Vor knapp zwanzig Jahren ist er in unsere Geldbörsen eingezogen, der Euro. Nun soll er einen Bruder bekommen, den digitalen Euro. Ganz in trockenen Tüchern ist das zwar noch nicht, die EZB prüft in den kommenden beiden Jahren erst einmal, ob und, wenn ja, wie ein digitales Pendant unserer heutigen Währung umsetzbar wäre. Erst dann entscheidet sie, ob der E-Euro tatsächlich kommen soll - oder eben doch nicht. Aber die Vorzeichen stehen - wenn Sie mich fragen - auf Grün. Und das ist gut so. Der mögliche E-Euro von morgen wirft aber heute schon viele Fragen auf: Ist er sicher, wie funktioniert er, was wird dann mit dem Bargeld? Und: Warum steht diese Entscheidung seitens der EZB überhaupt zur Debatte?

Die letzte Frage ist schnell zu beantworten: weil es allerhöchste Eisenbahn ist, damit wir international den Anschluss in Sachen Digitalwährung nicht verpassen. Denn in den vergangenen Jahren haben sich digitale Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum und Co. erfolgreich auf dem weltweiten Finanzparkett etabliert. Sie sorgen aufgrund ihrer Unabhängigkeit von den Zentralbanken dieser Welt für mächtig Furore und für Nervosität in der Geldpolitik. Wenn Sie meine Einschätzung zu Kryptowährungen allgemein interessiert - am 10. September wird es dazu eine Podcast-Folge geben. Hören Sie gerne einmal rein. Neben diesen nicht staatlichen Kryptowährungen gibt es zudem international auch schon digitales Zentralbankgeld, zum Beispiel den digitalen US-Dollar oder den E-Yuan.

Egal, ob Digitalgeld anderer Notenbanken oder privates Kryptowährungen - es handelt sich hierbei in nicht allzu ferner Zukunft um möglicherweise handfeste Konkurrenz für unser gesetzliches Zahlungsmittel. Die geldpolitische Souveränität der Euro-Zone und damit möglicherweise auch ihre finanzielle Stabilität stehen somit auf dem Spiel. Ein digitaler Euro könnte demgegenüber verhindern, dass Europa von digitalen Zahlungsmitteln abhängig wird, die außerhalb des Euroraums ausgegeben und von dort aus kontrolliert werden. Das ist ein wichtiger Punkt, liebe Leserinnen und Leser.

Bis zum digitalen Euro dauert es noch etwas

Grundsätzlich sind größere geldpolitische Veränderungen wie die mögliche Einführung des E-Euro zwar nicht alltäglich, aber auch nicht ganz neu. Unser Geld, so wie wir es heute kennen, hat sich im Laufe der Zeit schon des Öfteren komplett gewandelt: von den frühen Formen des Warengeldes über das Münz- und das Papiergeld bis hin zum heutigen Buch- oder Giralgeld.

Inhaltlich und organisatorisch sind solche Umwälzungen natürlich alles andere als trivial. Die EZB prüft deshalb erst einmal eingehend, bevor dann entschieden wird. Wenn diese Entscheidung pro E-Euro ausfällt, wird dieser dann in einer noch einmal dreijährigen Phase ausgerollt. Es kann also noch eine ganze Weile - wahrscheinlich mindestens bis 2026 - dauern, ehe wir das erste Mal mit dem digitalen Euro bezahlen können.

Ehe ich mit Ihnen schauen möchte, wie so eine digitale Währung eigentlich funktioniert, erlauben Sie mir noch einen Gedanken vorab: Gefühlt existiert bei dem Thema eine recht große Emotionalität. Dabei ist es eigentlich total unspektakulär. Schon heute haben wir verschiedene Formen des Euro: Papiergeld, Münzen oder verbucht auf den Konten bei unseren Banken, als Giralgeld. Und nun kommt - möglicherweise - eine neue Form hinzu, der E-Euro. Also eigentlich keine große Sache.

Der digitale Euro schafft das Bargeld nicht ab

Wenn der E-Euro denn tatsächlich kommt, sollen laut aktuellem Entwurf der EZB alle Bürgerinnen und Bürger des Euroraums eine digitale Geldbörse für das Zentralbankgeld, eine sogenannte Wallet, erhalten. Der Betrag, der dort zinslos (gut in Zeiten von Negativzinsen) geparkt werden kann, soll zunächst auf 3.000 Euro beschränkt werden. Damit soll verhindert werden, dass Bürger beispielsweise in Krisenzeiten große Geldmengen von ihren 'normalen' Bankkonten in digitales Geld umwandeln. Die Konten bei der Zentralbank für den E-Euro sind freiwillig sowie kostenlos und können mit dem klassischen Girokonto verknüpft werden. Wichtig, liebe Leserinnen und Leser: Der digitale Euro soll den Menschen zusätzlich zum Bargeld zur Verfügung gestellt werden und dieses nicht ersetzen. Eine Bargeldabschaffung wäre auch ein katastrophales Signal und politischer Selbstmord, wenn Sie mich fragen. Herkömmliches und digitales Geld werden frei konvertierbar sein, anders wäre es auch gar nicht denkbar. Ein E-Euro bietet die Effizienz eines digitalen Zahlungsmittels und wäre gleichzeitig sicheres Zentralbankgeld.

Vorteile des digitalen Euro

Darüber hinaus hat das digitale Zentralbankgeld (im Englischen: CBDC - Central Bank Digital Currency) aus Verbrauchersicht im Wesentlichen zwei große Vorteile. Einerseits muss es - anders als Bank- und Kreditkarten sowie private Digitalwährungen - innerhalb des Euroraums von allen Händlern akzeptiert werden. Andererseits ermöglicht es einen Zahlungsverkehr in Echtzeit: Der E-Euro kann in Sekundenschnelle an andere Menschen verschickt werden, auch über Ländergrenzen hinweg. Das dauert heute auf herkömmlichem Wege manchmal noch Tage und kostet häufig ordentlich Gebühren.

Aus Sicht der EZB sichert der E-Euro auch in Zukunft die Souveränität und Stabilität der eigenen Währung. Zudem wäre er voraussichtlich deutlich günstiger als herkömmliches Bargeld, da ein Großteil des Verwaltungsaufwandes entfallen würde.

Wirtschaft profitiert durch Verzahnung von Industrie und Zahlungstechnologien

Eine digitale Währung ist nicht nur aus Sicht der EZB und der Verbraucher zu begrüßen, sondern insbesondere auch aus der Perspektive der Wirtschaft. Und ehrlich gesagt finde ich, dass hier die wichtigsten Gründe liegen, warum wir einen digitalen Euro brauchen, denn die Vorteile für Verbraucher halten sich in Grenzen. Als neuer Transaktionsstandard, der einen schnelleren, einfacheren und günstigeren Geldtransfer ermöglichen soll, kann der E-Euro gegenüber dem jetzigen Überweisungssystem zu Kosteneinsparungen für die Industrie von bis zu 90 Prozent beitragen[1]. So schätzt IBM, dass beim Transport von Obst von A nach B etwa 200 Papiere ausgefüllt und weitergereicht werden (Lade- und Lieferscheine, Zollunterlagen, Rechnungen, Quittungen usw. auf jeder Zwischenstation). Das ließe sich vermeiden, wenn alle beteiligten IT-Systeme alle digitalen Währungen (nicht nur den E-Euro) verstehen und akzeptieren würden, also die Historie der gesamten Lieferkette. Solche Systeme heißen im Fachjargon 'Smart Contracts'.

Vorstellbar ist zudem, dass zukünftig beispielsweise Sensoren den Wartungsbedarf einer Maschine automatisch erkennen, bei zu großer Abnutzung selbstständig einen Wartungsauftrag senden und ihn automatisch mittels automatisierter Zahlungen entlohnen. Das ist nur ein Beispiel für die Industrie 4.0, die Verzahnung der industriellen Produktion mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik. Perspektivisch ist eine Machine-to-Machine-Economy vorstellbar, die ohne menschliches Zutun Aufträge abwickelt und entlohnt. Um diese wirtschaftlichen Potenziale auszuschöpfen, ist die Verzahnung der Industrie mit innovativen Zahlungstechnologien unabdingbar.

Und was wird aus den Banken?

Und hier kommen auch die Banken ins Spiel. Deren Begeisterung hielt sich anfangs in Grenzen, bedeutet der digitale Euro doch einen erheblichen Machtverlust, wenn Transaktionen zwischen EZB und Verbrauchern oder Maschinen direkt möglich sind. Was wieder einmal bestätigt, was Bill Gates schon 1994 konstatierte: 'Banking is necessary, but banks are not.' Wichtige Funktionen der Geschäftsbanken werden mit dem E-Euro überflüssig, etwa die Distribution des papierhaften Bargeldes, und Girokonten sind für das neue Geld nicht erforderlich, zumindest nicht in den Geschäftsbanken. Zudem bedeuten weniger Einlagen auch weniger Kreditgeschäft. Das mag in Zeiten von Minuszinsen noch zu verkraften sein, auf lange Sicht würde es die Banken aber vor große Herausforderungen stellen.

Doch ganz so schlimm würde es wohl doch nicht werden, wenn der digitale Euro käme. Es zeichnet sich ab, dass die EZB die digitalen Wallets und die dazugehörigen EZB-Konten allein gar nicht verwalten könnte und deshalb auch weiterhin auf die Geschäftsbanken angewiesen wäre. Die Geschäftsbanken werden also vermutlich als Vermittler zwischen Zentralbanken und Verbrauchern tätig bleiben - und bisher soll der E-Euro das Bargeld ja auch nur ergänzen und nicht ersetzen. Wenn es aber doch anders kommen sollte, wäre das für manche Banken eine existentielle Herausforderung, wenn Sie mich fragen.

Kommt der digitale Euro als Kryptowährung?

Diese Frage ist wesentlicher Bestandteil der Untersuchungen in den nächsten Jahren. Auf dem Prüfstand stehen zwei verschiedene Technologien, die TARGET Instant Payment Settlement (TIPS) des Eurosystems und die Blockchain-Technologie. In der bereits abgeschlossenen Vorstudie hat sich gezeigt, dass beide Technologien in der Lage sind, mehr als 40.000 Transaktionen pro Sekunde durchzuführen. Zudem werden die Technologien nicht in einem 'Entweder-oder-Prinzip' evaluiert werden, sondern es wird geschaut, inwiefern sie sich ergänzen können. Zudem wird schon jetzt betont, dass den Tests zufolge die Kerninfrastruktur für einen digitalen Euro umweltfreundlich wäre. Der Energieverbrauch für die Durchführung zehntausender Transaktionen pro Sekunde ist bei den getesteten Architekturen im Vergleich zu Krypto-Assets wie Bitcoin vernachlässigbar, so die Bundesbank.[2]

Liebe EZB, bitte prüft ergebnisoffen!

Ich weiß natürlich nicht, wie die EZB letztlich entscheiden wird, auch wenn die Vorzeichen momentan pro E-Euro zu stehen scheinen. Ich persönlich kann dazu nur sagen: Wir brauchen den digitalen Euro - und zwar so schnell wie möglich. Es ist nicht die Frage, ob wir irgendwann eine digitale Währung haben werden, sondern nur, welche es ist und wer sie steuert.

Ohne einen von der EZB herausgegebenen E-Euro werden wir - Sie, ich, wir alle - über kurz oder lang im schlechtesten Falle abhängig von digitalen Währungen, die außerhalb des Euro-Raumes ausgegeben und kontrolliert werden. Entweder sind das dann andere staatliche Währungen ('Krypto-Dollar') oder private 'Stable Coins', die keiner Regulierung unterliegen. Bei der Frage 'Digitaler Euro oder nicht?' geht es also um keine geringere Frage als die nach der Souveränität und Stabilität unseres Geldes. Die Verantwortung für diese digitale Währung sollte deshalb unbedingt bei der EZB liegen und nicht in anderen Ländern oder in privater Hand.

Mit welcher technischen Infrastruktur der E-Euro dann ins Leben geholt wird, darüber müssen nun die Experten der EZB urteilen. Meine Bitte an dieser Stelle: Liebe EZB, bitte prüft gründlich und vor allem wirklich ergebnisoffen, mit welcher Technologie der digitale Euro realisiert werden soll. Experten gehen davon aus, dass - wenn die Blockchain-Technologie verwendet wird, die auch die Basis von Bitcoin und Co. ist - die Machine-to-Machine-Economy einen riesigen Schub bekommen würde, was insbesondere der deutschen maschinenbaulastigen Wirtschaft enorme Wachstumsimpulse geben kann.

Es ist essentiell, alle Vor- und Nachteile gründlich abzuwägen - im Interesse aller Verbraucherinnen und Verbraucher und insbesondere im Interesse der deutschen Unternehmen. Ich bin heute schon sehr gespannt, wie die zuständigen Kommissionen letztlich entscheiden werden.

Wessen Meinung würden Sie gerne einmal zu diesem Thema hören? Schreiben Sie mir an kms@quirinprivatbank.de.

Ihr Karl Matthäus Schmidt

Autor: Karl Matthäus Schmidt, Vorstandsvorsitzender der Quirin Privatbank und Gründer von quirion

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