In wenigen Wochen wählt Deutschland eine neue Bundesregierung. Der bisherige Wahlkampf gleicht einem Trauerspiel. Am meisten ärgert mich, dass es keine einzige Politikerin und keinen einzigen Politiker gibt, die oder der uns eine positive Vision der Zukunft aufzeigt. Man kann von Elon Musk halten, was man will, aber bei seinem Treffen mit Armin Laschet vor wenigen Wochen, brachte er es auf den Punkt: Wir brauchen viel mehr Vorfreude auf die Zukunft. Das ist die Grundvoraussetzung, um die anstehenden Herausforderungen unserer Zeit - die es ohne Frage gibt und die größer scheinen denn je - überhaupt meistern zu können. Wir müssen doch wissen, wofür wir tun, was wir tun. Doch diese Vorfreude auf unsere Zukunft geht der deutschen Politik momentan gänzlich ab.

Statt Wähler mit Visionen zu begeistern, geht es bei uns immer nur um die Erhaltung des Status quo - bei Armin Laschet ('Wir spüren den Wind der Veränderung, aber ich bleibe standhaft …') genauso wie bei Olaf Scholz ('Ich bin Angela Merkel in männlicher Form ...') - oder um angsteinflößende Weltuntergangsszenarien (Die Grünen: 'Wir müssen uns massiv einschränken, sonst überrollt uns die Klimakatastrophe ...'). Dabei können Technologie und Innovationen einen entscheidenden Beitrag bei der Lösung der anstehenden Herausforderungen rund um Klima, Bildung, Gesundheit, zukünftiger Wohlstand leisten. Warum sieht das keiner? Warum hat niemand eine positive Vorstellung von der Zukunft und nimmt uns mit auf die Reise dorthin?

Liebe Politikerinnen und Politiker, bitte wacht auf und zeichnet für uns, eure Wählerinnen und Wähler, auch mal dieses positive Bild der Zukunft - so machen alle Maßnahmen, die wir ergreifen müssen, um dieses Ziel zu erreichen, doch gleich doppelt viel Spaß.

Unabhängig davon, welche Partei nach der Wahl am 26. September 2021 das Steuer in den Händen hält: Mit einem Regierungswechsel ist meist auch eine Reihe von Veränderungen verbunden. Welche das letztlich sind, entscheiden Sie, liebe Leserinnen und Leser - und zwar mit Ihrer Stimme.

Doch was bedeutet die Wahl einer neuen Kanzlerin oder eines neuen Kanzlers für Anlegerinnen und Anleger? Was planen die einzelnen Parteien in Sachen Aktiensparen, Vermögensanlage und Besteuerung der Kapitalerträge? Und wie sieht es in puncto Unternehmensbesteuerung aus? Diese wirkt sich indirekt auch auf die Kurse von börsennotierten Unternehmen aus - und damit auf Ihren Anlageerfolg, liebe Leserinnen und Leser. Mit welchen Auswirkungen müssen Unternehmer rechnen? Ist mit stärkeren Kursschwankungen infolge der neuen Politik zu rechnen und wie sollte man einer politischen Börse gegenübertreten?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, habe ich mir die Wahlprogramme der Parteien angesehen, die die größten Chancen auf eine Regierungsbeteiligung haben, das sind die CDU, die SPD, die Grünen und die FDP. Die Programme von Linke und AfD, deren Beteiligung eher unwahrscheinlich ist, lasse ich hier außen vor. Ich möchte Ihnen gern aufzeigen, was die Bundespolitik der jeweiligen Partei aus Anleger- und Unternehmersicht bedeuten würde. Aus deren Perspektive gibt es beim Wahlkampf im Wesentlichen vier Themen, die relevant sein können:

  • die allgemeine Besteuerung von Kapitalerträgen wie Kursgewinnen, Dividenden und Zinsen,
  • die Wiedereinführung einer Spekulationsfrist für Veräußerungsgewinne,
  • die Einführung einer Vermögenssteuer,
  • die Besteuerung von Unternehmensgewinnen allgemein.

Fangen wir in unserer Analyse bei der Vermögenssteuer an. Die CDU und die FDP sind gegen eine erneute Einführung, die SPD und die Grünen sind für eine entsprechende Vermögensabgabe. Die Vermögenssteuer wurde 1997 abgeschafft, ist aber immer mal wieder diskutiert worden. SPD und Grüne würden sie gerne wieder einführen, um die durch die Coronakrise gestiegenen Staatskosten querzusubventionieren und dem Staat insgesamt mehr Einnahmen zu bescheren. CDU und FDP nehmen davon klar Abstand.

Ein weiterer wichtiger Aspekt aus Anlegersicht sind Kapitalerträge wie Dividenden und Kursgewinne und deren Besteuerung - oder eben auch Nichtbesteuerung. Doch im Wahlprogramm der CDU und der SPD finden sich dazu keine neuen Pläne, die Parteien schweigen sich dazu aus. Ob das ein aus Anlegersicht gutes oder ein schlechtes Zeichen ist, ist fraglich. Ich vermute eher Letzteres. Die Aktienkultur und Kapitalmarktanlagen im Allgemeinen fristen in weiten Bereichen der Politik ein Schattendasein und werden oft genug immer noch als 'Teufelszeug' verunglimpft, dementsprechend wenig Beachtung findet das Thema im Wahlprogramm. Dabei ist eine steuerliche Förderung - speziell von Aktienanlagen - meines Erachtens längst überfällig. Die Grünen wollen, dass Kapitalerträge zukünftig nicht mehr mit der pauschalen Abgeltungssteuer belegt werden, sondern jeweils mit dem individuellen Steuersatz des Anlegers. Aus meiner Sicht keine gute Idee, da das zu einer höheren Steuerlast für alle Kapitalmarktanlagen führt. Die FDP will die heute geltenden Sparerfreibeträge deutlich anheben, also Privatanleger an dieser Stelle entlasten.

Ein umstrittenes Thema in Sachen Kapitalmarktanlagen sind Spekulationsfristen für private Veräußerungsgewinne. Bei einem Veräußerungsgeschäft sind diese ausschlaggebend dafür, ob Sie Steuern auf Ihren Gewinn zahlen müssen oder nicht. Bis 2009 gehörten auch Geschäfte mit Wertpapieren zu den privaten Veräußerungsgeschäften, das änderte sich mit Einführung der Abgeltungssteuer. Die CDU, die SPD und die Grünen planen derzeit kein Revival einer Spekulationsfrist für Wertpapiere. Anders die FDP: Sie will die Spekulationsfrist für private Veräußerungsgewinne wieder einführen, sie soll für drei Jahre ab Erwerb der Wertpapiere gelten.

Obwohl ich grundsätzlich einige liberale Ideen gut finde, halte ich die Wiedereinführung einer Spekulationsfrist und die damit verbundene Abschaffung der Abgeltungssteuer für Anlagezeiträume von mehr als 3 Jahren für unrealistisch - und ehrlich gesagt auch für keine gute Idee. Unrealistisch deshalb, weil das in Summe sehr schlecht für die Staatskasse wäre. Und keine gute Idee, weil damit die Einkommensungleichbehandlung verstärkt würde, denn Zinserträge und Kursgewinne unterlägen dann einer unterschiedlichen Besteuerung. Die von den Liberalen geplante Erhöhung der Sparerfreibeträge fände ich im Sinne aller Anleger hingegen klasse.

Und nun zum letzten Punkt, der Besteuerung von Unternehmensgewinnen. Was das mit Ihrer Geldanlage zu tun hat? Nun, wenn Sie in Aktien investiert sind, schmälern hohe Steuern den Unternehmensgewinn und können sich negativ auf die Kursentwicklung auswirken. Die SPD und die Grünen äußern sich hierzu kaum und halten ihre Ausführungen recht vage. Es ist aber bei beiden Parteien eher davon auszugehen, dass die Unternehmensgewinne stärker belastet werden, was die Aktienkurse belasten würde, speziell bei den Grünen unter anderem, um die Klimaziele zu erreichen.

Die Wahlprogramme der CDU und der FDP klingen im Punkt Unternehmensbesteuerung recht ähnlich: Sie wollen beide Bürokratie abbauen und mit Steuersenkungen oder -erleichterungen arbeiten. Die Steuern sollen bei 25 Prozent gedeckelt werden, die FDP will zudem die Gewerbesteuer abschaffen. Tendenziell sind das eher Maßnahmen, die Aktienkurse beflügeln könnten - und damit letztlich am ehesten im Interesse der Aktienanleger sind.

Das aus Anleger-, besser gesagt aus Aktionärs- und Unternehmersicht attraktivste Wahlprogramm bringt also - nicht ganz überraschend - die FDP mit. Dabei möchte ich betonen, dass diese Aussage sich eben auch nur auf die heute hier begutachteten Themenbereiche beziehen soll.

Wer sich, losgelöst von den eben betrachteten Anlagethemen, grundsätzlich fragt, welche Partei wie gut fürs eigene Portemonnaie ist, für den habe ich einen aufschlussreichen Artikel in der Süddeutschen Zeitung (SZ) gefunden[1]. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat für die SZ berechnet, was zentrale Vorschläge der Parteien ganz konkret für den Geldbeutel der Bürger bedeuten würden. Und die Unterschiede sind gewaltig. Hierbei lag der Fokus nicht - wie bei mir heute - auf den klassischen Anlagethemen, sondern die ZEW-Forscher konzentrierten sich allgemein auf die Steuer-, Sozial- und Familienpolitik, deren Wirkung für einzelne Haushalte in Deutschland bezifferbar ist. Das bedeutet: Diese Ergebnisse gelten nicht für die Wahlprogramme als Ganzes, weil Pläne zum Beispiel zum Klimaschutz oder zur Digitalisierung nicht auf einzelne Haushalte herunterzubrechen sind - oder zu vage formuliert wurden. Das ZEW hat für drei Haushaltseinkommen berechnet, welche Veränderungen die jeweiligen Parteien im Portemonnaie bedeuten könnten.

Fakt ist - egal, ob Sie ein niedriges, mittleres oder hohes Haushaltseinkommen haben: Geldanlagen und Vermögensaufbau sind heute nur noch mithilfe des Kapitalmarkts sinnvoll möglich. Das gilt für kleine, mittlere und große Vermögen gleichermaßen. Wichtig dabei: Bitte setzen Sie nicht auf einzelne Aktien, sondern immer möglichst breit gestreut auf so viele Titel als irgend möglich. Nur so ist ein echter Vermögenszuwachs (nach Inflation) auf lange Sicht heute noch möglich. Die erzielbaren Renditen liegen bei einem derart breit gestreuten Investment langfristig bei jährlich durchschnittlich sechs bis sieben Prozent.

In anderen Nationen, beispielsweise den USA, verursachen Präsidentschaftswahlen immer recht viel Unruhe an den Kapitalmärkten. In Deutschland hat das deutlich weniger Einfluss. Nicht umsonst heißt es: Politische Börsen haben kurze Beine. Für Anleger heißt es im und nach dem Wahlkampf, egal wer unser Land am Ende regiert, vor allem: Füße stillhalten, denn Anlagestrategien haben nichts mit Wahlausgängen zu tun, übrigens auch in den USA nicht. Wer im Wahlverdruss sein Depot anpasst, gerät eher auf Abwege, als dass er sich etwas Gutes tut.

So viel dazu. In der nächsten Ausgabe meines Tagebuches schaue ich mir die Wahlprogramme noch einmal an - und zwar im Hinblick auf das Thema Altersvorsorge. Auch hier sind dringende Reformen des bestehenden Systems notwendig - mal sehen, welche Ideen in den Wahlprogrammen auf uns warten.

Liebe Leserinnen und Leser, es ist ein absolutes Privileg, dass wir ein freies Wahlrecht haben. Für uns ist es selbstverständlich, viele andere Menschen dagegen können selbst heute nur davon träumen. Deshalb meine Bitte an Sie: Nutzen Sie Ihre Stimme und gehen Sie am 26. September wählen.

Was wünschen Sie sich von unserer neuen Regierung, liebe Leserinnen und Leser? Worüber ärgern Sie sich? Was erwarten Sie von der neuen Kanzlerin oder dem neuen Kanzler? Schreiben Sie mir gern - ich freue mich über Ihre Zeilen an kms@quirinprivatbank.de.

Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion

Auch der Podcast dreht sich um die bevorstehende Wahl. Die Folge 'Bundestagswahl 2021 aus Anlegersicht - was ist gut für die deutsche Wirtschaft?' geht neben den Anlagethemen u. a. auch auf das Thema Altersvorsorge ein. Hören Sie gerne gleich rein.

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quirin Privatbank AG published this content on 03 September 2021 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 03 September 2021 09:31:05 UTC.