KÖLN (dpa-AFX) - Der erst vor Kurzem in den Mittelwerte-Index MDax zurückgekehrte Werbevermarkter Ströer bekommt die Auswirkungen der Corona-Pandemie mit Zeitverzögerung zu spüren. Das im ersten Quartal noch glänzende Kerngeschäft mit Außenwerbung leidet merklich unter der Krise. Was bei dem Unternehmen los ist, was Analysten sagen und wie sich die Aktie entwickelt:

DAS IST LOS BEI STRÖER:

Im ersten Quartal sah die Welt bei Ströer noch rosig aus: Konzernumsatz und Gewinn legten zu, die heranrollende Pandemie war in den Zahlen kaum zu sehen. Doch in der Zentrale in Köln war man sich bereits im Klaren darüber, dass das Unternehmen als Werbevermarkter nicht von Folgen der Mitte März angelaufenen Corona-Beschränkungen ausgenommen werden würde.

Bereits kurz nach Beginn der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zog das Unternehmen seine Prognose für das Gesamtjahr zurück und verschob den Termin für seine Hauptversammlung in die zweite Jahreshälfte.

Mitte Mai war dann besser abzusehen, wohin die Reise geht. So lag der Umsatz nach den ersten Wochen des zweiten Quartals den Angaben zufolge bereits deutlich unter den Vorjahreswerten. Besonders der Out-Of-Home genannte Kernbereich mit Außenwerbung auf großflächigen Plakatwänden, Litfaßsäulen und Videowänden wurde durch die Einschränkungen im Zuge der Pandemie belastet.

Der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft sorgte Anfang Juni kaum für Aufmunterung. Für 2020 geht der Verband vorläufig von einem Einbruch der Werbeinvestitionen um 10 bis 20 Prozent aus. Dies sei jedoch immer noch eine Prognose und "kein Worst-Case-Szenario". Hauptgeschäftsführer Bernd Nauen bezeichnete die Entwicklung als "durchweg besorgniserregend".

Aufgrund eines dicken Barmittelpolsters sieht sich Ströer für die nächsten drei Jahre und darüber hinaus "solide" aufgestellt. So hat das Unternehmen bereits einen Großteil seiner frei verfügbaren Kreditlinien gezogen. Dadurch verfügte Ströer Ende März nach eigenen Angaben über freie Barmittel von rund 423 Millionen Euro.

Zudem durfte sich das Unternehmen im Juni über den Aufstieg in den MDax freuen, den es 2018 hatte verlassen müssen. Nun löste Ströer im Mittelwerte-Index die Deutsche Pfandbriefbank ab. Gewissheit darüber, wie hart die Corona-Krise das Unternehmen bisher getroffen hat, werden die Anleger wohl erst Mitte August haben. Dann steht die Veröffentlichung der Halbjahreszahlen an.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Unter den Branchenexperten bescheinigt eine Mehrheit den Anteilsscheinen trotz der absehbaren Belastungen weiteres Aufwärtspotenzial: Fünf der zehn im dpa-AFX Analyser gelisteten Experten empfehlen einen Kauf, vier votieren für ein Halten der Papiere, und eine Analystin rät zum Verkauf. Das durchschnittliche Kursziel lag zuletzt bei rund 69 Euro und damit ein gutes Stück über dem aktuellen Kurs von gut 60 Euro.

Analystin Nizla Naizer von der Deutschen Bank hält die strukturelle Wachstumsstory der Branche weiterhin für intakt. Mit der Lockerung der Corona-Maßnahmen sollte es auch für die Außenwerbeunternehmen wieder nach oben gehen, schätzt sie. Sie blieb daher bei ihrer Kaufempfehlung für die Aktie und setzte ihr Kursziel von 75 auf 80 Euro nach oben.

Bei Goldman Sachs reicht der Optimismus nicht mehr für eine Kaufempfehlung aus. Die Experten der US-Bank stuften das Papier am Montag auf "Halten" ab und begründeten dies mit der guten Kursentwicklung im vergangenen Jahr. Operativ bescheinigt Analystin Katherine Tait dem Geschäft mit Außenwerbung jedoch bereits gute Aussichten auf eine Erholung im Jahr 2021. Grund sei die sich verbessernde Lage in Folge der Lockerung der Corona-Beschränkungen in Deutschland. Daher erhöhte sie das Kursziel leicht auf 64,10 Euro.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kamen auch die Kollegen vom Bankhaus Lampe. Experte Christoph Bast sieht für den Außenwerbe-Spezialist derzeit einen starken Gegenwind durch die Corona-Krise. Unter diesen Umständen gebe es nur noch begrenztes Aufwärtspotenzial für die Aktie, daher stufte er seine Bewertung auf "Halten" und ein Kursziel von 72 Euro herunter.

Trotzdem lobt Bast die starke Marktposition von Ströer in Deutschland und das strukturelle Wachstum im Bereich der Außenwerbung. Durch die Digitalisierung von Werbeflächen könne das Unternehmen sich zudem für kleine und mittlere Betriebe öffnen.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Wenngleich die Pandemie-Folgen das Unternehmen im ersten Quartal nur leicht erfasst hatten, konnte sich die Ströer-Aktie dem allgemeinen Abwärtstrend nicht entziehen. Von dem Rekordhoch Anfang Februar bei 78,65 Euro sackte ihr Kurs bis Ende März um mehr als die Hälfte auf 37 Euro ab. Im Zuge der Erholung des Gesamtmarkts kletterte der Kurs Anfang Juni zwischenzeitlich wieder über die Marke von 70 Euro.

Zuletzt mehrten sich allerdings wieder die Sorgen über doch gravierendere Folgen der Corona-Krise, so dass die Aktie wieder auf unter 58 Euro abrutschte. Das Papier in diesem Jahr bisher ein Fünftel an Wert und damit zirka doppelt so viel wie der MDax. Zudem liegt der Kurs wieder unter der für charttechnisch orientierten Investoren unter der wichtigen langfristigen 200-Tage-Linie von ungefähr 65 Euro.

Der coronabedingte Verlust war nicht der erste starke Kursrutsch der Aktie in den vergangenen Jahre. Zwischen Frühjahr 2018 und Januar 2019 ging es für die Ströer-Aktie wegen Konjunkturunsicherheiten um rund 40 Prozent auf 40 Euro nach unten bevor sie im Anschluss wieder um so kräftiger zulegte. Auch im Frühjahr 2016 legte das Papier einen deutlichen Sinkflug hin, als der Kurs infolge von Manipulationsvorwürfen des Hedgefonds Muddy Waters innerhalb weniger Wochen um rund ein Drittel abstürzte.

Seit dem Börsengang im Jahr 2010 hat sich der Kurs aber fast verdreifacht und sich damit für Unternehmensmitgründer und Vorstandschef Udo Müller und den Erben Dirk Ströer gelohnt. Sie halten immer noch 22 Prozent beziehungsweise 21 Prozent an dem derzeit mit knapp 3,3 Milliarden Euro bewerteten Unternehmen. Neben Müller und Ströer ist die Deutsche Telekom ein weiterer Großaktionär des Unternehmens. Der Bonner Konzern hält seit dem Verkauf des Nachrichtenportals T-Online.de im November 2015 rund zehn Prozent der Aktien./ssc/stw/fba/zb