Gunter Deuber (Leiter Raiffeisen Research), RBI-Chefanalyst Peter Brezinschek und Christian Hinterwallner (Leiter Equity Research) gaben heute in einem Online-Pressegespräch einen Ausblick, wie die Inflation in diesem Jahr die Geldpolitik sowie die Entwicklung an den Kapitalmärkten, insbesondere den Aktienmärkten, bestimmen wird.

Fokus der Fed klar auf Inflationsbekämpfung, EZB bisher zögerlicher

Die Omikron-Variante, weitere mögliche COVID-19-Mutationen, deren Folgeeffekte und damit einhergehender beachtlicher Preisdruck werden die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Finanzmärkte im dritten Pandemiejahr bestimmen. In Summe werden auf diese Weise wirtschaftspolitische Zielkonflikte komplexer. "In den USA und in EU-Ländern außerhalb der Eurozone sehen wir bereits einen begrüßenswerten Notenbankfokus auf die Inflationsbekämpfung", sagte Gunter Deuber. "Bei der Fed sehen wir derzeit diesbezüglich eine derart klare Fokussierung, dass es uns sehr wahrscheinlich scheint, dass damit sogar eine Toleranz für temporäre (Aktien-)Marktrücksetzer einhergeht." Die Europäische Zentralbank (EZB) agiert bislang deutlich zögerlicher, aber 2022 dürfte auch für sie zum "Entscheidungsjahr" werden. "Angesichts der von uns erwarteten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wäre eine komplette Entkopplung der Geldpolitik in der Eurozone von der in den USA - wie in der letzten Dekade - nicht opportun", so Deuber.

Für Finanzmärkte und Notenbanken werden Inflationsrisiken immer mehr zum bestimmenden (Langfrist-)Thema.

Nach einer Inflation über 5 Prozent im Schnitt 2021 nähert sich die Inflationsrate gemäß Fed-Prognosen 2022 (+2,6 Prozent) und 2023 (+2,3 Prozent) bis 2024 (+2,1 Prozent) graduell, aber von oben, dem Notenbankziel von 2 Prozent an. Dieser Inflationsausblick von vier (!) Jahren über dem Teuerungsziel veranlasst die US-Notenbank zum Handeln. "Die Kommunikation von Fed-Chef Powell ist eindeutig: Die erhöhte Teuerung ist eine Gefahr für das Ziel Vollbeschäftigung. Damit sind die geldpolitischen Weichen für 2022 derzeit auf zügige Normalisierung gestellt. Wir sehen Potenzial für vier Zinsschritte in diesem Jahr", so Peter Brezinschek.

Ganz anders als die Fed kommuniziert die EZB bisher ihre geldpolitische Weichenstellung für 2022. Sie sieht nach wie vor mittel- bis längerfristig eher unterdurchschnittliche Preissteigerungsraten im gesamten Euroraum. Wohl hat sie mit ihrer HVPI-Prognoserevision (harmonisierter Verbraucherpreisindex) von 1,7 Prozent auf 3,2 Prozent für 2022 im Dezember einen ersten Paukenschlag gesetzt, aber das reicht ihr noch nicht für einen zügigen Ausstieg aus der sehr expansiven Geldpolitik. Denn die Inflationsprojektionen für 2023 und 2024 liegen mit jeweils 1,8 Prozent weiterhin einen Hauch unter der 2-Prozent-Zielmarke.

Allerdings ist der EZB-Rat ausgesprochen breit in seinem Meinungsspektrum, und die Raiffeisen-Analysten denken, dass die EZB sich keine so prononcierte geldpolitische Divergenz zur Fed wird leisten können wie in der letzten Dekade. "Wir sehen zum ersten Mal seit langem bei der EZB moderate Leitzinserhöhungen in Sichtweite, sprich, in einem normalen Prognosehorizont von 12 bis 18 Monaten und nicht erst in Jahren", so Brezinschek. "In Summe könnte von geldpolitischer Seite ein für die Finanzmärkte interessantes zweites Halbjahr 2022 bevorstehen."

Umfeld für Veranlagungen wird komplizierter

Am Anleihemarkt sehen die Spezialisten von Raiffeisen Research eher ein schwieriges Jahr 2022, was sich derzeit schon an beachtlichen Neuemissionsprämien für längere Laufzeiten zeigt. "Bei weiterhin hoher Inflation ist damit im festverzinslichen Bereich auch die Veranlagung im Nicht-Euro-EU-Ausland von Interesse", sagte Deuber. "Hier haben Notenbanken teils 2021 und 2022 drastisch die Leitzinsen angehoben angesichts heimischer Inflationsrisken und der erkennbar aggressiveren Fed-Ausrichtung." Auf den europäischen Unternehmensanleihemärkten sehen die Analysten die Renditeabstände zu den Benchmark-Zinsen als so eng an, dass auf Jahressicht kaum Performance zu erwarten ist. Daher empfehlen sie zur Inflationsabsicherung einen Blick auf kurzlaufende Anleihen aus dem aus dem Nicht-Euro-EU-Ausland.

2022 sollte erneut ein gutes Aktienjahr werden - Inflation knabbert am Ertrag

"Trotz mehr Herausforderungen gesamtwirtschaftlicher Natur werden Aktienmarktveranlagungen 2022 alternativlos bleiben", meint Christian Hinterwallner. "Daher erwarten wir uns in Summe für 2022 erneut ein gutes Aktienjahr. Allerdings nehmen die Risiken für nennenswerte Rücksetzer zu, vor allem im zweiten Halbjahr." Bei einem sich abschwächenden Aufwärtstrend und weiter hohen Inflationsraten erwartet Hinterwallner daher eher nur noch Kurszuwächse, die etwa dem Gewinnwachstum der Unternehmen entsprechen. Bei weniger stark nach oben gerichteten Aufwärtsbewegungen würden die Ausrichtung auf einzelne Märkte und Investitionsstile an Bedeutung gewinnen. "Auch für den österreichischen Aktienmarkt erwarten wir uns aufgrund seiner eindeutigen Branchenausrichtung und der vergleichsweise günstigen Bewertung für 2022 nochmals ein gutes Jahr", so

Hinterwallner. Dennoch sehen die Analysten viele Gründe, warum europäische Aktienmärkte nicht nachhaltig ihre US-Pendants ausstechen werden können. Letztere glänzen nämlich insbesondere mit höherer Profitabilität und können durch ihre von New-Economy und Plattformökonomie geprägten Geschäftsmodelle nachhaltig von den durch die Pandemie veränderten Konsumverhaltensweisen profitieren.

Erste Zinserhöhungen seien auf den Renten- und Aktienmärkten mittlerweile gut verdaut, meint Gunter Deuber. "Sollte die amerikanische Notenbank allerdings 2022 mit vier Zinserhöhungen plus weiterer deutlicher geldpolitischer Straffung agieren, dann kommt spätestens 2023 - also etwa ein Jahr nach den ersten US-Zinserhöhungen - ein schwieriges Zeitfenster auf uns zu. Wegen einiger spätzyklischer Erscheinungen am Finanzmarkt, etwa im Bereich Bewertungen, könnten dann markante Rücksetzer anstehen", so Deuber abschließend.

Geldpolitischer Ausblick (ohne Registrierung abrufbar): Geldpolitik auf "neuen" konventionellen Wegen in 2022/23?

Präsentation Konjunktur- und Kapitalmarktausblick 2022
  • Konjunktur- und Kapitalmarktausblick 2022(pdf, 1,2 MB)

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Raiffeisen Bank International AG published this content on 21 January 2022 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 21 January 2022 09:51:07 UTC.