BERLIN (dpa-AFX) - Angesichts weiter bestehender Corona-Risiken nimmt der Bund die Länder für einen vorsichtigen Öffnungskurs in den Frühling in die Pflicht. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) appellierte am Freitag an alle Ministerpräsidenten, nicht über den beschlossenen "maßvollen" Stufenplan hinauszugehen. "Das ist das Maximum, was wir uns an Lockerungen leisten können." Es gehe nicht um das Ende aller Maßnahmen, sondern einen langsamen Ausstieg aus den Einschränkungen. Rückfälle seien jederzeit möglich. Laut Robert Koch-Institut (RKI) ist in den Krankenhäusern der Höhepunkt der Belastungen noch nicht überschritten. Im Blick steht auch weiterer Schutz in den Schulen.

Deutschland habe die Omikron-Welle "einigermaßen gut gemeistert", sagte Lauterbach. Die Entwicklung sei aber "noch nicht wirklich in sicheren Gewässern". Er verwies auf den weiterhin hohen Anteil Ungeimpfter bei gefährdeten Menschen über 60 Jahre. RKI-Vizepräsident Lars Schaade erläuterte: "Unsere Daten deuten darauf hin, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle überschritten ist." Der Scheitelpunkt für die Intensivstationen sei aber noch nicht erreicht. Zudem nehme der Anteil des wohl noch leichter übertragbaren Omikron-Untertyps BA.2 in Deutschland zu. Setze er sich weiter durch, sei nicht auszuschließen, "dass die Fallzahlen langsamer sinken oder auch wieder ansteigen".

Die Sieben-Tage-Inzidenz ist laut RKI erneut leicht gesunken - auf nun 1371,7 nach 1385,1 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen am Vortag. Die Gesundheitsämter meldeten 220 048 neue Fälle an einem Tag. Experten gehen aber gerade von einer hohen Zahl von Fällen aus, die in den amtlichen Daten nicht erfasst sind. Registriert wurden nun auch 264 weitere Todesfälle binnen 24 Stunden.

Lauterbach appellierte mit Blick auf die Bund-Länder-Beschlüsse an die Ministerpräsidenten: "Wir müssen das umsetzen wie ein Uhrwerk." Es wäre falsch, wenn man sich nun als jemand zu profilieren versuchte, der besonders schnell lockere. "Das ist alles auf Kante genäht." Nicht verwirren lassen solle man sich durch Rufe nach großen Öffnungen wie in Dänemark oder England. So eine Lockerungsstrategie "verbietet sich für uns", sagte der Minister. Deutschland habe drei- bis vier Mal so viele ältere Ungeimpfte wie diese Staaten.

Bund und Länder hatten einen Drei-Stufen-Plan für Öffnungen bis hin zu einem möglichen Ende aller tiefgreifenderen Auflagen am 20. März vereinbart - ein "Basisschutz" soll aber auch danach bleiben. Im ersten Schritt sollen Kontaktbeschränkungen für Geimpfte und Genesene und der vielerorts schon aufgegebene Zugang nur für Geimpfte und Genesene (2G) im Handel entfallen. Im zweiten Schritt soll ab 4. März der Zugang zu Gastronomie und Hotellerie auch schon mit negativem Test (3G) möglich werden. Bei Großveranstaltungen sollen mehr geimpfte oder genesene Zuschauer zugelassen sein als bisher.

Lauterbach warnte vor einem kompletten Aufgeben der Schutzmaßnahmen für Kinder in den Schulen. Man könne "nicht eine Durchseuchung in den letzten Monaten bis zum besseren Wetter" zulassen. Zum nötigen Schutz zählten bei den noch hohen Inzidenzen auch Masken. Der Immunologe Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig sagte, vorrangig müsse dafür gesorgt werden, dass Schulen "stabil und gleichmäßig" offen blieben. Man könne Masken in den Schulen dann absetzen, "wenn das dieses Ziel nicht gefährdet". Er verwies auf mentale Belastungen für Kinder durch Unsicherheit, wie es weitergehe - auch mit Hin und Her bei verschiedenen Regeln zu Masken.

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel sprach sich auch für weitere regelmäßige Tests aus. Sie stimme der Empfehlung des Expertenrats der Regierung zu, dass Schulen, Kitas und andere Einrichtungen für Kinder und Jugendliche offen bleiben müssten, sagte die Grünen-Politikerin der Deutschen Presse-Agentur. "Um sie allerdings bestmöglich vor einer Ansteckung zu schützen, muss weiter regelmäßig und verbindlich getestet werden." Der Expertenrat mahnte in einer neuen Stellungnahme von Donnerstagabend eine hohe Priorität für das Wohl von Kindern in der Corona-Krise an. Sie müssten vor Infektionen und vor Erkrankungen infolge der Pandemie gleichermaßen geschützt werden.

Für Impfungen sollen erste Lieferungen des Präparats von Novavax kommen. Erwartet würden an diesem Montag 1,4 Millionen Dosen und in der Woche darauf noch eine Million Dosen, sagte Lauterbach. Die Gesundheitsminister der Länder hatten sich dafür ausgesprochen, das Präparat vorrangig Beschäftigten im Gesundheitswesen anzubieten. Novavax könnte eine Alternative für Menschen sein, die Vorbehalte gegen die bisherigen mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna haben.

Lauterbach warb erneut um Unterstützung für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, um die Pandemie in Deutschland bewältigen zu können. Für den Herbst sei nach Einschätzungen in der Wissenschaft mit möglichen weiteren Corona-Wellen zu rechnen, erläuterte er. Lauterbach erklärte seine persönliche Unterstützung für einen von mehreren Ampel-Abgeordneten vorgelegten Entwurf für eine Impfpflicht ab 18 Jahren. Auf dem Tisch liegt auch ein weiterer Entwurf für eine verpflichtende Beratung und dann eine mögliche Impfpflicht ab 50.

Das Bundesinnenministerium hat nach Angaben einer Sprecherin an der Ausarbeitung der Anträge durch das Gesundheitsressort mitgewirkt und hält die Ausgestaltung beider Entwürfe für verfassungskonform. Das Justizressort äußerte sich nicht näher./sam/jr/jjk/abc/DP/jha