- von Tom Käckenhoff und Christoph Steitz

Düsseldorf (Reuters) - In der Diskussion um einen Staatseinstieg bei Thyssenkrupp Steel erhöhen die Stahlkocher den Druck auf die Regierungen im Bund und in Nordrhein-Westfalen.

"Wir brauchen zunächst von der Politik eine Grundsatzentscheidung, ob sie bereit ist, einen Schutzschirm aufzustellen und nicht tatenlos zusieht", sagte Stahlbetriebsratschef Tekin Nasikkol in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters. "In einem nächsten Schritt muss man dann überlegen, ist es besser, wenn das Land einspringt oder der Bund, in welcher Größenordnung und wie lange?" Am Freitag wollen die Stahlkocher auf einer Kundgebung in Düsseldorf ihrer Forderung nach einer Staatsbeteiligung Nachdruck verschaffen.

Die Thyssenkrupp-Stahltochter ist durch die Coronakrise schwer unter Druck geraten und schreibt hohe Verluste. Wichtige Kunden wie die Automobilindustrie hatten ihre Produktion massiv zurückgefahren. Die Stahltochter kämpft aber auch mit strukturellen Problemen wie den Überkapazitäten und der Billig-Konkurrenz aus Fernost. Thyssenkrupp leidet zudem unter den Managementfehlern der Vergangenheit wie dem milliardenschweren Desaster von Steel Americas in Übersee.

"Wir brauchen vor Weihnachten eine Entscheidung, wie es weitergeht", forderte Nasikkol. Der 52-Jährige sitzt auch im Aufsichtsrat des Konzerns. "Ein gutes Datum dafür wäre der 2. Nationale Stahlgipfel am 11. Dezember in Duisburg." Enttäuscht zeigte sich der Betriebsrat über die Reaktion insbesondere von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Dieser hatte mehrfach erklärt, der Stahlbranche helfen zu wollen, die Frage eines Staatseinstiegs beim größten deutschen Stahlkonzern stelle sich derzeit aber nicht. "Alle Lösungen ohne Staatsbeteiligung sind besser, weil Politiker selten bessere Unternehmer sind." Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier stieß ins selbe Horn.

Thyssenkrupp Steel Europe beschäftige 27.000 Mitarbeiter, betonte Nasikkol. "Hinzu kommen etwa 150.000 Arbeitsplätze in NRW in Unternehmen, die mit uns Geschäfte machen. Man muss sich fragen, will ich eine gute Industrie mit einem guten Produkt erhalten oder will ich zukünftig Arbeitslosigkeit finanzieren?" Die guten, tarifgebundenen Arbeitsplätze müssten gesichert werden. "Es ist völliger Quatsch zu sagen, ich ziehe mich zurück, Politik ist nicht der bessere Unternehmer. Wir wollen doch nicht, dass Politik als Vorstandsvorsitzender auftritt."

Bei der Demo am Freitag auf den Düsseldorfer Rheinwiesen käme wegen der Corona-Pandemie nur ein kleiner Teil der Belegschaft. "Wenn wir kein Gehör finden, dann muss man mit dem Zorn der Stahlarbeiter rechnen. Wir können viele Zelte vor der Staatskanzlei aufbauen. Dann bleiben wir solange, bis sich der Ministerpräsident zu uns bekennt."

BETRIEBSRATSCHEF - THYSSENKRUPP IST KEIN ZOMBIE-UNTERNEHMEN

"Wir befinden uns im Stahl in einer existenzgefährdenden Situation", machte Nasikkol deutlich. "Die gesamte Stahlindustrie hat über Monate eine Situation gehabt, wie es sie sonst allenfalls in Kriegszeiten gibt, dass Firmen einfach europaweit ihre Produktion stilllegen." Erschwerend sei hingekommen, dass die Chinesen ihre Stahlproduktion hochgefahren hätten, wodurch die Rohstoffkosten in die Höhe geschossen seien.

Kritik, bei einem Staatseinsteig könne das Geld einfach versickern, wies Nasikkol zurück. "Wir sind kein Zombie-Unternehmen. Wir waren in den letzten zehn Jahren trotz schlechter Manager-Leistungen in der Lage, Milliardenbeträge zum Konzern rüberzuschieben." Das Produkt Stahl sei alles andere als tot. Auch das Geschäftsmodell stimme. "Die Autoindustrie braucht unseren Stahl für ihre eigene Transformation zu einer CO2-freien Produktion." Vorstandschefin Martina Merz hält sich auch weitere Optionen offen wie eine Partnerschaft, eine Fusion oder einen Verkauf der Stahlsparte. Nasikkol ist skeptisch. "Ich kenne kein ausgereiftes Konzept für eine Partnerschaft mit einem anderen Konzern." Ein Staatseinstieg sei auch nötig, um die milliardenschweren Kosten für die Umstellung auf eine klimaneutrale Produktion zu stemmen. Ein Staatseinstieg sei jetzt die richtige Antwort auf die Krise. "In einem nächsten Schritt kann man wieder über den Zusammenschluss der deutschen Stahlproduzenten nachdenken."