherung in Deutschland als notwendig bezeichnet.

Privatkunden können keine Policen bei Rückversicherern abschließen, aber Bedeutung für die Verbraucher haben die Erneuerungsrunden durchaus: Wenn die von den Rückversicherern angebotenen Kapazitäten sinken, müssen die Erstversicherer einen größeren Teil ihrer Risiken und Schäden allein tragen. In der Folge sind dann auch Preiserhöhungen der Erstversicherer wahrscheinlicher.

Ganz abgesehen davon treiben die inflationsbedingt steigenden Schadensummen Preiserhöhungen der Erstversicherer. Spürbar ist das in der Autoversicherung. "Im Motorbereich waren die letzten beiden Jahre sehr gute Jahre, das hat sich in diesem Jahr deutlich verändert", sagte Blunck.

"Es ist davon auszugehen, dass dieses Jahr für die Erstversicherer im Autogeschäft wohl einen technischen Verlust mit sich bringen wird. Das hängt stark damit zusammen, dass die Ersatzteilpreise sich erhöht haben, außerdem sind sowohl Neu- als auch Gebrauchtwagen deutlich teurer geworden." In dieser Sparte gebe es eine deutlich stärkere Inflation als in anderen Bereichen.

Hinzu kommen Naturkatastrophen und schwere Unwetter, die nach den Daten der Munich Re wesentlich höhere Schäden anrichten als noch zu Beginn der 1980er Jahre. So ist die Wahrscheinlichkeit schwerer Hagelschäden gestiegen. "In Frankreich gab es Hagelschläge mit sehr großen Hagelkörnern, im Nordosten Spaniens sogar mit bis zu zwölf Zentimetern Durchmesser", sagte Blunck.

Keine unverhältnismäßigen Risiken will die Munich Re im ebenfalls schadenträchtigen Geschäft mit der Cyber-Rückversicherung gegen Internetkriminalität eingehen. "Das ist ein großer wachsender Markt", sagte Blunck. Den globalen Marktanteil der Munich Re in diesem Bereich bezifferte der Manager auf 14 Prozent. "Entsprechende Kapazität wollen wir auch weiter zur Verfügung stellen." Schwerpunkte in dem von der Munich Re rückversicherten Portfolio seien Gewerbegeschäfte oder private Haushalte mit kleineren Limits. "Damit sind wir bisher gut gefahren, unsere Schaden-Kosten-Quote in Europa liegt unter 90 Prozent, weltweit bei 85."

In Europa hat sich das Cyber-Versicherungsgeschäft innerhalb weniger Jahre vervielfacht, doch manche Erstversicherer haben wegen wachsender Schäden in diesem Bereich Angebote und Deckung sogar reduziert. "Vor fünf Jahren war das Prämienvolumen im europäischen Markt etwa 400 Millionen Euro, inzwischen sind es zwei Milliarden", sagte Deutschland-Chefin Hasse./cho/stw/DP/ksc/men