MÜNCHEN (awp international) - Der Technologiekonzern Siemens zieht sich als Folge des Krieges in der Ukraine aus dem russischen Markt zurück. Die Einstellung betrifft vor allem das Zuggeschäft Mobility. Dabei musste das Unternehmen bereits millionenschwere Abschreibungen verkraften - weitere könnten folgen. Dennoch zeigte sich das Management zuversichtlich, die Gewinnprognose für das laufende Geschäftsjahr zu erfüllen - auch dank einer Reihe von Verkäufen von Randbereichen. Zudem laufen die Kerngeschäfte trotz eines schwierigen Marktumfeldes mit Lieferkettenproblemen und steigenden Kosten weiter rund. Die Auftragsbücher sind prall gefüllt.

Die Aktie verlor am Donnerstag zu Handelsbeginn massiv an Boden und rutschte um mehr als sechs Prozent ab, zuletzt lag sie mit 4,8 Prozent im Minus bei 111,20 Euro. Das zweite Geschäftsquartal des Technologiekonzerns falle durchwachsen aus, notierte JPMorgan-Analyst Andreas Willi. Dagegen sprach Simon Toennessen von Jefferies von einem soliden Quartal. Die Belastungen im Zusammenhang mit dem Russland-Geschäft sowie die schneller als gedachte Umstellung im Softwaregeschäft auf ein Abonnementmodell hätten auf den Gewinn im zweiten Quartal gedrückt. Dagegen hätten sich Auftragseingang und Umsatz besser entwickelt als erwartet.

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hatte Siemens bereits das Neugeschäft und internationale Lieferungen in das Land und nach Belarus eingestellt. Nun stellt der Konzern sein industrielles Geschäft dort ganz ein. "Die umfassenden internationalen Sanktionen sowie aktuelle und mögliche weitere Gegenmassnahmen beeinträchtigen unser Geschäft dort signifikant - ganz besonders das Service- und Instandhaltungsgeschäft bei Mobility", sagte Vorstandschef Roland Busch in einer Telefonkonferenz. Siemens erzielt mit etwa 3000 Mitarbeitern rund ein Prozent des Konzernumsatzes in Russland und Belarus.

Es sei keine einfache Entscheidung gewesen, so Busch. Die Umsetzung sei bereits gestartet worden. "Wir haben damit begonnen, den verbliebenen operativen Betrieb und alle industriellen Geschäftstätigkeiten abzuwickeln."

Das Russland-Geschäft hat Siemens im zweiten Quartal (Ende März) das Ergebnis verdorben. So verbuchte das Unternehmen eine Belastung unter anderem aus Abschreibungen von rund 600 Millionen Euro. Ausserdem hält das Management weitere Belastungen im niedrigen bis mittleren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich für möglich - der Zeitpunkt, wann diese verbucht würden, sei noch offen. "Der zeitliche Rahmen ist dabei schwer vorhersehbar, weil die Abwicklung von juristischen Gesellschaften auch von Faktoren abhängt, die sich unserer Kontrolle entziehen - nicht zuletzt von lokalen Regelungen, die sich schnell ändern können", sagte Busch.

Wegen der Russland-Belastungen musste Siemens im zweiten Quartal einen deutlichen Ergebnisrückgang hinnehmen. So sank der Gewinn nach Steuern um fast die Hälfte auf 1,2 Milliarden Euro. Dazu belastete die schwache Entwicklung von Siemens Energy, an der Siemens noch mehr als ein Drittel der Anteile hält. Im Vorjahr hatte Siemens hingegen zusätzlich von einem Gewinn aus dem Verkauf von Flender profitiert. Das Ergebnis des industriellen Geschäfts verringerte sich um 13 Prozent auf knapp 1,8 Milliarden Euro. Dabei profitierte Siemens von einer robusten Entwicklung bei der Medizintechniktochter Healthineers, die bereits in der vergangenen Woche Zahlen vorgelegt hatte.

Dazu verzeichnete Siemens ein starkes Auftragsbuch. So stiegen die Auftragseingänge um knapp ein Drittel auf fast 21 Milliarden Euro. Die Umsätze nahmen um 16 Prozent auf 17 Milliarden Euro zu. Wachstumstreiber waren dabei das Digitalisierungsgeschäft, und hier insbesondere die Fabrikautomation. Dagegen ging das Softwaregeschäft zurück, das derzeit von einem Lizenz- auf ein Abonnementmodell umgestellt wird, was kurzfristig auf Umsatz und Ergebnis drückt.

Die Ergebnisprognose bekräftigte Siemens. Konzernweit soll der Gewinn je Aktie bereinigt um bestimmte Kaufpreiseffekte von 8,32 Euro im Vorjahr auf 8,70 bis 9,10 Euro steigen. Dabei profitiert der Konzern auch vom Verkauf von Randgeschäften. So soll die Veräusserung des Post- und Paketgeschäfts von Siemens Logistics sowie von Yunex Traffic noch in der zweiten Hälfte des Geschäftsjahres abgeschlossen werden. Die gestiegenen Kosten will das Unternehmen durch Preiserhöhungen ausgleichen.

Beim Umsatz zeigt sich das Management um Konzernchef Roland Busch mit einem erwarteten vergleichbaren Umsatzplus von sechs bis acht Prozent etwas optimistischer als zuvor. Bislang hatte das Unternehmen einen mittleren einstelligen prozentualen Anstieg in Aussicht gestellt. Dabei herausgerechnet sind Währungs- sowie Portfolioeffekte. Dabei kann Siemens auf einen Rekordauftragsbestand von 94 Milliarden Euro blicken. Der grösste Anteil der Umsatzerlöse für das zweite Halbjahr stehe bereits in den Büchern, so Busch.

Risiken für das dritte Quartal ergeben sich nach dem Wiederaufflammen der Corona-Pandemie sowie daraus folgenden Teillockdowns für das China-Geschäft. "Fehlende Lieferungen aus Shanghai wirken sich auf den Rest von China aus und darüber hinaus. Die Lieferketten sind unterbrochen und die Logistik stockt", sagte Busch. Die Fabriken in Shanghai arbeiteten zwar entweder in einem geschlossenen Kreislauf oder würden gerade wieder hochfahren. "Die Lage ändert sich aber täglich, und wir rechnen nicht damit, dass wir verlorene Produktionszahlen im dritten Quartal wieder vollständig aufholen können."/nas/men/eas