F: Wir beleuchten das Thema "Vision" aus mehreren Blickwinkeln. Sie sagen selbst: "Am Ende des Tages sehe ich in meinem Kopf keinen Job, sondern eine Vision meines Lebens." Wie sieht sie aus, die Vision Ihres Lebens?

Mahlodji: Die Vision meines Lebens ist, dass ich diese Welt in meinem Wirkungsbereich besser hinterlasse als ich sie vorgefunden habe. Ich wünsche mir, mit meiner Lebenserfahrung anderen Menschen zu helfen, die vielleicht vor denselben Herausforderungen standen oder stehen, wie ich zu verschiedenen Zeitpunkten in meinem Leben. Meine Vision ist eine Welt, in der wir uns gegenseitig stärken. Wenn ich dazu beitragen kann, dass wir in einer Welt leben, in der alle voneinander lernen wollen, dann würde das der Vision meines Lebens sehr nahekommen.

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Ali Mahlodji

F: Sie sind erfolgreicher Unternehmer und haben unter anderem die FutureOne Community gegründet - eine Community, die die Zukunft verbessern will. Auf Ihrer Website steht: "Für Visionär:innen, die Träume und Ideen umsetzen und ein positives Mindset besitzen." Wie wichtig sind Träume und Visionen für das Leben?

Mahlodji: Der Mensch braucht Ziele, die langfristig umsetzbar sind. Gerade die innersten Träume und Wünsche - der innere Ruf, der uns zeigt, wer wir sein wollen - sind eine Unterstützung für die Zielsetzungen unseres Lebens. Der innere Ruf ist immer da, er meint es immer gut mit uns, er weiß, wohin unsere Reise geht. In meiner Jugend hat man mir immer gesagt, Träume sind Schäume. Aber wenn ich eines erlebt habe, dann, dass jene Menschen, die ihren Träumen eine Chance geben, immer zufriedener sind - trotz aller Ups and Downs, die sie erleben. In unserer Wohlstandsgesellschaft können wir uns oft keine bessere Zukunft mehr vorstellen, weil wir phantasielos geworden sind und weil uns auch oft gesagt wurde, Träume hätten in der Arbeitswelt nichts verloren. Unternehmen und Führungskräfte müssen wieder lernen, mit ihren Teams zu träumen. Wir müssen in dieser Welt wieder lernen, zu träumen.

F: Eine Vision zu haben: gut und schön - aber wie setze ich diese dann am besten um? Welche Eigenschaften brauche ich, um meine Vision am Ende auch zu erreichen?

Mahlodji: Es ist quasi ein ungeschriebenes Gesetz, dass Visionen, die wir umsetzen wollen, sich mit der Zeit verändern. Sie nehmen verschiedenste Formen an und werden erst erfolgreich umgesetzt, wenn wir ihnen öfter die Chance geben, adaptiert zu werden. Ich meine damit, dass man nicht gleich mit dem Idealbild seiner Vision oder seiner Idee loslegt, sondern mit dem ersten einfachen Schritt. Das kann sein, dass ich mit Menschen darüber spreche oder, dass ich die Vision auf ein Blatt Papier schreibe. Es geht darum, die Vision aus unserem Hirn und Herz in die Realität zu bringen. Sie zu visualisieren, darüber zu reden, dem Ganzen einen Namen zu geben. Wir müssen anderen von unserer Idee erzählen, weil man einen Sparring Partner braucht, der jene Dinge ausgleicht, die man selbst nicht kann, der mit einem an derselben Vision arbeitet. Irgendwann kommt der Moment, an dem die Puzzleteile ineinandergreifen - man trifft die richtigen Personen oder findet das richtige Projekt. Das sind Zufälle, die man selbst gesteuert hat. Wenn man durch die Welt läuft und seine Ideen hinausträgt, beginnt man bereits, sie langsam umzusetzen. Was man nie tun sollte: auf den richtigen Augenblick zu warten, denn den gibt es nicht. Wenn die erste Version einer Vision für einen selbst peinlich wirkt, dann ist das normal. Wenn man aber eine Version seiner Idee rausbringt, die für einen selbst bereits perfekt ist, war man zu langsam. Wichtig ist, rauszugehen und die Kunst wieder zu erlernen, sich zu blamieren. Die großen Visionen dieser Welt wurden nicht beim ersten Schuss fixiert, sondern waren immer Prozesse.

F: Sie haben selbst eine bewegende Geschichte. Vom Flüchtlingskind zum erfolgreichen Unternehmer. Sie erzählen davon auch in Ihren Büchern. Was treibt Sie an?

Mahlodji: Ich habe das große Glück und Privileg, dass ich trotz dieser Geschichte nun ein Leben nach meinen Maßstäben und Vorstellungen lebe. Leider sehe ich aber, dass es weltweit Millionen Menschen gibt, die ihr Potenzial nicht leben - Menschen, die einem Job nachgehen, der sie nicht erfüllt. Sie erfüllen die Erwartungshaltung von anderen, nicht ihre eigenen. Da ich dieses Gefühl gut kenne und weiß, dass man das ändern kann, habe ich schon viele Leute auf diesem Weg der Veränderung begleitet. Ich habe gesehen, dass jeder Mensch den eigenen Weg finden und gehen kann. Genau das treibt mich an, gibt mir Motivation und Energie weiterzumachen und die Welt dadurch besser zu machen. Meine simple Annahme dabei ist: Je mehr Menschen sinnerfüllt ihren Weg gehen, desto mehr Menschen werden versuchen, diese Welt zu verbessern. Unter "sinnerfüllt" verstehe ich, dass man sich in den Dienst dieser Welt stellt. Das Schöne ist, egal wo ich hinkomme, ich erlebe jede Woche, dass das möglich ist.

F: Woher nehmen Sie Ihre Ideen? Wer oder was inspiriert Sie?

Mahlodji: Ideen gibt es wie Sand am Meer. Meiner Meinung nach muss man sich immer in der richtigen Lebensphase befinden und die Zeit reif sein, sie entdecken zu können. Ich habe mit so vielen unterschiedlichen Menschen zu tun - mit Jugendlichen, mit älteren Personen, mit Technikerinnen, mit Sportlern, mit Leuten aus Human Resources, Führungskräften und noch vielen anderen. Wenn man hier offen ist, zuhört und im Austausch ist, wird man ständig von der Muse geküsst.

Meine Ideen kommen dadurch, dass ich mich in sehr vielen verschiedenen Lebensbereichen bewege. Ich werde täglich mit neuen Dingen konfrontiert, von denen ich keine Ahnung habe. Und wer inspiriert mich: die Menschen, denen ich begegne. Aktuell inspiriert mich Felix Lobrecht, ein deutscher Comedian, der sich selbst immer treu geblieben ist und so einer der besten Comedians im deutschsprachigen Raum wurde. Mich inspirieren Menschen, die mit dem Rücken zur Wand gestanden sind, aber viel mehr erreicht haben als jene, die eigentlich einen leichteren Start ins Leben hatten.

FutureOne Community

F: Ö1 bezeichnet Sie als Philosoph der Arbeitswelt. In welcher Rolle sehen Sie sich selbst?

Mahlodji: Ich sehe mich als Übersetzer zwischen den Welten. Einer, der im Herzen wirklich ein Philosoph ist, der aber gelernt hat, die Worte so zu wählen, dass die jeweiligen Menschen, zu denen ich spreche, sich auch gesehen und gehört fühlen. Ich versuche immer authentisch zu sein.

F: Wie können große Unternehmen es schaffen, Ihre MitarbeiterInnen zu Visionären werden zu lassen? Gibt es einen Unterschied zu kleinen Unternehmen bzw. Startups, EPUs, was Visionen betrifft? Haben die es sogar leichter?

Mahlodji: Große Unternehmen haben es eigentlich leichter, weil sie über mehr Menschen verfügen, die zum großen Ganzen beitragen. Ihr Problem ist aber oft, dass sie früher nicht über ihre Vision gesprochen haben. Wenn über eine Vision gesprochen wurde, dann war es meist die des CEOs oder der Shareholder. Startups sind überhaupt visionsgetrieben und bei kleinen Unternehmen kommt es darauf an - es gibt Familienunternehmen, die eine unfassbare Strahlkraft haben und dann gibt es kleine Unternehmen, die langweilig sind. Mit langweilig meine ich nicht, dass sie keinen guten Job machen, sondern dass sie die Menschen nicht inspirieren.

F: Welche Tipps würden Sie Konzernen für ihre Visionsarbeit geben?

Mahlodji: Bei großen Unternehmen würde ich anfangen, den Mitarbeitenden zuzuhören, sie fragen, welche Zukunft sie sehen. Veranstaltungen machen, die als Schwerpunkt das Thema Utopie haben, bei denen die Mitarbeitenden Fragen beantworten dürfen wie: Wenn wir 1 Million Euro Budget hätten und wir müssten sie in sechs Monaten ausgeben, damit alle, die hier arbeiten, glücklicher sind, was würden wir dann tun? Bei solchen Utopie-Spielen entstehen unfassbare Ideen. Ich würde beispielsweise auch jene Mitarbeitenden bitten, die selbst Kinder haben, diese an einem Tag mitzunehmen - nicht nur, dass die Kids sehen, was Mama oder Papa für einen Job machen, sondern dass sie ihre Ideen mitteilen. Ich würde einen sogenannten "Clowntag" implementieren, an dem sich jeder etwas Verrücktes überlegen kann. Ich würde also bewusst im Konzern dafür sorgen, dass ich das Wissen und die Sichtweisen aller Mitarbeitenden höre, verstehe und einbinde. Gerade große Konzerne haben unbemerkt oft unfassbare Visionärinnen in den Teams und sind meist ja auch entstanden, weil sie große Visionäre an der Spitze hatten.

Die Vision von Raiffeisen selbst ist auch unfassbar. Raiffeisen hatte verstanden, was Genossenschaft für die Menschen bedeutet. Aus meiner Sicht steht Raiffeisen für Gemeinschaft in ihrer pursten Form. Konzerne können im ersten Schritt ihre Mitarbeitenden mit der Ursprungsvision verbinden, indem sie z. B. einen eigenen Tag machen, an dem besprochen wird, wie die Vision entstand und wie sie auf unser jetziges Leben umzumünzen ist. Man könnte ihnen die Frage stellen, wie die Ursprungsidee von Raiffeisen in dieser heutigen oft chaotischen Welt belebt werden kann und lässt sie dann neu in die jetzige Welt übertragen. So wird man die Visionäre und Visionärinnen im Unternehmen finden.

Ali Mahlodji

F: Haben Visionen ein Verfallsdatum - so wie die Vorsätze, die man dann doch nicht durchhält?

Mahlodji: Eine Vision oder Utopie muss immer größer als ein Menschenleben sein, so dass man sie eigentlich nie erreichen kann - wenn man sie nämlich zu früh erreicht, fällt man in ein Loch, weil man nicht weiß, was danach kommt. Ich selbst habe die Vision, dass jeder Mensch, die Chance hat, seinen eigenen Weg zu entdecken und auch zu gehen. Bei acht Milliarden Menschen müsste ich mindestens 500 Jahre alt werden, um das zu erreichen. Aber es ist mein großes Ziel, daran arbeite ich und ich versuche andere zu entwickeln, damit die Reise dorthin geht. Visionen haben nicht unbedingt ein Verfallsdatum, aber sie haben eine Aktualität und müssen manchmal wieder entstaubt werden. Und man muss sich sehr oft daran zurückerinnern, warum man etwas begonnen hat.

F: Unser Heft erscheint Mitte Dezember, kurz vorm Jahreswechsel. Visionen statt Vorsätze: Welche Vision haben Sie für das Jahr 2022?

Mahlodji: Meine Vision für 2022 ist, dass wir alle zurückblicken und sagen, das was wir 2020 und 2021 erlebt haben, hat uns gut für das trainiert, was vor uns liegt. Wir wissen nicht wie lange die Pandemie noch dauert, wir wissen nicht, was danach kommt, aber wir wissen, egal, was auf uns zukommt, wir haben zwei Jahre durchgehalten, wir haben weitergemacht und wir sind noch da. Meine Vision ist, dass jeder Einzelne von uns versteht, dass man an diesem Leben, egal was passiert, immer mitwirken kann und dass das Leben immer besser wird als man angenommen hat. Am Anfang der Coronakrise dachten wir, wir werden massive Insolvenzwellen erleben, alle werden ihre Jobs verlieren, die Entwicklung der Impfung wird drei bis vier Jahre dauern, wir werden uns davon nie erholen. Wenn wir heute zurückschauen, haben wir zwar immer wieder Wellen, und ja, wir haben Probleme in der Gesellschaft, wenn es um die Impfung geht, aber sie wurde rascher entwickelt als wir dachten, bei den Arbeitslosenzahlen sind wir wieder auf dem Niveau wie vor Corona, und die Wirtschaft erholte sich auch schneller als angenommen. Wir reden uns die Zukunft oft schlecht, aber sie ist besser als ihr Ruf. Für 2022 ist meine Vision, dass wir uns dessen bewusst sind.

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Raiffeisen Bank International AG published this content on 19 January 2022 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 19 January 2022 09:51:00 UTC.