Von Rolfe Winkler und Aaron Tilley

NEW YORK (Dow Jones)--Der 16 Milliarden US-Dollar schwere Zukauf von Nuance durch Microsoft unterstreicht die wachsende Bedeutung des Gesundheitswesens für den Technologiesektor. Hier dürften die Tech-Riesen sich bald so manchen Schlagabtausch liefern. Es ist eine Branche, deren Notwendigkeit, Daten und Software zu nutzen, durch die Covid-19-Pandemie eindrucksvoll unterstrichen wurde.

Die Übernahme wird Microsoft helfen, über den Verkauf seiner Software an Gesundheitssysteme das große Geschäft von Nuance anzuzapfen, so Analysten und Führungskräfte im Gesundheitswesen. Spracherkennungssoftware, wie Nuance sie entwickelt hat, mausert sich zu einer wichtigen neuen Technologie in der Medizin. Ärzte können damit die Dokumentation der Patientenarbeit durch Diktat beschleunigen, anstatt sich mit dem Schreiben von Notizen aufzuhalten, wie Führungskräfte erläutern.


   Gesundheitswesen strebt langsam auch in die Cloud 

"Bei diesem Zusammenschluss geht es um die Stärkung des Gesundheitswesens", sagt Microsoft-Chef Satya Nadella in einer Telefonkonferenz mit Investoren. "Es ist jetzt sehr klar, dass Gesundheitsorganisationen, die ihre digitalen Investitionen beschleunigen, die Ergebnisse für die Patienten verbessern und die Kosten in großem Umfang reduzieren können."

Die Pandemie hat dazu beigetragen, das Potenzial des Gesundheitswesens als Wachstumsbereich für Tech-Firmen zu demonstrieren, wie zum Beispiel auch der Boom bei Telemedizin-Diensten unter Beweis stellt. Microsoft kann Nuance als Mittel nutzen, um Kunden aus dem Gesundheitswesen seine lukrativeren Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen. Dazu zählt laut Analysten auch das Cloud-Geschäft.

"Die Reaktion der Gesundheitsbranche auf die Pandemie hat den Wert der Technologie für die Gesundheitsversorgung bewiesen", meint Direktor Gregg Pessin von Gartner. "Alle digitalen Giganten werden darauf aufmerksam."

Nuance hat Jahre dafür gebraucht, seine Sprachverarbeitungs-Software aufzubauen, um medizinische Terminologie zu verstehen, so Pessin. Microsoft kann nun diese Fähigkeit, medizinische Fachsprache zu verstehen, in Produkte wie Teams integrieren. Letzteres ist ein Kommunikations-Tool, das sich zu einem Schlüsselelement von Microsofts lukrativer Office-365-Produktivitätssoftware entwickelt hat.


   Nuance kostet einen stolzen Preis 

Microsofts Kauf des Spracherkennungsunternehmens scheint auch ein Signal dafür zu sein, dass Akquisitionen im Gesundheitsbereich durch große Tech-Unternehmen wahrscheinlich nicht billig sein werden. Inklusive Schulden zahlt der Softwareriese einen Preis, der dem 13-Fachen des Umsatzes von Nuance für das Geschäftsjahr 2020 entspricht. Das Unternehmen wird in diesem Jahr voraussichtlich auch nur um 8 Prozent wachsen.

Gregory Moore von Microsofts Gesundheits- und Biowissenschaftsgeschäft wird die Integration von Nuance in Microsoft beaufsichtigen, wie aus einer internen Microsoft-E-Mail hervorgeht. Vor Microsoft leitete Moore bei Google Cloud die Bestrebungen, in den Gesundheitsmarkt einzusteigen. Mark Benjamin bleibt CEO von Nuance und berichtet an Scott Guthrie, Executive Vice President von Microsofts Cloud- und KI-Gruppe.


   Bisher dominiert im Gesundheitswesen Papier 

Microsoft, Amazon und Google konzentrieren sich nunmehr darauf, ihre Cloud-Computing-Dienste an Gesundheitssysteme zu verkaufen. Die Branche brauchte länger als andere, um sich für die Cloud zu rüsten. "Das Gesundheitswesen ist eine papierbasierte, manuelle, schreckliche Branche voller Ineffizienz", schimpft Brent Thill, Analyst bei Jefferies. Wenn Microsoft der Branche helfe, eine bessere digitale Strategie zu entwickeln, indem es sowohl Cloud-Computing-Dienste als auch Softwareanwendungen für neuere Technologien wie Telemedizin verkaufe, könne das Unternehmen einen Milliardenmarkt erschließen.

Die großen Tech-Unternehmen nehmen den Gesundheitsmarkt auf unterschiedliche Weise ins Visier und spielen dabei ihre Stärken aus, so Glen Tullman, ein langjähriger Manager in der Branche, der jetzt Chef des Gesundheits-Start-ups Transcarent ist. Eine Priorität sind Patientendaten, entweder aus Krankenakten, die von Gesundheitssystemen gesammelt werden, oder direkt von den Verbrauchern selbst, auch über tragbare Geräte. Durch das Sammeln und Auswerten solcher Daten können die Unternehmen neue Märkte und Umsatzmöglichkeiten finden.


   Tech-Riesen tummeln sich auf Markt fürs Gesundheitswesen 

Microsofts Nuance-Deal zeigt, dass sich das Unternehmen auf den Verkauf von Unternehmenssoftware in dieser Branche konzentriert. Amazon prescht derweil in den Onlinehandel im Gesundheitswesen vor und liefert nun Medikamente aus, nachdem es das Online-Apotheken-Startup Pillpack für 1 Milliarde Dollar übernommen hat. Vergangenen Monat gab das Unternehmen bekannt, dass es in den gesamten USA telemedizinische Dienste anbieten wird, die es über seine Cloud-Computing-Plattform bereitstellen kann. Der Konzern hat auch ein Gerät zur Messung der körperlichen Aktivität auf dem Markt.

Apples Gesundheitsstrategie konzentriert sich auf den Verkauf seiner Geräte an Gesundheitsdienstleister sowie auf das Angebot mobiler Apps, die Dinge wie körperliche Aktivität oder Herzrhythmus über das iPhone und die Apple Watch verfolgen. iPhone-Benutzer können auch elektronische Gesundheitsdaten von Ärzten oder Krankenhäusern auf ihr Gerät laden. Google arbeitet inzwischen mit zwei medizinischen Systemen zusammen, um Gesundheitsdaten für Ärzte durchsuchbar zu machen. Es hat seine eigene App, um Bewegungsaktivität, Schlaf und andere Wellness-Daten zu verfolgen. Und es kaufte Fitbit, das Unternehmen hinter einem anderen Fitnessarmband, dessen 2,1 Milliarden Dollar teure Übernahme kürzlich abgeschlossen wurde.


   Gesundheitsbranche ist schwieriges Terrain 

Die Gesundheitsbranche mit ihren vielen anspruchsvollen Sicherheits- und Datenschutzanforderungen ist ein schwieriger Bereich für Technologieunternehmen. So versuchte IBM seinen Dienst für Künstliche Intelligenz Watson an die Gesundheitsbranche zu verkaufen, um Ärzte bei der Diagnose und Heilung von Krebs zu unterstützen. Aber IBM kämpfte jahrelang damit, seinem eigenen Hype gerecht zu werden und Marktanteile zu gewinnen. Seit Februar prüft IBM den Verkauf von Watson, wie das Wall Street Journal berichtete.

Amazon beendete Anfang des Jahres ein Gemeinschaftsunternehmen im Gesundheitswesen, das es 2018 mit großem Tamtam zusammen mit Berkshire Hathaway und JP Morgan gestartet hatte. Das Joint Venture sollte Technologie nutzen und neue Wege finden, um die Kosten für die gemeinsamen 1,5 Millionen Mitarbeiter zu senken. Stattdessen kämpfte es damit, selbst grundlegende Herausforderungen zu lösen, wie zum Beispiel zu verstehen, was einige Arten von Pflege tatsächlich kosten.


   Kritik von Datenschützern 

In den vergangenen Jahren hat Googles Bestreben, durch Vereinbarungen mit Krankenhäusern und anderen Gesundheitsdienstleistern Zugang zu Gesundheitsdaten zu erhalten, Kritik von einigen Datenschutzbeauftragten und Patientengruppen auf sich gezogen. Ein Top-Manager des Unternehmens sagte, es sei ein Fehler gewesen, dass Google ein großes, sensibles Programm unter Ausschluss der Öffentlichkeit aufgebaut habe.

Seit dem Ausbruch der Pandemie hat sich Microsoft darauf konzentriert, mehr Produkte an die Gesundheitsbranche zu verkaufen. Im Oktober kündigte der Konzern ein Bündel von Cloud-Diensten speziell für das Gesundheitswesen an, sein erstes branchenspezifisches Cloud-Angebot. "Microsoft sieht jetzt viele Möglichkeiten, über die Cloud fürs Gesundheitswesen das Wachstum voranzutreiben", merkt Mark Moerdler, Analyst bei Bernstein Research, an.

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April 14, 2021 05:43 ET (09:43 GMT)