Von David Wainer

NEW YORK (Dow Jones)--Leonard Schleifer weist gerne darauf hin, dass das von ihm gegründete Biotech-Unternehmen Regeneron im Gegensatz anders als große Pharmakonzerne das US-Gesundheitssystem mit echten Innovationen beglückt und nicht auf Tricks und Spielereien zum eigenen Vorteil zurückgreift. Zweifellos hat Regeneron mit Sitz in Tarrytown im Bundesstaat New York Therapien entwickelt, die für Patienten mit schwer zu behandelnden Krankheiten bedeutsam sind. Zuletzt rückte das Unternehmen im Zuge der Pandemie mit seiner monoklonalen Antikörperinfusion für Covid-19-Erkrankte ins nationale Rampenlicht.

Der eigentliche Grund, weshalb sich Investoren über die finanziellen Aussichten bei Regeneron freuen können, ist jedoch ganz prosaischer Natur und erinnert irgendwie doch an die Regeln, nach denen die großen Pharmaunternehmen spielen. Das hat damit zu tun, dass das Unternehmen voraussichtlich einen großen Teil der Patienten, die auf seinen führenden Blockbuster angewiesen sind, auf eine höher dosierte Version eben dieses Medikaments umstellen wird. Das ist in diesem Fall ein Segen, müssen die Patienten dadurch doch weniger häufig eine unangenehme Injektion in den Augapfel ertragen. Aber zugleich kommt das auch für die Aktionäre als Erleichterung. Denn sie mussten bislang befürchten, dass der Umsatz von dem Medikament Eylea zur Behandlung von Netzhauterkrankungen einbrechen würde.

Bei der feuchten altersbedingten Makuladegeneration, der häufigsten Ursache für starke Sehbehinderungen unter älteren Menschen, werden abnorm vergrößerte Blutgefäße im hinteren Teil des Auges undicht. Das beeinträchtigt das Sehvermögen der Betroffenen im zentralen Bereich. Eylea hemmt das Wachstum und den Austritt von Flüssigkeit aus diesen Blutgefäßen und gilt als Standardbehandlung für jene Krankheit.

Im vergangenen Sommer wetteten Leerverkäufer allerdings darauf, dass die Regeneron-Aktie fallen würde, weil Eylea inzwischen mit einem neuen, länger wirkenden Medikament Vabysmo von Roche konkurrieren muss und die Aussicht auf Biosimilars für Eylea - im Wesentlichen Generika - Gestalt annahm. In der Tat eroberte Roche Marktanteile und meldete für Vabysmo 2022 einen Umsatz von 591 Millionen Schweizer Franken, was etwa 606 Millionen Euro entspricht. Für das erste Jahr am Markt war das zweifelsohne ein beeindruckendes Ergebnis.


 Roche verliert seinen Vorsprung bei feuchter altersbedingter Makuladegeneration gerade 

Dennoch läuft die Uhr inzwischen möglicherweise gegen Roche. Im September teilte Regeneron mit, dass das hochdosierte Eylea die Studienziele in der späten Klinik erreicht hat, so dass das Medikament in diesem Sommer von der US-Gesundheitsbehörde FDA zugelassen werden könnte. Das höher dosierte biologische Präparat wird als im Wesentlichen neues Medikament betrachtet, wodurch sich die Laufzeit des Patentschutzes verlängert.

Mit der FDA-Zulassung beginnt für Regeneron ein neuer Wettlauf. Natürlich wird das Unternehmen versuchen, so viele Patienten wie möglich auf die höhere Dosierung umzustellen. Es kontert damit den großen Vorteil, den bisher Vabysmo genoss: die geringere Häufigkeit von belastenden Injektionen direkt in den Augapfel. Die Studiendaten verbesserten nicht nur die Wettbewerbsposition von Eylea. Sie ersparen dem Hersteller wohl auch Preisverhandlungen für das Medikament mit Medicare, der US-Krankenversicherung für alte US-Bürger. Denn technisch gesehen handelt es sich ja um ein neues Medikament.

"Wir haben noch ein paar Quartale vor uns, in denen Roche alles dafür tun wird, die führende Position von Eylea mit Vabysmo zu untergraben", sagte Schleifer in einem Interview. "Aber, wissen Sie, damit ist Schluss am Ende des nächsten Quartals, denn dann kehren wir als neuer Sheriff in der Stadt zurück, und mit dem müssen sie sich auseinandersetzen."

Die Einschätzungen der Analysten bestätigten diese Sicht. Vor zwei Jahren sagten sie voraus, dass der Eylea-Umsatz in den USA bis 2026 auf etwa 3,3 Milliarden Dollar fallen würde. Jetzt ist der Konsens laut FactSet wieder bei 6 Milliarden Dollar angelangt. Außerhalb der USA arbeitet Regeneron bei Eylea mit Bayer zusammen. Für den Leverkusener Konzern ist die Patentschutzverlängerung ebenfalls ein bedeutsamer Schritt. Bayer machte mit dem Augenmedikament 2022 einen Umsatz von 3,2 Milliarden Euro.

Die schicksalhafte Wendung hat viele Regeneron-Leerverkäufer dazu bewogen, ihre Wetten aufzugeben. Laut FactSet gehörte es zuletzt zu den zehn Unternehmen mit dem stärksten Rückgang des Leerverkaufsinteresses. "Man muss jetzt davon ausgehen, dass das gesamte Franchise im Wesentlichen gleich bleibt oder vielleicht sogar noch wächst, was eine große Überraschung sein könnte", sagte Analyst Tyler Van Buren von TD Cowen, der die Aktie mit Outperform bewertet.


 Gelingt mit Dupixent der Durchbruch bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung? 

Regeneron hat noch mehr zu bieten als das Eylea-Franchise. Dupixent, ein biologisches Medikament gegen Entzündungskrankheiten, das gemeinsam mit Sanofi entwickelt wurde, dürfte nach Analysten-Schätzungen, die von Visible Alpha zusammengetragen wurden, bis zum Jahr 2027 einen Umsatz von etwa 15 Milliarden US-Dollar erzielen. Es stehen Daten aus einer späten klinischen Studie zur Behandlung der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung COPD an, von der Raucher betroffen sind. Bei positivem Ergebnis könnte sich für Regeneron ein weiteres Milliardengeschäft ergeben. Derzeit gibt es keine Biologika zur Behandlung dieser Erkrankung. Andere Antikörper haben keine überzeugenden Ergebnisse geliefert.

Analyst Yatin Suneja von Guggenheim sagte, im Falle eines Erfolges ergäbe sich für Typ-2-COPD allein eine Marktchance von 3 Milliarden Dollar jährlich. Anleger tun sich bislang schwer, die Ergebnisse einzuordnen. Dennoch führen sie die Tatsache, dass in der Studie ein frühen Schwellenwert erreicht wurde, der Voraussetzung für deren Fortsetzung war, als Argument dafür an, dass das Medikament auch in diesem Fall sein Ziel erreicht. Angesichts der bisherigen Dupixent-Erfolge bei mehreren Indikationen wäre es wohl nicht besonders klug, dagegen zu wetten.

"Ich weiß nichts, was nicht alle wüssten", sagte Langzeit-Chef Schleifer. "Wir hatten eine Zwischenbilanz, die ermutigend genug war, weiterzumachen und eine weitere Studie zu starten. Jetzt drücken wir die Daumen, dass wir bald die nächsten Daten bekommen. Ich würde mich freuen, wenn es funktioniert - es wäre für die Patienten eine erhebliche Verbesserung."

Langfristig orientierte Anleger von Regeneron wurden bereits belohnt: Die Aktie hat in fünf Jahren um 120 Prozent zugelegt. Der S&P 500 brachte es in der gleichen Zeit nur auf ein Plus von 40 Prozent. Allerdings ist die Aktie von Regeneron nicht billig. Mit dem 17,7-fachen des erwarteten Gewinns der nächsten zwölf Monate entspricht sie dem Durchschnitt des S&P 500, liegt aber immer noch unter der teureren Vertex Pharmaceuticals, die mit dem Zwanzigfachen bewertet ist. Biogen, ein weiteres Biotech-Unternehmen ähnlicher Größe, kommt auf Kurs-Gewinn-Verhältnis von 16,4.

Nun, da sich der Wachstumspfad von Regeneron immer schärfer abzeichnet, dürften auch die Skeptiker verstummen.

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March 13, 2023 08:22 ET (12:22 GMT)