Referat

Sperrfrist

11. November 2021,

18.30 Uhr

Devisenmarkt im Umbruch: Implikationen für die Nationalbank

Geldmarkt-Apéro

Andréa M. Maechler und Thomas Moser*

Mitglied des Direktoriums / Stellvertretendes Mitglied des Direktoriums Schweizerische Nationalbank

Genf, 11. November 2021

© Schweizerische Nationalbank (Referat auf Französisch)

  • Die Referenten danken Linda Kirschner und Carolin Reiss für die Unterstützung bei der Vorbereitung dieses Vortrags. Ihr Dank geht zu- dem an Benjamin Anderegg, Irma Cruz, Lukas Frei, Alain Kouo, Mico Loretan, Thomas Maag und Alexander Wehrli für ihre wertvollen Kommentare sowie an den Sprachendienst der SNB.

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Meine Damen und Herren,

Es ist mir eine grosse Freude, Sie alle zum Geldmarkt-Apéro 2021 der Schweizerischen Nati- onalbank (SNB) in Genf willkommen zu heissen, sowohl online als auch persönlich.

Die letzten zwei Jahrzehnte waren geprägt von einschneidenden Veränderungen des Wirt- schaftslebens. Dazu zählen einerseits eine Reihe von Krisen wie die globale Finanzkrise, die europäische Staatsschuldenkrise und jüngst die Corona-Pandemie. Andererseits findet auch ein Strukturwandel auf verschiedensten Ebenen statt, der von der digitalen Revolution noch erheblich beschleunigt wird. Die Finanzmärkte sind davon besonders betroffen.

So haben neue Technologien, neue Akteure und neue Tools nicht nur das Erscheinungsbild der Märkte, sondern auch ihr Innerstes, d.h. die ihnen zugrundeliegende Dynamik, in den letz- ten Jahren merklich gewandelt. Für Marktteilnehmer und Zentralbanken gilt es daher folgende Punkte zu beurteilen: Wo kann man sich Innovationen zunutze machen, welche Chancen er- geben sich daraus und wie geht man mit allfälligen Risiken um? Wo handelt es sich «nur» um technologischen Fortschritt? Und wo gibt es weitreichendere, fundamentalere Konsequenzen?

Heute wollen wir uns dem Strukturwandel oder - genauer gesagt - dem Umbruch am Devi- senmarkt widmen. Am Devisenmarkt zeigen sich die relevanten Entwicklungen und Heraus- forderungen besonders deutlich: Das Handelsgeschehen hat sich in den letzten Jahren markant beschleunigt. Der Devisenmarkt ist heute ein sogenannter «fast-paced electronic market»; hochfrequent, elektronisch und komplex.

Für die Nationalbank haben diese Entwicklungen eine besondere Relevanz, da für uns der Aussenwert des Schweizer Frankens und damit auch der Devisenmarkt eine grosse Bedeutung haben. Der Wechselkurs ist zwar kein Ziel der Geldpolitik, er ist aber insofern relevant, als er die monetären Bedingungen und damit die Erfüllung unseres Auftrags, die Preisstabilität zu gewährleisten und dabei der konjunkturellen Entwicklung Rechnung zu tragen, erheblich be- einflusst. Veränderungen des Wechselkurses in einer kleinen, offenen Volkswirtschaft wie der Schweiz wirken sich massgeblich auf die Teuerung und die Konjunktur aus und müssen daher auch bei der Gestaltung der Geldpolitik berücksichtigt werden. Verändert die Nationalbank ihren Leitzins oder interveniert sie am Devisenmarkt, hat dies wiederum einen Einfluss auf den Wechselkurs. Beim Franken kommt hinzu, dass sein Aussenwert wegen seiner Rolle als internationaler sicherer Hafen in unsicheren Zeiten zur Aufwertung tendiert.

Neben der Bedeutung des Schweizer Frankens für die monetären Bedingungen in der Schweiz kommt dem Devisenmarkt auch für die Implementierung der Geld- und Anlagepolitik eine wichtige Rolle zu. Als Zentralbank ist die SNB daran interessiert, dass der Devisenmarkt je- derzeit gut funktioniert und seine Rolle für eine effiziente Preisfindung, etwa bei der Transmission der Geldpolitik, gut spielen kann. Als Teilnehmerin am Devisenmarkt liegt es zudem in unserer Verantwortung, möglichst effizient und effektiv am Markt aktiv zu sein. So wollen wir bei der Umsetzung der Geldpolitik mit dem Einsatz unserer Mittel einen möglichst gros-

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sen Effekt erzielen. Mit der Anlagepolitik im Rahmen der Bewirtschaftung unserer Wäh- rungsreserven, die den grössten Teil unserer über 1'000 Mrd. Franken grossen Bilanz ausma- chen, möchten wir unseren Einfluss hingegen möglichst geringhalten.

Mein Kollege Thomas Moser und ich werden Ihnen heute darlegen, welche Veränderungen wir am Devisenmarkt beobachten, welche Herausforderungen damit verbunden sind und was das für die SNB bedeutet.

Die Hauptbotschaft unseres Vortrags ist wie folgt: Der von der digitalen Revolution getrie- bene rasche Strukturwandel betrifft heute sämtliche Finanzmärkte und dürfte sich in den nächsten Jahren weiter beschleunigen. Als Zentralbank müssen wir die Entwicklungen und Änderungen an den Märkten - auf makroökonomischer und Markt-Mikrostruktur-Ebene - gut verstehen und die fundamentalen Konsequenzen frühzeitig erkennen. Wenn sich grundle- gende Dinge wie die Struktur und das Funktionieren des Marktes, die Preisfindung oder die Marktdynamik ändern, müssen Zentralbanken in der Lage sein, diese Änderungen zu identifi- zieren, um bei Bedarf darauf reagieren zu können.

Wir werden Ihnen heute am Beispiel des Devisenmarktes zeigen, dass es angesichts des tief- greifenden Wandels an den Finanzmärkten neben neuen Daten, neuen Technologien und neuen Kompetenzen auch eine gänzlich neue Daten- und Analyseinfrastruktur braucht, damit Zentralbanken auch in Zukunft Marktbeobachtung und Marktanalyse machen können, die State of the Art ist. Dabei dürfte es Sie wenig überraschen, dass Zentralbanken sich bereits seit einiger Zeit mit diesem Thema auseinandersetzen und ihre Kräfte in dieser Hinsicht bün- deln.

Unser Vortrag ist in drei Abschnitte gegliedert. Erstens schauen wir uns zunächst an, wie ge- nau der Strukturwandel aussieht, der am Devisenmarkt seit Jahren im Gang ist. Danach schauen wir uns zweitens verschiedene Herausforderungen auf operativer Ebene und auf Policy -Ebene an, die sich aus diesem Strukturwandel ergeben. Drittens erläutern wir, wie die SNB als Marktteilnehmerin und Marktbeobachterin auf diese Herausforderungen reagiert und welche Rolle dem FX Global Code in diesem Zusammenhang zukommt.

Digitale Innovationen führen zu Strukturwandel am Devisenmarkt

Der Devisenmarkt ist mit einem täglich gehandelten Volumen im Wert von 6.6 Bio. US-Dollar der weltweit grösste Finanzmarkt. Dabei handelt es sich aber nicht um einen zentralen Markt, vielmehr hat der Devisenmarkt eine dezentrale, fragmentierte Struktur (Grafik 1). Ein grundlegendes Merkmal dieses Marktes ist, dass der Handel am Devisenmarkt mehrheitlich Over the Counter erfolgt, d.h. er spielt sich bilateral zwischen einzelnen Parteien, generell über viele verschiedene, elektronische Handelsplattformen ab. Weil der Markt fragmentiert ist und Liquidität über viele verschiedene sogenannte Pools verteilt ist, gibt es nicht den einen Marktplatz und auch nicht den einen Preis für Devisen. Deshalb ist es wichtig, sich stets zu vergegenwärtigen, was eine dezentrale, fragmentierte Marktstruktur bedeutet: Mit dem Blick auf Preisangaben einer Handelsplattform sieht man immer nur einen Ausschnitt, nie aber das Gesamtbild des Marktes.

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Aufgrund digitaler Innovationen erlebt der Devisenmarkt seit einigen Jahren einen drastischen Wandel. Der exponentielle Anstieg der Rechenleistung, die stetig zunehmende Geschwindig- keit im Datenaustausch und der Rückgang der Datenspeicherkosten haben den Anteil des beidseitig elektronisch ausgeführten Handels kontinuierlich anschwellen lassen. Im Jahr 2019 wurde bereits 75% des Kassa-Transaktionsvolumens elektronisch gehandelt. Somit ist der Markt nicht nur deutlich gewachsen, sondern auch wesentlich schneller und komplexer ge- worden. Er hat sich zu einem veritablen «fastpaced electronic market» entwickelt.

Im Zuge dieses Wandels haben sich hinsichtlich der Marktstruktur zwei wesentliche Änderun- gen ergeben, auf die wir im Folgenden eingehen.

Erstens, nimmt am Devisenmarkt die Fragmentierung zu und die Rolle der Primärmärkte ab. Die sogenannten Primärmärkte - die Interbank-Handelsplattformen EBS und Refinitiv - wa- ren für den Handel und die Preisfindung am dezentralen Devisenmarkt jahrzehntelang tonan- gebend. Die an den Primärmärkten angezeigten Preise sind breit verfügbar und verbindlich («firm»), d.h. nach Übermittlung des Handelsinteresses können Preise vom Preissteller nicht mehr zurückgezogen oder angepasst werden (kein «Last-Look»). Das hat sie in bestimmten Währungspaaren zu einem wichtigen Anker gemacht, nicht zuletzt auch in volatilen Phasen. Im Gegensatz dazu setzen sekundäre Handelsplattformen oft auf «non firm liquidity», d.h. die gezeigten Preise stellen nur ein indikatives Preisangebot dar. Der Zugang zu diesen sekundä- ren Plattformen und den dort gezeigten Preisen ist zudem aufgrund der weniger zentralen Marktposition eingeschränkter.

In den vergangenen Jahren ist der Wettbewerb um Handelsvolumen deutlich gestiegen und der Markt ist noch fragmentierter geworden. In der Anfangsphase der Elektronifizierung des Handels war der Aufbau einer neuen Handelsplattform technisch noch sehr aufwendig und ressourcenintensiv. Durch tiefere Technologiekosten sind diese Markteintrittsbarrieren für alternative Handelsplattformen kontinuierlich gesunken, was zu einer Zunahme der Anzahl der sekundären Handelsplätze geführt hat. Zudem drängen bereits seit einigen Jahren neue Ak- teure auf den traditionell von Banken dominierten Markt und übernehmen die klassische In- termediärsfunktion der Banken.

Innerhalb dieses zunehmend fragmentierten Marktes ist eine Migration der Handelsaktivität von Primärmärkten hin zu Sekundärmärkten zu beobachten. Während der Marktanteil der tra- ditionellen Primärmärkte sinkt, gewinnen sekundäre Handelsplattformen an Marktanteilen. Auf der linken Seite von Grafik 2 sehen wir den geschätzten Primärmarktanteil, für alle Wäh- rungen. Wir stellen fest, dass sich dieser Anteil während den letzten 10 Jahren mehr als hal- biert hat. Der Franken bildet dabei keine Ausnahme. Auf der rechten Seite der Grafik sehen wir, dass auch der geschätzte Primärmarktanteil der Franken-Paare erheblich abgenommen hat und zurzeit auf einem niedrigen Niveau verharrt.

Diese Migration der Handelsaktivität ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die neu am Markt auftretenden Betreiber von Handelsplattformen mit technischen Verbesserungen

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und attraktiven Konditionen um Volumen werben. Als Konsequenz daraus verteilen die Li- quiditätsgeber ihre Quotierungen über mehrere Plattformen. Somit wird neben dem Markt auch die Liquidität selbst fragmentierter.

Zweitens, nimmt der Trend zur Internalisierung zu, wodurch die Handelsaktivität am Devi- senmarkt weniger transparent wird. Die Internalisierung ist eine weniger transparente Form der Handelsausführung. Bei der Ausführung von Transaktionen haben professionelle Markt- teilnehmer üblicherweise die Wahl zwischen transparenteren und weniger transparenten For- men des Handels. D.h., sie können ihre Order direkt auf breit zugänglichen Handelsplattfor- men (den Primär- und Sekundärplattformen) platzieren oder auch abseits, indem sie etwa auf «Dark Pools» oder auf die Internalisierung bei Intermediären zurückgreifen. Die Implikatio- nen dieser weniger transparenten Handelsformen werden wir auch am Panel diskutieren. Bei der Internalisierung werden Kundentransaktionen innerhalb eines Finanzinstituts nicht mehr über den Interbankenmarkt gehandelt. Stattdessen verrechnet das Finanzinstitut in der Rolle als Intermediär Handelsaufträge einer Kundentransaktion intern gegen den eigenen Bestand an Handelsaufträgen. Dabei ist der Grad der Internalisierung frei wählbar zwischen Handel, der gänzlich abseits von Primär- und Sekundärplattformen stattfindet und einer Mischform, die zum Teil auf die interne Liquidität eines Intermediärs und zum Teil auf die Liquidität der Primär- oder Sekundärplattformen zurückgreift. Der Informationsgehalt einer Transaktion verbleibt damit je nachdem mehr oder weniger innerhalb des Finanzinstituts und entzieht sich damit mehr oder weniger der Preisfindung am Markt. Welche Art der Handelsausführung ge- wählt wird, hängt letztlich von der individuellen Zielsetzung der Marktteilnehmer ab, d.h., ob es eher darum geht, das Marktrisiko zu reduzieren, Transaktionskosten zu minimieren oder darum, eine Transaktion mit möglichst hoher Wahrscheinlichkeit vollständig ausführen zu können.

In den letzten Jahren hat der Trend zur Internalisierung zugenommen. Wegen der wachsenden Bedeutung der Internalisierung von Transaktionen sinkt der Bedarf der Händler, Transaktio- nen auf breit zugänglichen Interbank-Handelsplattformen durchzuführen (Grafik 3).

Aus individueller Sicht kann Internalisierung sowohl für Kunden als auch für Intermediäre vorteilhaft sein. Dank Internalisierung können Intermediäre Geld-Brief-Spannen sowie andere Transaktions- und Abwicklungskosten von externen Plattformen vermeiden, was ihnen er- möglicht, den Kunden bessere Preise anzubieten. Die Kunden versprechen sich ihrerseits von der Vermeidung der breit zugänglichen Plattformen eine geringere Preisgabe von Informatio- nen (sogenannte Information Leakage) und damit einen reduzierten Markteinfluss.

Gleichzeitig sinkt durch dieses Vorgehen allerdings auch die Transparenz am Devisenmarkt insgesamt, da weniger Transaktionen auf breit verfügbaren Plattformen stattfinden. Denn je mehr Marktteilnehmer ihre Transaktionen abseits der gängigen Handelsplattformen abschlies- sen, umso weniger Informationen über das effektive Handelsgeschehen widerspiegeln die sichtbaren Preise. Was aus individueller Perspektive von Vorteil scheint, kann sich aus Ge- samtmarktsicht ab einem gewissen Punkt als nachteilig für alle Marktteilnehmer auswirken.

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SNB - Swiss National Bank published this content on 11 November 2021 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 11 November 2021 17:46:08 UTC.