Zürich (Reuters) - Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat den höchsten Halbjahresverlust seit ihrer Gründung im Jahr 1907 eingefahren.

Auf 95,2 Milliarden Franken summierte sich der Fehlbetrag von Januar bis Juni 2022, wie die Notenbank am Freitag mitteilte. Der bisherige Rekordverlust von 50 Milliarden Franken stammte aus dem Jahr 2015. Treiber des Ergebnisses waren der Einbruch der Aktien- und Anleihemärkte sowie die Aufwertung des Frankens.

"Der Verlust ist historisch, aber das meiste davon ist ein nicht realisierter Buchverlust im Zusammenhang mit niedrigeren Bewertungen von Anleihen und Aktien", erklärte Credit-Suisse-Ökonom Maxime Botteron. Er denke nicht, dass das Ergebnis die SNB beunruhigen werde. "Ich glaube nicht, dass dies die Geldpolitik der SNB beeinflussen wird." Allerdings sei denkbar, dass die Auszahlung an den Staat im nächsten Jahr geringer ausfallen könnte. Im März hatte die SNB in Aussicht gestellt, im laufenden Jahr sechs Milliarden Franken an Bund und Kantone auszuzahlen - gleich viel wie vergangenes Jahr.

Das Ergebnis der SNB ist abhängig von Wertschwankungen ihrer Hunderte Milliarden Franken schweren Devisenreserven. Dazu zählen Aktien und Anleihen aus dem Ausland. Fremdwährungen kauft die Notenbank, um bei Bedarf eine wirtschaftsschädliche Aufwertung des in Krisenzeiten als sicherer Hafen gefragten Franken zu unterbinden.

Im ersten Halbjahr verlor die SNB mit Anleihen 48,7 Milliarden Franken, mit Aktien weitere 44 Milliarden. Dazu kamen wechselkursbedingten Verluste in Höhe von 10,3 Milliarden Franken, weil der stärkere Franken den Wert der ausländischen Anlagen weiter reduzierte. Ein kleines Gegengewicht bildete der Goldbestand, der sich um 2,4 Milliarden Franken aufwertete. Als Zentralbank kann die SNB nicht in Liquiditätsprobleme geraten, weil sie ihren Zahlungsverpflichtungen durch das Drucken von Geld nachkommen kann.

Ein SNB-Sprecher erklärte, der Rekordverlust werde keinen Einfluss auf die Geldpolitik der Zentralbank haben. "Unser Mandat ist unverändert, wir fokussieren uns auf Preisstabilität." SNB-Chef Thomas Jordan hatte im vergangenen Jahr gesagt, Gewinne zu erwirtschaften sei nicht die Aufgabe der SNB, sondern die Inflation unter zwei Prozent zu halten. "Das geldpolitische Mandat der SNB hat immer Vorrang, und es kann auch Zeiten geben, in denen die Erfüllung dieses Mandats bedeutet, Verluste in Kauf zu nehmen", sagte er im April 2021 zu den SNB-Aktionären. Die Notenbank erhöht im Juni zum ersten Mal seit 15 Jahren die Zinsen, um die steigende Inflation in den Griff zu bekommen. Experten erwarteten weitere Zinsschritte.

(Bericht von John Revill und Oliver Hirt, redigiert von Sabine Ehrhardt. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)