BRÜSSEL (dpa-AFX) - Die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 könnte nach Ansicht des Grünen-Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer zur Investitionsruine werden. "Das Triumphgeschrei, mit dem die russische Seite die Fertigstellung der Nord Stream 2 Pipeline feiert, ist verfrüht", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Auch wenn Nord Stream 2 jetzt gebaut sei, müsse die Pipeline die Erfordernisse des europäischen Rechts erfüllen.

So gebe es etwa das Prinzip des sogenannten Unbundlings (Deutsch: Entflechtung). Dieses besage, dass Gasproduktion und Infrastruktur zur Lieferung nicht in einer Hand liegen dürfe, um Monopole zu verhindern. "Dieses Unbundling hat Gazprom bisher für die Pipeline nicht vorgenommen", so Bütikofer mit Blick auf Nord Stream 2 und den russischen Gasriesen Gazprom. Zudem müssten laut europäischem Energierecht auch Dritte das Recht haben, in die Pipeline einzuspeisen, wofür Gazprom noch keine Lösung gefunden habe.

Die Pipeline war vor wenigen Tagen fertiggestellt worden. Künftig sollen durch die Leitung jährlich 55 Milliarden Kubikmeter Gas von Russland nach Deutschland fließen. Bei russischen Nachbarländern wie Polen und den baltischen Staaten stößt das Projekt aber auf große Vorbehalte. Die USA, die Ukraine und andere Staaten hatten gegen die Pipeline erbitterten Widerstand geleistet. Auf die Frage, ob die Fertigstellung des Projekts ein großer Triumph für den russischen Präsidenten Wladimir Putin sei, hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow gesagt: "Wenn Nord Stream 2 in Betrieb geht, dann sind die Energielieferanten ebenso die Gewinner wie die Verbraucher. Also alle."

Nach Überzeugung der Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock würde eine Inbetriebnahme der Pipeline massive geopolitische Probleme aufwerfen. Der Kreml mache unverhohlen deutlich, "dass die Leitung dem Zweck dient, Druck auf die Ukraine auszuüben, weil mit Nord Stream 2 der Gastransit durch die Ukraine überflüssig wird", sagte Baerbock dem "Handelsblatt". Polen und Balten seien "entsetzt über die fehlende Unterstützung der deutschen Bundesregierung". Der Schaden für Europa sei immens. "Das Verhalten Deutschlands konterkariert die europäischen Sanktionen gegenüber Russland und belastet unser Verhältnis zu unseren osteuropäischen Nachbarn."

Zudem sei die Pipeline unnötig, weil die bestehende Gasinfrastruktur ausreiche, sagte Baerbock. "Nord Stream 2 ist darauf ausgelegt, noch 2060 Erdgas nach Europa zu bringen. Das widerspricht offensichtlich diametral den europäischen und den deutschen Klimazielen."

Für die Inbetriebnahme ist noch eine Zertifizierung durch die deutschen Behörden notwendig. Wann die Starterlaubnis vorliegt, ist nicht klar. Doch selbst wenn die Bundesnetzagentur den Betrieb genehmigen sollte, könne die EU-Kommission dem Projekt noch einen Strich durch die Rechnung machen, so Bütikofer. Sollte sie valide Argumente sehen, dass eine möglicherweise positive Entscheidung der Bundesnetzagentur gegen das europäische Energierecht verstößt, könnte die Pipeline laut Bütikofer eine "Investitionsruine" werden./mjm/hgo/DP/nas