MÜNCHEN/BERLIN (dpa-AFX) - Zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung auf dem Lande werden Krankenhäuser nach Einschätzung von Fachleuten verstärkt ambulante Behandlungen anbieten müssen. Die traditionelle Abgrenzung zwischen ambulanter Versorgung in der Arztpraxis und stationärer Versorgung müsste dafür nach Einschätzung von Fachleuten und Krankenhäusern in Teilen schwinden. Doch ungeklärt sind die finanziellen Auswirkungen für die Krankenhäuser, von denen viele nach zwei Corona-Jahren in großer Bedrängnis sind.

"Wir brauchen auf dem Land eine solide Basisversorgung, die häufig durch gute ambulante Angebote gewährleistet werden kann, ergänzt um pflegerische Angebote und vernetzt mit den Spezialisten in den Zentren", sagt Boris Augurzky, Leiter des Bereichs Gesundheit am Wirtschaftsforschungsinstitut RWI Essen und Mitglied der Regierungskommission Krankenhaus des Bundes. "Wichtig wird zudem die telemedizinische Anknüpfung der ländlichen Angebote an medizinisches Know-how in den Zentren."

Thema ist das an diesem Mittwoch bei einem hochkarätig besetzten Expertenforum des Tagungsveranstalters RS Medical Consult in Berlin. Eine Zukunftsvision: "Manche kleine Klinik könnte dabei ihre Rolle komplett ändern", sagt Augurzky. "Weg von der stationären Versorgung, hin zu einer ambulanten Großklinik mit telemedizinischer Andockung an Zentren, gegebenenfalls ergänzt um Überwachungsbetten und Kurzzeitpflege."

Das Schlagwort lautet "Ambulantisierung". Auf die Fahnen geschrieben hat sich das auch die Berliner Bundesregierung. Das Durchschnittsalter niedergelassener Ärzte in Deutschland liegt bei Mitte 50.

Die Kliniken sind willig: "Dies hätte beispielsweise den Vorteil, das nur begrenzt verfügbare Fachpersonal, insbesondere in der Pflege, auf die Patientinnen und Patienten mit höherem Pflegebedarf im stationären Bereich zu konzentrieren", sagt Henriette Neumeyer, Vize-Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Im April empfahl ein verbandsübergreifendes Gutachten eine umfangreiche Erweiterung des sogenannten AOP-Katalogs für ambulantes Operieren.

Doch auch in Zukunft wird nicht jeder mit einem Schnupfen zur Krankenhaus-Sprechstunde gehen können. "Viele heute stationär erbrachte Fälle könnten auch ambulant erbracht werden; ich rechne mit rund 20 Prozent", sagt Augurzky. "Es dürfte sich dabei aber um komplexere ambulante Fälle handeln, die aufwendiger sind und für die im Fall von Komplikationen die Gerätschaften, das Fachpersonal und die Betten des Krankenhauses genutzt werden können."

Zumindest manche Häuser hoffen, mit der Ambulantisierung ihre Finanzlage aufbessern zu können, nach der einfachen Formel: mehr Patienten gleich höhere Einnahmen.

Die Hoffnungen der Krankenkassen gehen allerdings genau in die entgegengesetzte Richtung: Wenn die Kliniken mehr ambulant behandeln dürften, müssten sie auch weniger operieren. Kassenvertreter werfen den Krankenhäusern seit Jahren vor, ihre Patienten viel zu häufig zu operieren - denn Operationen bringen Umsatz.

Augurzky und die DKG weisen daher darauf hin, dass die Ambulantisierung die Kassenlage der Kliniken nicht unbedingt verbessern würde.

"Sie müssen stationäre Kapazitäten reduzieren, eine ambulante Infrastruktur aufbauen", sagt Augurzky. "Und vor allem muss das Krankenhauspersonal, das dort ambulant arbeitet, umdenken, das heißt nicht mehr "stationär" denken, was zu hohen Kosten führen kann." Augurzky empfiehlt daher eine Kooperation zwischen Krankenhaus und niedergelassenen Ärzten.

"Inwieweit mehr ambulante Behandlungsmöglichkeiten die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser verbessern würden, lässt sich dabei nicht pauschal beantworten und hängt maßgeblich von den begleitenden Rahmenbedingungen ab", sagt auch die DKG-Vizevorsitzende Neumeyer.

Die im Mai vorgestellte Regierungskommission soll ausdrücklich Einsparmöglichkeiten untersuchen: "Das Ambulantisierungspotenzial bisher unnötig stationär erbrachter Leistungen ist auch Gegenstand der Regierungskommission Krankenhaus", erklärt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums in Berlin.

Unbestritten ist, dass die finanzielle Lage vieler Häuser schlecht ist. Rund 60 Prozent der Krankenhäuser in Deutschland rechneten für das vergangene Jahr mit wirtschaftlichen Verlusten, sagt Neumeyer.

Die hohe Inflation hat die finanzielle Notlage der Kliniken noch verschärft, da Strom, Lebensmittel und Medizinprodukte gleichermaßen teurer geworden sind. Sie sollen nach politischer Vorgabe zwar wirtschaftlich arbeiten, können aber anders als ein Unternehmen ihre Preise nicht eigenständig erhöhen.

"Wir benötigen jetzt kurzfristig einen deutlichen Inflationsausgleich, um die Krankenhäuser arbeitsfähig zu halten", sagt Neumeyer. Die Politik müsse die Krankenhäuser finanziell für erneut stark steigende Corona-Fallzahlen im Herbst wappnen.

So geht in vielen Landratsämtern bereits eine Schreckvorstellung um: In nicht allzu ferner Zukunft könnten sowohl die Arztpraxis als auch das örtliche Kreiskrankenhaus zur Schließung gezwungen sein./cho/DP/zb