Referat
Sperrfrist
30. März 2023, 18.00 Uhr
Swiss Payments Vision - ein Ökosystem für einen zukunftsfähigen Zahlungsverkehr Geldmarkt-Apéro
Andréa M. Maechler und Thomas Moser∗
Mitglied des Direktoriums / Stellvertretendes Mitglied des Direktoriums Schweizerische Nationalbank
Zürich, 30. März 2023 © Schweizerische Nationalbank
∗ Die Referenten danken Dirk Faltin, Basil Guggenheim, Matthias Jüttner, Mico Loretan, Benjamin Müller, Andreas Wehrli und Michael
Zimmert für die Unterstützung bei der Vorbereitung dieses Vortrags. Ihr Dank geht zudem an Sébastien Kraenzlin, Raphael Reinke und Tanja Zehnder für ihre wertvollen Kommentare sowie an den Sprachendienst der SNB für die Übersetzung des Textes.
Meine sehr geehrten Damen und Herren
Herzlich willkommen zum Geldmarkt-Apéro der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Mein Kollege Thomas Moser und ich freuen uns sehr, dass wir diesen Anlass zum ersten Mal seit 2019 in Zürich wieder in Person abhalten können.
Die SNB war in den vergangenen Wochen in der ganzen Breite ihres gesetzlichen Auftrags aktiv. Einerseits haben wir an unserer geldpolitischen Lagebeurteilung vor einer Woche unseren Leitzins um 50 Basispunkte auf 1,5% angehoben. Damit wirken wir dem nochmals gestiegenen Inflationsdruck entgegen. Um für angemessene monetäre Bedingungen zu sorgen, sind wir zudem weiterhin bereit, bei Bedarf am Devisenmarkt aktiv zu sein. Seit einigen Quartalen stehen dabei Devisenverkäufe im Vordergrund. Andererseits kam es in den letzten Wochen zu einem Vertrauensverlust in die Credit Suisse. Um Schaden von der Schweiz abzuwenden, haben die Behörden am vorletzten Sonntag weitreichende Massnahmen zur Wahrung der Finanzstabilität beschlossen. Die Nationalbank leistete dabei im Rahmen ihres Mandats ihren Beitrag zu dieser Lösung und trat als Kreditgeberin letzter Instanz auf, um die Stabilität des Schweizer und des globalen Finanzsystems zu sichern. Heute geht es um ein weiteres Element unseres Mandats, der Sicherstellung eines gut funktionierenden Zahlungsverkehrs in der Schweiz. Alle drei Elemente - Preisstabilität, Finanzstabilität und ein funktionierender Zahlungsverkehr - sind wichtig für das Vertrauen der Bevölkerung in das Geld.
Heute Abend befassen wir uns mit der Zukunft des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Der Zahlungsverkehr befindet sich zurzeit in einem weitreichenden Wandel, sowohl in der Schweiz als auch weltweit. Die massgeblichen Taktgeber dieses Wandels sind die fortschreitende Digitalisierung und der zunehmende Einsatz neuer Technologien wie der Distributed-Ledger-Technologie (DLT). Diese ermöglichen neue Geldformen und können die Art und Weise, wie wir Zahlungen tätigen, grundlegend verändern.
Die Leitfrage unserer Rede lautet: Wie kann das Potential der Digitalisierung und der neuen Technologien im Zahlungsverkehr genutzt werden und das Vertrauen in den Zahlungsverkehr und das Geld selbst bewahrt werden? In anderen Worten: Wie können wir Neues schaffen und gleichzeitig Bewährtes sichern?
Um dies zu erreichen, braucht es zunächst eine gute Arbeitsteilung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor. Der öffentliche Sektor schafft das Fundament für das Vertrauen der Bevölkerung in das Geld. Dazu gehören eine stabilitätsorientierte Geld- und Fiskalpolitik, ein klarer ordnungspolitischer Rahmen mit soliden Institutionen, Finanzstabilität sowie ein sicherer und effizienter Zahlungsverkehr.
Der private Finanzsektor spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Innovationen und der Nutzung neuer Technologien für innovative Kundenlösungen. Er kennt die Bedürfnisse von Unternehmen und Endkunden am besten und ist in der Lage, effiziente Lösungen für diese zu entwickeln.
Der private Finanzsektor und die Nationalbank müssen gemeinsam die richtigen Schritte unternehmen, damit sich Innovationen auf sicherer Basis entfalten können. Dafür braucht es eine gemeinsame Vision für den Finanzplatz Schweiz - eine Swiss Payments Vision, die wir bereits vor zwei Jahren an einem unserer Geldmarkt-Apéros erwähnt haben. Diese Vision sieht den künftigen bargeldlosen Zahlungsverkehr in der Schweiz als ein effizientes, zuverlässiges und sicheres Ökosystem vor. Zusätzlich muss dieses Ökosystem auch schnell und in Bezug auf neue Bezahllösungen, neue Technologien und über nationale Grenzen hinweg interoperabel sein.
Bevor wir weiter in die Zukunft blicken, lassen Sie mich das Augenmerk auf drei Prinzipien legen, welche für das Vertrauen im heutigen Zahlungssystem fundamental sind und die uns als Leitlinien für die Weiterentwicklung des Schweizer Zahlungsverkehrs dienen.
Grundlagen des Vertrauens in das heutige Zahlungssystem
Das erste Prinzip ist die enge Verzahnung von privatem Geld und Zentralbankgeld (siehe Folie 1). Diese Verzahnung ermöglicht eine effiziente Arbeitsteilung zwischen Geschäftsbanken und der Zentralbank, und findet ihren Ausdruck im zweistufigen Finanzsystem.
Zentralbanken emittieren Geld in Form von Bar- und Buchgeld. Bargeld können alle halten. Zentralbank-Buchgeld hingegen können nur regulierte Geschäftsbanken1 in Form von Sichtguthaben bei der Zentralbank halten. In der Grafik sehen wir in Blau die Zentralbank als Bank der Geschäftsbanken. Sie führt die Konten der Geschäftsbanken, setzt die Geldpolitik um und übt ihre Funktion als Kreditgeberin letzter Instanz aus, indem sie den Geschäftsbanken Liquidität in Form von Sichtguthaben zur Verfügung stellen kann.2
Geschäftsbanken schaffen privates Geld in Form von Buchgeld, welches die die Kundinnen und Kunden auf Konten bei ihnen halten. Sie stehen im Wettbewerb miteinander und sind daher daran interessiert, die Bedürfnisse ihrer Kundschaft bestmöglich zu erfüllen, indem sie ihnen Bankdienstleistungen wie Kredite und Bezahllösungen anbieten. Zudem sind sie für die Einhaltung von Geldwäscherei- und Know-Your-Customer-Bestimmungen verantwortlich.
Geschäftsbanken sind damit das Bindeglied zwischen dem in blau dargestellten Finanzsystem mit der Zentralbank im Kern und der übrigen Wirtschaft (in grün dargestellt). Hier spielt eine solide und angemessene Regulierung eine wichtige Rolle. Die Banken dürfen privates Geld schaffen und können Liquidität bei der Zentralbank beziehen - dafür müssen sie aber gleichzeitig strikte Kapital- und Liquiditätsanforderungen erfüllen.
1 Neben Geschäftsbanken haben noch weitere Akteure - wie beispielsweise der Bund oder verschiedene Finanzinstitute - Zugang zu Zentralbank-Buchgeld. Diese werden hier der Einfachheit halber vernachlässigt.
2 Um die Abwicklung des Zahlungsverkehrs zu erleichtern, stellt die Nationalbank den Geschäftspartnern während des Tages zinslos Liquidität (über die Innertagsfazilität) zur Verfügung. Zur Überbrückung von unerwarteten Liquiditätsengpässen bietet die Nationalbank eine Engpassfinanzierungsfazilität an, wobei die Liquidität zu mindestens 110% mit SNB-repofähigen Effekten gedeckt sein muss.
Dies bringt mich zum zweiten Prinzip: Alle für das Gesamtsystem bedeutsamen Zahlungen sollen in risikolosem Zentralbankgeld abgewickelt werden (siehe Folie 2).3 Dies ist anhand der dunkelblauen Linien dargestellt.
Neben dem vertrauensfördernden Einsatz von Zentralbankgeld als Zahlungsmittel ist auch eine zuverlässige Abwicklung der Zahlungen nötig. Es braucht einen Mechanismus, der die Übergabe von Bargeld in digitaler Form für Geschäftsbanken nachbildet, d.h. einen Übertrag in Echtzeit, der final und unwiderruflich ist. Ein Typ von Zahlungssystem der dies erfüllt, wurde in den 1980er Jahren weltweit durch die sogenannten Real-Time-Gross-Settlement-Systeme (RTGS) eingeführt. In der Schweiz waren wir mit der Entwicklung des Swiss Interbank Clearing (SIC) 1987 eine Vorreiterin.4
In einem RTGS-System wird jede Zahlung einzeln in Zentralbankgeld und in Echtzeit abgewickelt. Eine Zahlung wird genau dann und nur dann ausgeführt, wenn die zahlende Geschäftsbank über ausreichende Sichtguthaben verfügt. Deshalb kann sich die empfangende Geschäftsbank darauf verlassen, dass sie risikoloses Geld erhält. Damit sind Zahlungen im SIC-System final und unwiderruflich und tragen zum Vertrauen in den Zahlungsverkehr bei. Die Abwicklung in Zentralbankgeld schafft einen stabilen Kern im Zahlungssystem, auf dem innovative Kundenlösungen und neue Technologien florieren können.
Das dritte Prinzip ist die möglichst nahtlose Integration von Zahlungssystemen, Bezahllösungen und Geldformen (siehe Folie 3). Man spricht auch von einem hohen Mass an Interoperabilität: Franken müssen über verschiedene Geldformen und Zahlungssysteme hinweg nahtlos und 1:1 getauscht werden können. Mangelnde Interoperabilität führt zu Friktionen, die sich in höheren Kosten und Zeitverzögerungen äussern und die Verwendbarkeit des Geldes einschränken.
Die drei Prinzipien - zweistufiges System, Abwicklung in Zentralbankgeld und nahtlose Integration im Ökosystem - sind bewährte und gleichzeitig notwendige Anforderungen.
Der Zahlungsverkehr erfährt zurzeit einen weitreichenden Wandel, sowohl in der Schweiz als auch weltweit. Welches sind die wichtigsten Herausforderungen, die dieser Wandel mit sich bringt?
Herausforderungen aufgrund von Innovationen und Wandel
Die erste Herausforderung betrifft die erhöhte Geschwindigkeit, die bei Zahlungen gefordert wird (siehe Folie 4). FinTech- und BigTech-Unternehmen kommen dem weitverbreiteten Wunsch ihrer Kundschaft nach immer schnelleren und bequemeren Bezahllösungen nach. Diese Unternehmen haben innovative Lösungen entwickelt, indem sie Technologien wie
3 Es ist entscheidend, dass für das Gesamtsystem bedeutsame Zahlungen über ein Konto bei der Zentralbank abgewickelt werden. Wenn eine Zahlung auf einem Geschäftsbankkonto abwickelt wird, entsteht ein Kreditrisiko. Nur eine Abwicklung auf einem Konto bei der Zentralbank - also in Zentralbankgeld - unterliegt keinem Kreditrisiko, da die Zentralbank die einzige Institution ist, die nicht Konkurs gehen kann.
4 Das SIC-System wird vom Unternehmen SIX Interbank Clearing im Auftrag der SNB betrieben.
künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und eine schnelle Datenverarbeitung nutzen. In einer sich schnell bewegenden Welt ist die Fähigkeit, Daten in Echtzeit zu analysieren, von höchster Bedeutung. Dies hat zu einer Datenrevolution in der Finanzbranche geführt, die sich auch in den Zahlungsverkehrs-Dienstleistungen niederschlägt.
Die zweite Herausforderung besteht darin, die Interoperabilität zwischen alten und neuen Technologien, wie die Distributed-Ledger-Technologie - kurz DLT - zu ermöglichen. DLT bietet die Möglichkeit, Vermögenswerte wie Geld oder Wertschriften auf einem verteilten Register abzubilden und zu verwalten. Traditionelle Finanzinstitute werden dabei zumindest im Prinzip nicht mehr für eine Zahlung benötigt.
Es ist zu früh, um zu erahnen, wohin die Reise geht. Klar ist aber, dass sich Innovationen idealerweise so entfalten sollten, dass sie die Sicherheit und Effizienz des Zahlungsverkehrs nicht gefährden. Dafür braucht es eine gemeinsame Vision für den Finanzplatz Schweiz - eine Swiss Payments Vision. Damit die Vision Realität wird, müssen Wege gefunden werden, um bargeldlose Werttransfers unmittelbar vom Zahler zum Empfänger sicher und schnell zu ermöglichen und neue Zahlungsinstrumente, Geldformen und Technologien nahtlos miteinander zu integrieren. Geschwindigkeit und Interoperabilität im Zahlungsverkehr gilt es unter Wahrung unserer drei Prinzipien zu verbessern.
End-to-end Werttransfers - Instant Payments in der Schweiz
Die Erfolgsgeschichte von Bezahl-Apps wie Twint zeigt eindrücklich, dass es ein grosses Bedürfnis nach schnellen Bezahllösungen gibt (siehe Folie 5). «Twinten» ist nicht ohne Grund als Verb in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeflossen. Twintet man Geld, wird es in Echtzeit dem Konto der zahlungsempfangenden Person gutgeschrieben.
Aber anders als es das Endkundenerlebnis vermuten lässt, findet beim Twinten kein sofortiger finaler Wertübertrag zwischen den beteiligten Geschäftsbanken statt. Die einzelnen Zahlungen werden vielmehr zwischen den Geschäftsbanken nur verzögert ausgeglichen. Obwohl die Endkunden sofort über das Geld verfügen können, entstehen zwischen den Geschäftsbanken zunächst nur Zahlungsversprechen - und damit Kreditrisiken.
Nur bei einem sofortigen und finalen Werttransfer gibt es diese Kreditrisiken nicht. Instant Payments ermöglichen genau das: Die vollständige Abwicklung von Kundenzahlungen in Echtzeit, rund um die Uhr und von Kundin zu Kunde («End to End»). Durch die Abwicklung sämtlicher Zahlungsschritte in Echtzeit bringen Instant Payments wichtige Vorteile für die Endkunden, die Geschäftsbanken und die Volkswirtschaft.
Instant Payments ermöglichen kürzere Abwicklungsketten. Je kürzer die Abwicklungskette, desto geringer die Risiken. Dies sollte die Kosten senken, denn eine Risikoübernahme ist nicht gratis und kann sich in den Zahlungsgebühren niederschlagen.
Ein weiterer wichtiger Vorteil von Instant Payments ist die mögliche Automatisierung von Prozessen und die Verknüpfung mit weiteren Dienstleistungen innerhalb eines Unternehmens. Stellen Sie sich beispielsweise das Geschäftsmodell eines Online-Händlers vor, der sein
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SNB - Swiss National Bank published this content on 30 March 2023 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 30 March 2023 16:04:51 UTC.