(neu: weitere Details, aktualisierte Kursreaktion, mehr Analysten)

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Der Energietechnikkonzern Siemens Energy hat im vergangenen Geschäftsjahr einen milliardenschweren Rekordverlust verzeichnet. Ursache sind die Probleme im Windkraftgeschäft, die Siemens Energy regelmäßig die Bilanz verhageln. Auch für das neue Geschäftsjahr 2023/24 (per Ende September) erwartet das Management um Konzernchef Christian Bruch einen hohen Verlust bei Siemens Gamesa. Die Windkraft dürfte die Gewinnschwelle erst 2025/26 erreichen - und damit zwei Jahre später als ursprünglich geplant.

Angesichts der Einigung von Siemens Energy mit Banken und dem Bund über Garantien zur Absicherung von Aufträgen sowie eine Abmachung mit der ehemaligen Konzernmutter Siemens über den Verkauf von Anteilen des Indien-Geschäfts zur Stärkung der Bilanz gerieten die Zahlen jedoch in den Hintergrund. Am Finanzmarkt konzentrierte man sich ebenfalls überwiegend darauf. Einige Analysten halten dabei nun das Risiko einer Kapitalerhöhung zunächst erst einmal für gesunken. Allerdings sagte Finanzvorständin Maria Ferraro in einer Analystenkonferenz, dass eine solche Maßnahme durchaus eine Option für die Zukunft sein könnte.

Die im Dax notierte Aktie gewann zwischenzeitlich fast neun Prozent. Am frühen Nachmittag lag sie noch mit knapp sechs Prozent im Plus. Der Aktienkurs war nach Bekanntwerden der Gespräche mit dem Bund massiv eingebrochen.

Am Vortag hatte das Bundeswirtschaftsministerium im Ringen um Garantien für Siemens Energy einen Durchbruch gemeldet. Private Banken gewähren Siemens Energy Garantielinien von insgesamt 12 Milliarden Euro. Diese werden teilweise durch die Bürgschaft des Bundes von 7,5 Milliarden Euro abgesichert. Insgesamt geht es um Garantien von 15 Milliarden Euro, mit denen Aufträge abgesichert werden sollen. Zudem spricht der Konzern mit anderen Ländern wie Spanien über Garantien als Teil des Pakets, wie Bruch am Mittwoch bei der Vorlage der Jahresbilanz sagte. Dabei sollen laut Siemens Energy 3 Milliarden von anderen Beteiligten kommen. Diese Summe werde durch eine Kombination aus staatlichen Programmen in anderen Ländern, der EU und der Optimierung von Garantien gesichert.

Zudem wird Siemens Energy 18 Prozent an der indischen Gesellschaft Siemens Limited an seinen früheren Mutterkonzern Siemens verkaufen, um seine Bilanz zu verbessern. Bisher hält Energy als Folge seiner Ausgliederung aus dem Siemens-Konzern im Jahr 2020 noch 24 Prozent daran. Der Erlös soll bei 2,1 Milliarden Euro liegen.

Darüber hinaus haben sich Siemens Energy und Siemens darauf geeinigt, dass Siemens ein mögliches Ausfallrisiko der Garantien von bis zu einer Milliarde Euro absichert. Als Absicherung hierfür ist unter anderem ein Aktienpaket von fünf Prozent an dem Indien-Geschäft vorgesehen. Siemens werde keine neuen Garantien für Siemens Energy gewähren, teilte der Technologiekonzern separat mit.

Das neue Geschäftsjahr wird zunächst weiter von den Problemen bei Siemens Gamesa geprägt sein. So dürfte im Windgeschäft nochmals ein bereinigter Verlust von rund zwei Milliarden anfallen, teilte Siemens Energy in München mit. Gamesa kämpft mit Qualitätsproblemen mit Landturbinen, Anlaufschwierigkeiten bei Meeresanlagen (Offshore) und deutlich höheren Kosten. Der Verkauf der neuen Landturbine 5.X ist derzeit ausgesetzt, im Offshore-Bereich konzentriert sich das Unternehmen vorerst auf den Hochlauf der Fabriken. Aufträge sollen selektiver angenommen werden. Deswegen rechnet Siemens Energy mit niedrigen Auftragseingängen in der Windsparte.

Die Rückkehr zur Gewinnschwelle sieht Vorstandschef Bruch für Gamesa erst im Geschäftsjahr 2025/26. Um dies zu schaffen und Gamesa wieder profitabel zu machen, werde derzeit der Umfang der Geschäfte der Windkraftsparte überprüft. Weitere Details sollen am Kapitalmarkttag am 21. November veröffentlicht werden. Jedoch kündigte der Vorstandschef an, sich auf bestimmte Regionen und Produkte zu konzentrieren. Die Windkraft als Ganzes stehe nicht zur Disposition, auch im Onshore-Bereich nicht, sagte Bruch. Trotz der Belastungen sieht er "gute Fortschritte" bei Gamesa.

Das Windgeschäft riss Siemens Energy im vergangenen Geschäftsjahr tief in die roten Zahlen. Das Unternehmen wies 2022/23 (per Ende September) einen Verlust nach Steuern von knapp 4,6 Milliarden Euro aus. Ein Jahr zuvor hatte das Minus bei 712 Millionen Euro gelegen. Im vierten Geschäftsquartal fiel nochmals ein Verlust von 870 Millionen Euro an. Die restlichen Geschäfte laufen solide, können die Verluste im Windbereich aber nicht ausgleichen.

"In einem äußerst herausfordernden Jahr für Siemens Energy wachsen zwei Drittel unserer Geschäfte profitabel und haben ihre Jahresziele erreicht oder übertroffen", sagte Bruch. Die Nachfrage nach den Produkten von Siemens Energy ist weiter hoch: Im abgelaufenen Geschäftsjahr lag der Auftragseingang mit gut 50 Milliarden Euro rund ein Drittel höher als 2022. Der Auftragsbestand wuchs um gut ein Siebtel auf 112 Milliarden.

Im neuen Geschäftsjahr soll der Verkauf von Geschäftsteilen die Ergebnisentwicklung stützen. Siemens Energy erwartet 2,5 Milliarden bis 3,0 Milliarden Euro Mittelzuflüsse aus Veräußerungen und aus einem beschleunigten Portfolioumbau. Einschließlich dessen geht das Management für 2023/24 von einem Gewinn nach Steuern von bis zu einer Milliarde Euro aus. Darin enthalten ist auch der Verkauf des Indien-Geschäfts. Ohne die Beiträge geht Bruch von einem Verlust aus.

Die um Sondereffekte bereinigte Ergebnismarge sieht Siemens Energy bei minus zwei bis plus einem Prozent. Im abgelaufenen Geschäftsjahr war ein Minus von 8,9 Prozent angefallen. Bis 2025/26 will der Energietechnikkonzern hier wieder deutliche Verbesserungen erreichen und strebt fünf bis sieben Prozent an. Neben dem erhofften Turnaround bei Gamesa sollen die Netztechnik sowie die Industrietransformation für eine bessere Profitabilität sorgen.

Jefferies-Analyst Simon Toennessen bemängelte den Ausblick für das laufende Geschäftsjahr, insbesondere bezüglich Margen und Mittelflüssen. Zudem nannte er das vierte Geschäftsquartal durchwachsen. Philip Buller von der Privatbank Berenberg sieht hingegen positive Anzeichen bei Gamesa, zumindest hätten sich die Situation bei der Windkrafttochter nicht verschlimmert. Der Höhepunkt der Verluste und Negativ-Schlagzeilen scheine hinter dem Unternehmen zu liegen. /nas/stw/men/mne/mis