Zürich (awp) - In einem Interview mahnt der neue Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Martin Schlegel, die Inflationsgefahr sei weiterhin gross. Steigende Energiepreise und Mieten könnten zu einer höheren Inflationsrate führen. Am Immobilienmarkt macht der Notenbanker ein "Signal der Resilienz" aus.

"Wir sagen für nächstes und übernächstes Jahr einen Rückgang der Teuerung voraus. Aber die Inflationsgefahr ist immer noch gross", sagte Schlegel gegenüber der "Finanz und Wirtschaft" (online 28.10.) in seinem allerersten Interview.

Das grösste Risiko betreffe die Energiepreise. Hier könne es nach wie vor zu Engpässen kommen, beispielsweise falls sich der Krieg in der Ukraine verschärfen sollte. Die SNB verfolge aber auch andere Faktoren genau wie etwa die Mieten. Und nicht zu vergessen seien die Strompreiserhöhungen, die ab Januar im Landesindexsichtbar würden.

Starker Franken dämpft

Der starke Franken hat laut Schlegel in den vergangenen Monaten dazu beigetragen, die Inflation zu dämpfen. "Die SNB hat im letzten Herbst begonnen, den Franken nominal aufwerten zu lassen. Das war de facto unsere erste geldpolitische Straffung", so Schlegel. Im Juni und im September habe man dann den Leitzins angehoben.

Man müsse unterscheiden zwischen der nominalen Entwicklung und der realen, sagte Schlegel auf die Frage, wie viel Frankenaufwertung die SNB noch zulasse. Der reale Wechselkurs sei seit Jahren "recht stabil". Die Inflationsdifferenz der Schweiz gegenüber dem Ausland sei gegenwärtig allerdings gross. Und das gehe mit einer nominalen Aufwertung des Frankens einher.

In Bezug auf die Unternehmen, die unter dem starken Franken leiden, sagte er: "Auch wenn für viele Unternehmen ein starker Franken nicht angenehm ist, aber in unserem Urteil eine Aufwertung aus geldpolitischer Sicht angezeigt ist, dann muss sie im Gesamtinteresse in Kauf genommen werden."

Eine Rezession erwartet er trotz der sich verlangsamenden Konjunktur aktuell nicht. Doch dies hänge von einer allfälligen Energiemangellage im umliegenden Europa ab. Falls eine solche eintrete, könnte es auch in der Schweiz Rezessionsszenarien geben, mahnt der Vize Präsident, der seit August im Amt ist.

Der hohe Halbjahresverlust der SNB hat bekanntlich das Eigenkapital der SNB stark verringert auf noch 10 Prozent der Bilanzsumme. Auf die Frage, was geschehe, wenn das Eigenkapital aufgebraucht sei, meinte Schlegel: "Unmittelbar hätte das keinen Einfluss auf die Nationalbank. Wir können auch mit negativem Eigenkapital unsere Aufgaben verfolgen und unser Mandat erfüllen." Dennoch sei es wichtig, dass die SNB genug Eigenkapital habe. "Es hilft der Glaubwürdigkeit einer Zentralbank, wenn sie gut kapitalisiert ist.

"Signal der Resilienz" am Immobilienmarkt

Am Immobilienmarkt sieht Schlegel auf die Frage nach einer möglichen Korrektur trotz der gestiegenen Zinsen bislang keine Trendwende. "Wenn höhere Zinsen nicht bewirken, dass der Immobilienmarkt reagiert, kann das auch ein Signal der Resilienz sein", meinte er. Dennoch schätze die SNB die Verwundbarkeit des Immobilienmarktes nach wie vor als hoch ein. "Die Preise sind höher als es sich mit fundamentalen Faktoren erklären lässt."

Die SNB habe zudem nicht den Auftrag, den Immobilienmarkt zu beeinflussen, sondern einen Beitrag zur Finanzstabilität zu leisten. "Das Finanzsystem muss ausreichend widerstandsfähig sein, sodass es einen Rückgang der Preise vertragen könnte", sagte Schlegel.

Die Banken benötigten folglich genügend Eigenkapital. In dieser Beziehung gibt er allerdings Entwarnung: "Die Eigenkapitalausstattung der inlandorientierten Banken schätzen wir gegenwärtig als ausreichend ein."

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