TÜBINGEN (dpa-AFX) - Das große Warten wird nochmals verlängert: Nach langen Vorarbeiten wollte Curevac endlich im zweiten Quartal eine Zulassung seines Coronavirus-Impfstoffs erreichen, der auf moderne mRNA-Technologie vertraut. Doch nun könnte sich dies noch um einige Wochen verzögern. Im Vergleich zu den mRNA-Wettbewerbern Biontech mit dem US-Partner Pfizer sowie dem US-Konzern Moderna war das Unternehmen aus Tübingen ohnehin bereits spät dran. Um in den Impfkampagnen noch eine bedeutende Rolle spielen zu können, tickt die Zeit.

ZUR LAGE DES UNTERNEHMENS:

Curevac mit dem SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp als Hauptinvestor gilt als Pionier der mRNA-Technologie: Hierbei liefert ein Molekül den Bauplan, um ein bestimmtes Protein zu bilden, gegen das der Körper dann Abwehrreaktionen entwickelt. Im Fall der Corona-Impfung handelt es sich um das sogenannte Spike-Protein, mit dem das Virus an die Zellen andockt. Auf diese moderne Technologie setzten auch die am Markt bereits etablierten Impfstoffe von Biontech und des US-Wettbewerbers Moderna.

In der Corona-Krise war der neuartige mRNA-Ansatz plötzlich in aller Munde, auch wenn die Anwendungsgebiete ursprünglich eher anderswo gesehen wurden, zum Beispiel in der Krebsprävention. Während der ersten Corona-Infektionswelle im Jahr 2020 wurde Curevac zu einem so großen Hoffnungsträger, dass sich der deutsche Staat im Rahmen einer Finanzierungsrunde über die Förderbank KfW mit 300 Millionen Euro beteiligte - wohl auch deshalb, um Fremdzugriffe auf das Know-how zu verhindern. Um mehr Gelder einzusammeln, folgte im August der Börsengang in New York.

Doch während Biontech/Pfizer und Moderna schon seit gut einem halben Jahr mit ihren Corona-Impfstoffen am Markt sind, steckt Curevac im Juni 2021 noch immer in der Forschungsschleife. Mitte Dezember begann die zulassungsrelevante klinische Phase-III-Studie mit 40 000 Teilnehmern für den Impfstoff. Über konkrete Daten aus den Forschungen wurde lange nichts bekannt. Nur in puncto Sicherheit hieß es, dass es keine Bedenken gebe.

Inzwischen ist aber klar: Da mittlerweile immer mehr Mutanten den ursprünglichen Virusstamm verdrängen, bezieht Curevac nun verschiedene dieser Varianten in seine umfangreichen Forschungen ein. Und das dauert eben länger. Zudem macht Curevac aktuell offenbar zu schaffen, dass die Pandemie abflaut. Dadurch sind bisher in den Kontrollgruppen nicht genug Menschen mit Covid-19 erkrankt - eine festgelegte Zahl Erkrankter ist hier aber nötig, um die Wirksamkeit des Mittels bei den Geimpften zu errechnen.

Die Verzögerungen bei Curevac sind auch ein Schlag für die Impfkampagne in Deutschland, denn die Bundesregierung hatte den Presseberichten zufolge in ihren Planungen offenbar ab Sommer fest auf das Mittel gesetzt. Nun aber soll die Europäische Arzneimittelbehörde EMA nicht mit einer Zulassung "nicht vor August" rechnen, wie zuletzt aus der Politik unter Berufung auf Gesundheitsminister Spahn verlautete. Am Freitag war sogar darauf spekuliert worden, dass Curevac in der diesjährigen deutschen Impfkampagne gar keine Rolle mehr spielen könnte.

In der EU liegt der Fokus bei der Impfstoffbeschaffung mittlerweile klar auf dem Wettbewerber Biontech aus Mainz. Um sich in den Impfkampagnen doch noch einen wichtigen Stellenwert schaffen zu können, müsste Curevacs Vakzin daher wohl anderswo wichtige Pluspunkte bieten. Curevac-Gründer und mRNA-Entdecker Ingmar Hoerr hat in zahlreichen Interviews klar gemacht, dass das Unternehmen - anders als Biontech - für sein Vakzin auf die Lagerung bei Kühlschranktemperaturen setzt.

Curevac-Chef Franz-Werner Haas dämpfte unterdessen in einem Interview mit dem "Handelsblatt" wegen der Mutationen zuletzt auch die Erwartungen an die Wirksamkeit des künftigen mRNA-Impfstoffes. Doch den bisherigen Auswertungen zufolge wirkt auch das Vakzin von Biontech und Pfizer gegen die mutierten Corona-Viren nicht mehr so umfänglich wie gegen den Urstamm.

Wirtschaftlich gesehen ist das Vakzin für Curevac bisher nur ein immenser Kostentreiber, bevor eine Zulassung Milliardenumsätze und damit einen Geldsegen verspricht. Der Verlust vor Steuern lag im ersten Quartal bei rund 112 Millionen Euro - bei lediglich zehn Millionen Euro Umsatz, die das Unternehmen zu Jahresbeginn schreiben konnte. Im Jahr 2020, als die Entwicklung des Corona-Impfstoffs anlief, hatte Curevac einen Vorsteuerverlust von knapp 130 Millionen Euro zu beklagen.

Um schnell auf Masse gehen zu können und die Entwicklung weiter vorantreiben zu können, wurden mittlerweile diverse Produktions- und Entwicklungspartnerschaften geschlossen, darunter eine solche mit dem Pharmakonzern Bayer. Gemeinsam mit GlaxoSmithKline (GSK) arbeitet das Unternehmen bereits an einer zweiten Impfstoff-Generation und an einer Booster-Impfung zur Auffrischung.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die jüngsten Berichte über die Verzögerungen am Impfstoff haben im Chartbild von Curevac deutliche Spuren hinterlassen. Noch im Dezember 2020 hatten die Papiere ein Rekordhoch bei mehr als 150 Dollar erreicht, als Biontech gerade mit ersten Zulassungen seines Impfstoffs für Euphorie sorgte. Doch diese Marke wurde wieder aus den Augen verloren. Mittlerweile liegt der Kurs bei rund 100 Dollar und damit auf einem Tief seit Mitte Mai. Damals waren Spekulationen über eine Freigabe von Patenten gerade abgeflacht. Diese hatten die Aktien ein paar Tage zuvor sogar kurz unter 90 Dollar gedrückt.

Ein Drittel hat der Kurs also mittlerweile seit dem Rekord eingebüßt. Der bisherigen Bestmarke von 151,80 Dollar waren die Aktien Anfang Februar und Ende April mit Zwischenspitzen von 133 respektive 130 Dollar mehrfach nur noch näher gekommen. Das letzte Mal gelang dies vor wenigen Tagen mit einem Zwischenhoch bei 125,66 Dollar, von dem ausgehend sie nun in wenigen Tagen allerdings mehr als ein Fünftel an Wert verloren haben.

Damit ist die Curevac-Aktie in den vergangenen Monaten im Vergleich zum Wettbewerber Biontech ins Hintertreffen geraten. Als dessen Kurs Ende 2020 beflügelt wurde von der ersten Zulassung, färbte dies zunächst einige Monate lang ab. Anleger versahen Curevac aus Fantasie für eine spätere Zulassung mit Vorschusslorbeeren. Seit Ende März ist die Sippenhaft aber vorbei: Biontech wurde in Europa zum verlässlichsten Impfstoffversorger, die Aktie hat sich seitdem mehr als verdoppelt. Curevac dagegen hat seither nur noch wenig Boden gut gemacht.

Wer beim Börsengang zum Zuge kam, muss sich über Kursverluste aber keine Sorgen machen. Im August 2020 waren die Hinterlegungsscheine (ADR) von Curevac zu 16 Dollar ausgegeben worden und dann schon an den ersten Handelstagen an das Nasdaq-Börse bis auf 85 Dollar hoch geschossen. Sie pendelten sich dann bei etwa 50 Dollar ein, bis sie ab November anzogen, als Biontech mit positiven Wirksamkeitsdaten in der Pandemie für erste Aufbruchstimmung gesorgt hatte.

Die Aktie des Mainzer Wettbewerbers war 2019 zu 15 Dollar ausgegeben worden, sie steht nun mit knapp 240 Dollar beim fast 16-fachen. Curevac hat seinen Wert seit dem Börsengang dagegen aktuell nur versechsfacht. Am Kapitalmarkt wird Curavec derzeit mit fast 19 Milliarden Dollar bewertet. Größter Nutznießer des Kursanstiegs ist Hopp. Der SAP-Gründer hält nach Bloomberg-Angaben knapp 47 Prozent der Aktien.

Der Bund folgt mit 16 Prozent - das Paket ist derzeit umgerechnet rund 2,5 Milliarden Euro wert. Das Engagement hat sich für den Staat also zumindest finanziell gelohnt. Drittgrößter Anteilseigner ist der britische Pharmakonzern GlaxoSmithKline, der acht Prozent der Papiere hält.

Der Konkurrent Biontech ist allerdings auch in der Marktkapitalisierungs-Wertung enteilt. Die Mainzer sind der Börse fast 58 Milliarden Dollar wert. Größte Biontech-Anteilseigner sind Andreas und Thomas Strüngmann. Die beiden Brüder, die 2005 den Generikahersteller Hexal an den Schweizer Konzern Novartis verkauft hatten, halten Bloomberg-Daten zufolge über die Beteiligungsgesellschaft AT Impf GmbH knapp die Hälfte der Biontech-Anteile. Biontech-Chef Ugur Sahin, der das Unternehmen 2008 auch gegründet hat, gehören rund 17 Prozent der Anteile.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Nach wie vor gibt es nur wenige Analysten, die ein Auge auf Curevac werfen. Umer Raffat vom US-Analysehaus Evercore ISI blickt schon länger optimistisch auf die von ihm mit "Outperform" eingestufte Aktie. Er betonte nach den Berichten über eine Verzögerung bis in den August darauf, dass das Unternehmen noch immer für den Monat Juni mit neuen Zwischenergebnissen rechne, bei denen der Rahmen allerdings erst 111 verzeichnete Infektionsfälle vorsehe. Final müssten es 185 werden und dafür zeichnete der Experte einen neunmonatigen Zeitrahmen für die Gesamtstudie bis September.

Konsequent am Ball ist vor allem die Berenberg Bank mit einer zuletzt beibehaltenen Kaufempfehlung und einem Kursziel von 123 US-Dollar. In seiner jüngsten Studie urteilte Zhiqiang Shu kürzlich, das vergangene Jahr sei für Curevac angesichts der hohen Entwicklungskosten ein Übergangsjahr gewesen. Er rechnet mit positiven Nachrichten, zumal die anfängliche Skepsis der Bevölkerung für mRNA dem Gegenteil gewichen sei. Die EU-Kommission will deshalb bei den nächsten Impfstoff-Bestellungen auch vor allem auf Produkte mit dieser Technologie setzen./tih/tav/fba/zb/mis