Das Sichtbarmachen der dreidimensionalen Strukturen von Proteinen - den winzig kleinen Maschinen der Biologie - ist bei der Entwicklung neuer Arzneimittel häufig ein kritischer Schritt. Bislang gibt es nur eine Handvoll von Technologien, mit denen Bilder dieser winzigen Moleküle aufgenommen werden können, und diese Methoden funktionieren nicht bei allen Proteinen. Daher müssen viele Proteine - die möglicherweise als Wirkstoff-Targets eingesetzt werden könnten - noch ausführlich untersucht werden. Dank neuester Fortschritte in der Mikroskopie rücken nun viele dieser bisher schwer fassbaren Proteine in die Reichweite von Strukturbiologen. Gemeinsam haben Novartis und das Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research ein hochmodernes Mikroskopiezentrum ins Leben gerufen, um sich an dieser Revolution in der Arzneimittelforschung zu beteiligen.

Ein Quantensprung

'Als ich zum ersten Mal sah, was mit der Kryo-Elektronenmikroskopie möglich ist, war ich völlig von den Socken', sagt Gruppenleiter Nicolas Thomä vom mit Novartis verbundenen Friedrich Miescher Institute for Biomedical Research (FMI) in Basel. 'Es war ganz klar, dass dies eine Revolution ist und wir einen Quantensprung der Möglichkeiten erleben werden.'

Die Kryo-Elektronenmikroskopie, kurz Kryo-EM, ist ein Verfahren, bei dem mit Elektronenstrahlen (anstatt Lichtstrahlen) Bilder von winzigen biologischen Molekülen wie etwa Proteinen erzeugt werden, die etwa eine Million Mal kleiner sind als ein Millimeter. Anhand dieser Bilder können Wissenschaftler dreidimensionale Strukturen abbilden und die innere Funktionsweise von Proteinen verstehen - und mit diesen Informationen können sie wiederum Arzneimittel entwickeln, die mit diesen Proteinen interagieren.

'Moleküle sehen zu können, war immer ein wichtiger Bestandteil bei der Verbesserung von Arzneimitteln', so Thomä. Sein Fachgebiet ist die Proteinmechanik der DNA-Replikation und DNA-Reparaturprozesse, die bei einer Fehlfunktion Krebs verursachen können. 'Die Sichtbarmachung dieser kleinen Proteine - die Minimaschinen der Zelle - hilft uns zu verstehen, wie sie funktionieren und wie sie im Falle von Krankheiten nicht funktionieren.'

Die Kryo-EM ist nicht neu, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Arbeit - Arbeit, für die die Forscher im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Chemie erhielten. Ausserdem ist die Kryo-EM nicht das einzige Verfahren, mit dem Bilder von Proteinen aufgenommen werden können. Andere häufig verwendete Verfahren sind die Proteinkristallographie sowie die magnetische Kernresonanzspektroskopie, die genauso komplex sind, wie sich ihre Bezeichnungen anhören. Dank ihnen konnten Wissenschaftler bereits die strukturellen Details von weit mehr als 100 000 Proteinen der unterschiedlichsten Organismen sammeln. Dies ist jedoch nach wie vor nur ein Bruchteil der über eine Million Proteine, die die Biologie bietet.

Die Kryo-EM eignet sich ideal für einige dieser bislang unnahbaren Proteine. Bis vor einigen Jahren waren mit ihr erstellte Bilder jedoch nicht detailliert genug, sodass sie für die Arzneimittelforschung ungeeignet waren. Dank den jüngsten technologischen Fortschritten bei den Kameras der Mikroskope und den enormen Verbesserungen bei der Bildbearbeitung bieten die mit der Kryo-EM erstellten Bilder nun eine ausreichend hohe Auflösung, mit der Proteine fast im atomaren Detail sichtbar gemacht werden können.

Teil der Revolution sein

Forscher in aller Welt sind begierig, mit diesen neuen Mikroskopen arbeiten zu können. Allerdings ist es nicht immer leicht, an eines heranzukommen. Diese Instrumente sind teuer, kompliziert, und nur wenige Menschen verfügen über die erforderlichen Fachkenntnisse, um sie zu bedienen - ganz zu schweigen davon, um damit zu arbeiten. Kurz gesagt: Der Kauf eines solchen Mikroskops ist für jede Einrichtung eine gewaltige Herausforderung.

'Für das FMI alleine wäre es sehr schwierig gewesen, und mir war bewusst, dass wir einen Partner brauchten', erklärt Thomä. 'Nachdem wir diese ersten Ergebnisse gesehen hatten, kontaktierte ich direkt meine Partner bei Novartis.' Thomä wusste, dass die Technologie nicht nur für das FMI, sondern auch für die Arzneimittelforschung bei Novartis eine Revolution sein könnte. Auch Sandra Jacob, eine der Partnerinnen von Thomä bei Novartis, war sich dessen bewusst.

'Die besten Gruppen der Welt steigen alle auf Kryo-EM um. Die Investition ist jedoch für einen alleine zu hoch - selbst für die meisten Pharmaunternehmen', sagt Sandra Jacob, Executive Director of Protein Sciences an den Novartis Institutes for BioMedical Research (NIBR). 'Nachdem Nicolas uns kontaktiert hatte, wussten wir, dass wir voneinander lernen konnten und dass dies etwas war, was wir gemeinsam tun sollten.'

Dieser Vorschlag stellte für beide Institute eine der bislang grössten technologischen Investitionen dar. Gemeinsam konnten Thomä und Jacob jedoch ihre jeweilige Geschäftsleitung von den Versprechen dieser innovativen Technologie überzeugen. In der Folge erhielten sie die Finanzierung zur Schaffung eines brandneuen gemeinsamen Kryo-EM-Zentrums auf dem Novartis Campus in Basel, nur wenige Minuten vom FMI entfernt.

Dank der Verbindung der Kompetenzen, des Engagements und der Begeisterung aller Beteiligten wurde das Zentrum Ende 2016 in Betrieb genommen. Novartis ist damit eines der ersten Pharmaunternehmen, das über sein eigenes Mikroskop und den direkten Zugang zum revolutionären Potenzial dieser Instrumente verfügt.

Novartis arbeitet bereits seit Langem mit den verschiedensten Instituten zusammen, um die Arzneimittelforschung in aller Welt voranzutreiben. Unter der Leitung von Jay Bradner, Präsident der NIBR seit 2016, hat Novartis noch mehr offene Wissenschaftsinitiativen ins Leben gerufen. Gleichzeitig wurden potenzielle Partner aktiv angeregt, neue Forschungsideen einzubringen.

'Novartis arbeitet auf die unterschiedlichste Art und Weise mit externen Partnern hier in der Schweiz und rund um den Globus zusammen, und zwar vom Austausch im kleinen Rahmen bis hin zu Konsortien aus mehreren Instituten', sagt Jacob. 'Das alles wird vom Wunsch getrieben, voneinander zu lernen, sowie vom Engagement von Novartis, der Welt Instrumente zur Verfügung zu stellen, um die Arzneimittelforschung anzuregen.' Diese Zusammenarbeit mit dem FMI war dabei genau die Art von Projekt, die Wissenschaftler zusammenbringen konnte, um die Entdeckung und Entwicklung besserer Medikamente zu fördern.

Hochsensible Instrumente

Bevor die Wissenschaftler jedoch mit ihren Versuchen beginnen konnten, musste zuerst die spezialisierte Anlage geplant und gebaut werden, die für diese sensiblen Instrumente benötigt wurde. Elektronenmikroskope sind äusserst empfindlich und müssen von jeglichen Geräuschen, Vibrationen oder Temperaturschwankungen isoliert werden. Selbst elektromagnetische Felder können Probleme verursachen. Die bisherigen Erfahrungen des FMI mit derartigen Instrumenten erwiesen sich bei der Planung des Zentrums als enorm wertvoll. Novartis Technical Operations wiederum brachten das nötige Know-how für den Bau einer solchen Anlage ein.

Seit der Fertigstellung des Zentrums arbeiten Mitarbeiter beider Institute gemeinsam daran, einen reibungslosen Betrieb der Anlage zu gewährleisten. Sie unterstützen einander bei den vielen Forschungsprojekten, die nun von der Technologie profitieren können.

'Ohne diese Zusammenarbeit gäbe es kein Mikroskop', sagt Christian Wiesmann, der seit 2015 das NIBR-Team im Bereich Kryo-EM leitet. 'Wir arbeiten wirklich als ein Team zusammen.' Das Kryo-EM-Zentrum ist noch nicht einmal seit einem Jahr in Betrieb, trägt aber bereits zur Arbeit in der Arzneimittelforschung bei. Die Kryo-EM bietet zahlreiche Chancen: So können Wissenschaftler nun nicht nur einzelne Proteinstrukturen sichtbar machen, sondern auch Verbünde mehrerer Proteine, die zusammenarbeiten.

Abwehr gegen Parasiten

'An biologischen Signalwegen sind in der Regel viele Proteine beteiligt. In der Vergangenheit mussten wir die meisten ignorieren und uns jeweils auf ein einziges konzentrieren', sagt Thomä. 'Mit der Kryo-EM können wir die vielen Teile gleichzeitig betrachten und ihre Interaktion untersuchen.'

Neben den biologischen Signalwegen sind viele möglicherweise interessante Wirkstoff-Targets Protein-komplexe, also Sammlungen von Proteinen, die sich miteinander verbinden, um eine einzige biologische Maschine zu bilden. Einer dieser Komplexe und eines der ersten Forschungsprojekte, die im Kryo-EM-Zentrum untersucht werden, ist ein als Proteasom bezeichneter Proteinkomplex. Proteasome sind hochkomplexe Proteine. Sie werden zum Abbau unerwünschter oder falsch gefalteter Proteine benötigt und sind für viele zelluläre Prozesse unerlässlich. Parasiten, die Leishmaniose, Chagas-Krankheit oder Schlafkrankheit verursachen, fordern jedes Jahr über 50 000 Todesopfer. Wie die meisten Organismen können sie nur mit einem funktionsfähigen Proteasom überleben.

Jüngst identifizierten Forscher des Genomics Institute der Novartis Research Foundation in Zusammenarbeit mit Novartis ein einzelnes kleines Molekül, das das Proteasom dieser Parasiten blockieren kann. Da dieser Wirkstoff die Funktion des menschlichen Proteasoms nicht beeinflusst, könnte er eine Option für die selektive Abtötung von Parasiten darstellen, die in einen menschlichen Körper eingedrungen sind.

Nur der Anfang

Das Forschungsteam konnte zwar belegen, dass sein Wirkstoff die Proteasome der Parasiten hemmte. Allerdings fehlte ihnen ein klares Bild seiner genauen Wirkungsweise oder wie sie den Wirkstoff zu einem Arzneimittel weiterentwickeln konnten.

'Es standen andere Proteasomstrukturen zur Verfügung, aber keine war für die Arzneimittelforschung detailliert genug', sagt Wiesmann. 'Es gab einige Modelle, wir konnten aber nicht sagen, welches davon das richtige war - aber dank der Kryo-EM war die Antwort auf einmal klar.'

'Uns bieten sich schon jetzt weit mehr Möglichkeiten, als wir erwartet hatten', meint Jacob. 'Anhand dieser Strukturen - wie der des Proteasoms - können wir verstehen, wie ein Wirkstoff ein Wirkstoff-Target hemmt und wie wir den Wirkstoff zu einem Arzneimittel verbessern können.'

Von einzelnen Proteinen bis zu Komplexen aus mehreren Proteinen - das neue Zentrum ermöglicht bislang nie dagewesene detaillierte Einblicke in eine Vielzahl von Proteinstrukturen. Dank des Instruments können auch hochaufgelöste Strukturen ganzer Viren und andere höchst interessante Targets für die Arzneimittelforschung sichtbar gemacht werden.

'Seit das Instrument eingetroffen ist, haben wir das Gefühl, dass wir noch ehrgeiziger sein müssen: Was uns vorher fast unmöglich schien, scheint nun durchaus machbar', sagt Thomä. 'Solche bahnbrechenden Momente gibt es im Leben eines Wissenschaftlers nicht so oft. Daher sind wir sehr glücklich, dass wir als Team mit Novartis zusammenarbeiten, um die Arzneimittelforschung zu unterstützen.'

Novartis AG veröffentlichte diesen Inhalt am 06 April 2018 und ist allein verantwortlich für die darin enthaltenen Informationen.
Unverändert und nicht überarbeitet weiter verbreitet am 06 April 2018 12:25:09 UTC.

Originaldokumenthttps://www.novartis.ch/de/news/eine-revolution-der-mikroskopie

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