Von Stephen Wilmot

NEW YORK (Dow Jones)--Investoren lieben Elektrofahrzeuge. Auf dem Klimagipfel in Glasgow wehte ihnen dagegen ein rauerer Wind ins Gesicht. Das Elektroauto-Start-up Rivian gibt zur Wochenmitte sein Börsendebüt. Der Preis für den Börsengang liegt 31 Prozent über dem Mittelwert der erst vergangene Woche veröffentlichten Preisspanne. Trotz der Auslieferung von insgesamt nur 156 Fahrzeugen bis Ende Oktober, die fast alle an Mitarbeiter gingen, beginnt das Unternehmen sein Leben auf dem Börsenparkett mit einem Marktwert von 77 Milliarden US-Dollar - nur geringfügig weniger als die Detroiter Schwergewichte Ford und General Motors.

Solche Vergleiche sollten nicht zu weit getrieben werden, da traditionelle Autohersteller sowohl mit Fremd- als auch mit Eigenkapital finanziert werden. Dennoch ist der Börsengang von Rivian ein spektakulärer Beweis dafür, dass sich die Begeisterung der Investoren für Elektroautos nicht nur mit der Magie von Elon Musk bei Tesla erklären lässt.


   Londons Elektroauto-Vorstoß fällt auf Klimagipfel krachend durch 

Am selben Tag jedoch floppten die Elektroautos auf dem COP26-Klimagipfel in Glasgow. Die britische Regierung, die die Veranstaltung ausrichtet, hatte versucht, Unterstützung für eine globale Absichtserklärung zur Abschaffung von Verbrennungsmotoren in Autos und Lieferwagen bis 2040 zu gewinnen. Doch die weltweit führenden Automobilhersteller wie China, Japan, die USA, Deutschland, Frankreich und Südkorea lehnten alle eine Unterzeichnung ab. Von den großen Automobilherstellern haben nur Ford, GM und Daimler das Dokument unterzeichnet.

Die ganz ureigene Dynamik der Politik auf dem Gipfel erklärt größtenteils das britische Scheitern bei der Förderung von E-Fahrzeugen in Glasgow. So verfolgt die Regierung von US-Präsident Joe Biden ihr eigenes Programm zur Förderung dieser Technologie. Das Infrastrukturgesetz, das Ende der Vorwoche vom Kongress verabschiedet wurde, sieht 7,5 Milliarden US-Dollar für die Verbesserung des US-Ladenetzes für Elektrofahrzeuge vor. Gleiches gilt für Volkswagen, das zuletzt bekannt gab, in der Nähe seines Hauptsitzes in Wolfsburg eine neue Produktionsstätte für Elektroautos errichten zu wollen, um mit Teslas richtungsweisendem neuen Werk bei Berlin zu konkurrieren.


   Stromerzeugung bei Weitem nicht in jedem Fall ökologisch unbedenklich 

Dennoch könnte das mangelnde Interesse an einem globalen Bekenntnis zu emissionsfreien Fahrzeugen auch ein Zeichen für eine Verschiebung der Debatte sein. Die E-Fahrzeugtechnologie hat sich bei politischen Entscheidungsträgern und Automobilherstellern bereits weitgehend als der einfachste Weg zur Reduzierung der Kohlenstoffemissionen im Verkehrssektor durchgesetzt. Das bedeutet, dass sie wahrscheinlich anfangen, den wichtigen Aspekten der E-Fahrzeuge mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Dazu gehört die Abhängigkeit von der Stromerzeugung, die möglicherweise nicht ganz so sauber ist, und von den kohlenstoffintensiven Batterien.

Die Erklärung von Glasgow nimmt in einer Fußnote stillschweigend Bezug auf diese Probleme: "Im Rahmen dieser Erklärung ist ein emissionsfreies Auto oder ein emissionsfreier Transporter ein Auto, das keine Treibhausgasemissionen am Auspuff erzeugt." BMW, das die Erklärung nicht unterzeichnet hat, schätzt, dass die Umstellung auf Elektroautos ohne die Gegenmaßnahmen, die das Unternehmen ergreift, die Kohlenstoffemissionen seiner Lieferkette bis 2030 im Vergleich zu 2019 um etwa 40 Prozent erhöhen würde.


   Differenzierte Perspektive ist dringend geboten 

Die neuen Regeln für die Kohlenstoffbilanzierung könnten mit der Zeit Autohersteller mit ganzheitlicheren Umweltstrategien wie BMW und Toyota belohnen und für Unternehmen wie Tesla und Rivian unbequeme Fragen aufwerfen. E-Autos waren in den vergangenen Jahren eine nützliche Abkürzung, um über die Dekarbonisierung von Autos nachzudenken, aber eine differenziertere Perspektive ist überfällig. Irgendwann wird die Vorliebe der Investoren für einfache, saubere Geschichten mit der komplexen, chaotischen Realität eines jahrzehntelangen Übergangs kollidieren.

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

DJG/DJN/axw/mgo

(END) Dow Jones Newswires

November 11, 2021 09:28 ET (14:28 GMT)