GÖTTINGEN (dpa-AFX) - Der Pharma- und Laborausrüster Sartorius gehört in der Covid-19-Pandemie zu dem Kreis jener Unternehmen, für die die Krise Fluch und Segen zugleich ist. Die Aktie, die ohnehin seit Jahren an der Börse hoch geschätzt ist, trumpft derweil weiter kräftig auf: Immer wieder Rekordhochs - ganz gleich, was die Analysten meinen. Die streiten nämlich schon seit langem darum, ob der Höhenflug noch berechtigt ist und der Kurs zum Konzernwachstum passt.

LAGE DES UNTERNEHMENS:

Sartorius-Chef Joachim Kreuzburg kann eigentlich rundum zufrieden sein: Umsatz verdreifacht binnen zehn Jahren, Ergebnisse noch weitaus deutlicher gesteigert, auch durch Übernahmen groß geworden und entsprechend steigt die Mitarbeiterzahl des Unternehmens rund um den Globus kräftig an. Die Corona-Pandemie ist für Sartorius nun allerdings ein Ereignis, das Glück und Pech in sich vereint.

Im ersten Quartal wurde der Auftragseingang bei den Göttingern kräftig befeuert, weil die Kunden wegen Corona ihre Lager auf Vorrat aufstockten. Das haben auch viele andere Unternehmen der Branche so erlebt, der Gesundheitskonzern Fresenius oder Merck in Darmstadt beispielsweise. Zwar sieht Sartorius durch Corona "zusätzliche Chancen zur weiteren Verstärkung mit innovativen Technologien" und ist in Kontakt mit mehreren Entwicklern von Impfstoffen gegen das neue Coronavirus.

Gleichzeitig dürfte die Krise an anderen Stellen durchaus drücken: So vermerkte das Sartorius-Management in der Laborsparte im ersten Quartal bereits eine rückläufige Nachfrage aus China nach den Instrumenten des Konzerns.

Auch für Sartorius bedeutet die Pandemie deshalb eine erhebliche Unsicherheit. Kreuzburg entschied sich daher im April dafür, die Dividende auf den Prüfstand zu stellen. Seit dieser Woche ist es entschieden: Anleger müssen sich mit einer Halbierung der Ausschüttung zufrieden geben.

Dass Sartorius stetig auf Einkaufstour ist, könnte sich derweil für das Unternehmen als Rettungsanker im laufenden Jahr erweisen. Kreuzburg hat bei seinen Übernahmen in der Regel einen recht guten Griff bewiesen, wobei er die Biotechnologie als wichtiges Wachstumsgeschäft sieht. Tatsächlich brummen die Geschäfte in der durch diverse Zukäufe etwa in Deutschland und Frankreich stetig gestärkten Biotechnologiesparte - sie ist aktuell der Wachstumstreiber im Konzern, der unter anderem Zellkulturmedien, Bioreaktoren, Spezialfilter und Analyseinstrumente herstellt.

Ende 2019 übernahm Sartorius etwas mehr als die Hälfte der Anteile am israelischen Zellkulturmedien-Entwickler und -Hersteller Biological Industries. Zudem brachte das Unternehmen Ende April die ein halbes Jahr zuvor angekündigte Übernahme von Teilen des Life-Science-Portfolios vom US-Mischkonzern Danaher unter Dach und Fach - Kaufpreis 825 Millionen Dollar. Wegen dieser Zukäufe schraubte das Management trotz der Unsicherheit rund um Corona bereits vor gut drei Wochen seine Umsatzerwartungen für 2020 hoch. Bereits der Jahresstart war von kräftigem Erlöswachstum gekennzeichnet.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Da sich die Aktie in immer neue Höhen begibt, empfehlen nur noch wenige Analysten das Papier zum Kauf. Von den im dpa-AFX Analyser seit Mitte April erfassten Experten ist die Mehrheit dafür, die Papiere zu halten. Den beiden Verkaufs-Empfehlungen stehen andererseits aber auch drei Stimmen für einen Kauf gegenüber.

Grundsätzlich loben die Sartorius-Experten zwar die gute Entwicklung beim Konzern; der Dissens entzündet sich aber an der Frage, wie viel dieses Wachstum an der Börse tatsächlich wert ist.

Daniel Wendorff von der Commerzbank etwa empfiehlt Anlegern unverändert, sich die Papiere ins Depot zu holen. Mit einem Kursziel von 327 Euro liegt er aktuell knapp zwölf Prozent über dem aktuellen Aktienkurs von 292 Euro - und weit über dem durchschnittlichen Kursziel der bei dpa-AFX erfassten Experten in Höhe von rund 237 Euro. Sartorius sei nach wie vor eine einzigartige Wachstumsstory, auch während der Corona-Krise, lobte Wendorff nach der Anhebung des Umsatzausblicks.

Ganz anders sieht das Sven Kürten von der DZ Bank. Auch er attestierte Sartorius ein gutes erstes Quartal, doch die Aktie "enteile" weiter beschied er. Selbst in seinen optimistischsten Prognosen kommt Kürten nur auf einen fairen Wert für das Papier von rund 184 Euro.

Zweifel bekommen unterdessen auch den Branchenexperten der französischen Societe Generale: Fraglos sei Sartorius eines der Top-Wachstumsunternehmen im Sektor, räumen die Analysten ein. Doch sie sorgen sich zunehmend darum, inwieweit angesichts der durch Corona voraussichtlich anstehenden globalen Rezession die weitere Entwicklung beim Konzern tatsächlich noch gut vorhersehbar sei. "Denn die Pharmaindustrie wird das irgendwo zu spüren bekommen," sind sie sich sicher. Sie weisen zudem darauf hin, dass an der Börse das starke Wachstumsprofil von Sartorius inzwischen zwar eingepreist sei, nicht aber die stark schwankende Auftragslage in beiden Konzernsparten.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Sartorius gehört seit Jahren zu den Favoriten am Aktienmarkt und das hat sich durch die Corona-Krise nicht geändert - im Gegenteil. Seit dem 24. Februar - also dem Zeitpunkt, seit dem der Corona-Crash den Aktienmarkt fest im Griff hat - ging es für die Vorzugsaktie um rund 24 Prozent nach oben. Damit zählt Sartorius zu den wenigen Gewinnern im MDax in diesem Zeitraum.

Aber auch mittel- und langfristig liegt Sartorius am Kapitalmarkt weit vorn. So stieg das Vorzugspapier in den vergangenen zwölf Monaten um 75 Prozent. In den vergangenen fünf Jahren waren es fast 700 Prozent Zuwachs, und über zehn Jahre gerechnet sind es sogar knapp 6000 Prozent Kursplus. Und wer das Papier seit Beginn des Jahrtausends hält, kann sich sogar über einen Anstieg um satte 12 000 Prozent freuen. Mit 301,60 Euro war die Aktie am 13. Mai dabei erstmals teurer als 300 Euro.

Das Aktienkapital des 1870 als feinmechanische Werkstatt für Analysenwaagen gegründeten und seit 1990 an der Börse notierten Unternehmens ist zu gleichen Teilen in Stamm- und Vorzugsaktien aufgeteilt. Von den 37,4 Millionen Stammaktien gehört die Hälfte einer Erbengemeinschaft, auf weitere fünf Prozent hat die Familie direkten Zugriff und rund 34 Prozent gehören dem US-Unternehmen Bio-Rad Laboratories - nur zwei Prozent sind im Streubesitz.

Ganz anders sieht es bei den Vorzugsaktien aus - hier werden 91 Prozent im Streubesitz gehandelt, der Rest liegt bei Sartorius selbst. Insgesamt wird das Unternehmen an der Börse derzeit mit etwas mehr als 21 Milliarden Euro bewertet - das Aktienpaket der Erbengemeinschaft und Familie kommt dabei auf knapp sechs Milliarden Euro./tav/zb/he