Von Rochelle Toplensky

LONDON (Dow Jones)--Der neue Chef von Shell hat Geld zur Verfügung und den Rückhalt, schnell zu handeln. Noch ist unklar, ob er einen anderen Kurs als sein Vorgänger einschlagen wird.

Das Öl- und Gasunternehmen gab am Donnerstag bekannt, dass Wael Sawan zu Beginn des nächsten Jahres Vorstandsvorsitzender werden wird. Der Chemieingenieur mit Harvard-Abschluss gehört seit 25 Jahren zum Unternehmen. Er verfügt über Erfahrungen in allen Produktbereichen des Konzerns rund um den Globus. Derzeit leitet er den Geschäftsbereich Integrierte Gas-, Erneuerbare Energien- und Energielösungen.

Chairman Sir Andrew Mackenzie deutete an, dass es zu Veränderungen kommen wird. Er lobte die "mutigen Schritte" des scheidenden CEO Ben van Beurden und sagte: "Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Wael, wenn wir die Umsetzung unserer Strategie beschleunigen." Die verhaltene Reaktion des Aktienkurses am Donnerstag deutet darauf hin, dass die Anleger erst einmal abwarten wollen, welche Teile des riesigen Geschäfts von Shell beschleunigt werden könnten.

Shells derzeitige, breit angelegte Strategie wurde im Februar 2021 festgelegt. Sie umfasst gezielte Investitionen in Öl und Gas sowie die Erprobung einer Reihe potenzieller kohlenstoffarmer Zukunftsgeschäfte. In erster Linie ging es jedoch darum, das Vertrauen der Anleger wiederherzustellen, nachdem das Unternehmen in der Zeit der Pandemie eine Kürzung seiner Dividende vorgenommen hatte. Inzwischen sind die Anleger wieder versöhnt, und die Shell-Aktien werden mit einem bescheidenen Aufschlag gegenüber den europäischen Konkurrenten gehandelt.


   Neuer CEO wird ein Zeichen setzen wollen 

Die vergangenen 18 Monate waren ereignisreich: steigende Inflation, eine verzögerte wirtschaftliche Erholung einhergehend mit Lieferkettenengpässen, die Invasion in der Ukraine, weltweit explodierende Öl- und Gaspreise und das Ende fast aller Gaslieferungen aus Russland nach Europa.

Shells neuer Chef wird über die Bilanz und den Cashflow verfügen, um einige kühne Schritte zu wagen. Und er wird wahrscheinlich ein Zeichen setzen wollen. Ein bedeutender grüner Schritt nach vorne wäre die Kürzung der Investitionen in fossile Brennstoffe bei gleichzeitiger Aufstockung der Ausgaben für erneuerbare Energien, grünen Wasserstoff, nachhaltigen Flugzeugtreibstoff und ähnliches. Kurz nachdem Bernard Looney 2020 die Leitung des rivalisierenden BP-Konzerns übernommen hatte, kündigte er mit dem Eifer eines Neubekehrten eine ehrgeizige Umstellungsstrategie an, obwohl sein Unternehmen zum damaligen Zeitpunkt zugegebenermaßen nicht zu den Vorreitern unter den europäischen Öl- und Gaskonzernen gehörte.

Der Trend zu sauberen Energien hat sich verstärkt, vor allem weil die Öl- und Gaspreise steigen und die Versorgungssicherheit nachgelassen hat. Die Europäer beschleunigen den Ausbau von erneuerbaren Energien. Sie setzen auf Energieeffizienz und auch auf Wasserstoff, um ihre Abhängigkeit von russischem Öl und Gas zu verringern. Viele Industriekunden haben Zusagen zur Emissionsreduzierung gemacht, die angesichts der zunehmenden Kontrolle auch eingehalten werden müssen.


   Investitionen in fossile Brennstoffe mit Risiken behaftet 

Anderseits könnten die hohen Weltmarktpreise den neuen CEO von Shell dazu verleiten, mehr in Öl und Gas zu investieren. Schnell umsetzbare Projekte könnten sehr profitabel sein und die dringend benötigte Energiesicherheit bieten, insbesondere wenn die erwartete Rezession mild ausfällt. Mehrjährige Projekte könnten hingegen riskant sein, wenn die derzeitigen Maßnahmen zur Beschleunigung der Energieeffizienz und Dekarbonisierung erfolgreich sind. Angesichts eines niederländischen Gerichtsbeschlusses, der das Unternehmen zur Senkung seiner Emissionen verpflichtet, könnte es auch rechtliche Risiken geben.

Die Vereinten Nationen haben erklärt, dass die Welt in diesem Jahrzehnt eine deutliche Dekarbonisierung erreichen muss, wenn sie die globale Erwärmung noch eindämmen will. Sawan könnte durchaus noch im Jahr 2030 an der Spitze des Unternehmens stehen. Somit besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er während seiner Amtszeit zumindest über eine Beschleunigung des grünen Wandels bei Shell sprechen wird.

Für die Anleger wird es aufschlussreich sein, wie sich das Kapitalbudget des Unternehmens entwickelt, denn letztendlich strebt alles immer dorthin, wo das Geld zu holen ist.

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September 16, 2022 04:06 ET (08:06 GMT)