Von Rochelle Toplensky

LONDON (Dow Jones)--Anleger, die gerade Unternehmen wie Royal Dutch Shell und BP für sich wiederentdecken, sind vermutlich mehr an höheren Ölpreisen interessiert als an einer grünen Neuausrichtung. Dennoch bieten auskömmliche Ölpreise den Energieriesen auch die dringend erhoffte Gelegenheit, ihre Dekarbonisierungs-Strategien aus einer Position der Stärke heraus zu betreiben.

Am Donnerstag gab Shell bekannt, dass es im ersten Quartal einen operativen Cashflow von 8,3 Milliarden US-Dollar erwirtschaftet hat. Das entsprach einem Anstieg von 32 Prozent gegenüber dem Dreimonats-Zeitraum zuvor. Anfang der Woche meldete BP einen Cashflow von 6,1 Milliarden US-Dollar, ebenfalls für das erste Quartal. Das war mehr als doppelt so viel wie im vorausgegangenen Quartal. Starke Ergebnisse also nach einem desaströsen Jahr 2020.

Die verbesserte Lage geht vor allem auf höhere Rohstoffpreise zurück. Die Produktionsdisziplin des Kartells der ölproduzierenden Länder und ihrer Partner (Opec+) hat die Rohölpreise in diesem Jahr trotz der uneinheitlichen Nachfragesituation hoch gehalten. Während einige wichtige Märkte wieder öffneten, sind andere immer noch im Kampf gegen ein wiederaufflammendes Infektionsgeschehen gefangen. Die höheren Öl- und Gaspreise halfen BP und Shell auch, ihre massiven Desinvestitionsprogramme voranzutreiben. Schuldenabbau und Ausschüttungspolitik profitierten ebenfalls.


   Dividendenkürzung und Dekarbonisierungskurs verschrecken Anleger 

Shells vierteljährliche Dividende an die Aktionäre stieg um vier Prozent im Vergleich zum Vorquartal, während BP die Dividende konstant beließ und stattdessen das Volumen der Aktienrückkäufe erhöhte. Beide Unternehmen bemühen sich, das Vertrauen der Aktionäre wiederherzustellen, nachdem sie im vergangenen Jahr ihre als unantastbar geltenden Dividenden gekürzt hatten.

Die Kürzung traf die Shell-Aktie hart. Und auch bei BP sträubten sich die Anleger gegen die neue grüne Strategie. In der Folge blieben die Aktien der beiden Unternehmen hinter denen der meisten Konkurrenten zurück. Beide Unternehmen wollten mit gekürzter Dividende den fallenden Rohstoffpreisen und der wachsenden Unsicherheit über die künftige Ölnachfrage begegnen und gleichzeitig Geld für Investitionen in grüne Energie freisetzen.

Shell spricht schon seit Jahren von einer Umstellung auf kohlenstoffärmere Geschäftsbereiche, während BP im vergangenen Sommer mit dem Eifer eines Konvertiten auf diese Linie umschwenkte. Die Umstellungspläne der Unternehmen ließen die Aktien irgendwo im Niemandsland zurück. Bei grünen Anlegern sprang der Funke noch nicht über. Einige traditionell orientierte Anleger wandten sich verschreckt ab.


   BP fordert Vertrauen von Anlegern ein 

In der Vergangenheit haben Aktionäre Erdölproduzenten wegen ihrer zuverlässigen Dividenden gemocht. Die Ausschüttungen wurden durch internationale Portfolios von risiko- und ertragreichen Öl- und Gasexplorationsprojekten finanziert, die auch Preisschwankungen aushalten konnten. Viele dieser Käufer bleiben skeptisch, dass ihnen ein Geschäft mit sauberer Energie ein ähnliches Renditeniveau bieten kann.

Das großzügige und letztendlich erfolgreiche Gebot von BP im Februar für zwei Offshore-Windkraftanlagen in Großbritannien hat diese Sorgen noch verstärkt. Das Management beharrt darauf, dass der Standort besondere Vorteile besitzt, die einen Aufschlag rechtfertigten. Auch behauptet das Unternehmen, dass die Anlagen die Zielrendite des Unternehmens von acht Prozent bis zehn Prozent für saubere Energieprojekte erreichen werden. Es wird Jahre dauern, bis der Windpark fertiggestellt ist und Ergebnisse vorliegen. Bis dahin müssen BP-Anleger Vertrauen haben - ein Gut, das nach dem Drama des letzten Jahres zur Mangelware geworden ist.


   Ölpreise geben den Konzernen strategischen Rückenwind 

Steigende Aktienkurse signalisieren dennoch, dass die Anleger beginnen, Europas großen Ölkonzernen wieder zu vertrauen - vermutlich, weil die Aussichten auf Cash-Renditen so viel besser geworden sind. Das gibt den Unternehmen die Chance, ihre Pläne zu konkretisieren und einige grüne Zwischenziele zu erreichen, während sie gleichzeitig die Anleger mit höheren Dividenden bei Laune halten.

Die Aktionäre könnten schließlich den Wert langfristiger Umstellungsstrategien erkennen, wenn sie all die Verpflichtungen der Unternehmen zu Netto-Null-Emissionen, die Dekarbonisierungspläne der Staaten und die Anreize für saubere Energie in Betracht ziehen.

Ironischerweise könnten höhere Rohölpreise genau das sein, was die großen Ölkonzerne gerade brauchen, um ihre traditionellen Aktionäre davon zu überzeugen, dass es klüger ist, sich von fossilen Brennstoffen zu lösen.

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April 30, 2021 03:53 ET (07:53 GMT)