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LOS GATOS (dpa-AFX) - Nach einer tristen ersten Jahreshälfte mit Kundenschwund ist der Streaming-Gigant Netflix dank erfolgreicher Shows wie "Stranger Things" und "Dahmer" wieder auf Wachstumskurs. Im vergangenen Vierteljahr verbuchte das Unternehmen unterm Strich 2,4 Millionen neue Bezahlabos. "Gott sei Dank haben wir die Quartale mit Rückgängen hinter uns", sagte Netflix-Chef Reed Hastings mit Blick auf die sinkenden Nutzerzahlen im ersten Halbjahr.

Doch der langjährige Streaming-Marktführer bleibt unter Druck. Um noch mehr Kunden anzulocken und sich im verschärften Wettbewerb zu behaupten, wagt Netflix mit dem Start eines günstigeren Abos mit Werbung einen tiefen Eingriff in sein Geschäftsmodell. Zudem will der Konzern Trittbrettfahrer zur Kasse bitten, die Konten anderer Kunden durch das Teilen von Passwörtern mitbenutzen. Ab Anfang 2023 will Netflix strikt dagegen vorgehen.

In den drei Monaten bis Ende September erreichte der Videodienst im Jahresvergleich einen Nutzerzuwachs von 4,5 Prozent und übertraf sowohl die eigene Prognose von rund einer Million neuen Kunden als auch die des Finanzmarkts deutlich. Die Aktie legte im vorbörslichen Handel am Mittwoch um knapp 13 Prozent zu. "Wir glauben, dass wir auf dem Weg sind, das Wachstum wieder zu beschleunigen", erklärte Netflix in seinem am Vorabend veröffentlichten Geschäftsbericht.

Zum Quartalsende brachte es das Unternehmen demnach auf insgesamt gut 223 Millionen Nutzerkonten. Netflix geht bis zum Jahreswechsel von weiteren 4,5 Millionen neuen Kunden aus. Der Negativtrend ist also zunächst beendet. An das Wachstum vergangener Zeiten kommt der unter Konkurrenzdruck von Rivalen wie Disney+, Hulu und HBO stehende Anbieter aber nicht heran. Zum Vergleich: Im Schlussquartal 2021 gewann Netflix 8,3 Millionen neue Nutzer.

"Wir wachsen immer noch nicht so schnell, wie wir es gerne hätten", räumte Finanzchef Spencer Neumann ein. Große Hoffnung setzt das Unternehmen zum Jahresende auf die fünfte Staffel seiner Hitserie "The Crown" über die britische Königsfamilie. Um sich im scharfen Wettbewerb zu behaupten, nimmt Netflix viel Geld für Produktionen und Marketing in die Hand. So fiel der Nettogewinn im jüngsten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum um rund 3,5 Prozent auf 1,4 Milliarden Dollar. Im laufenden Vierteljahr erwartet Netflix sogar nur ein Ergebnis von 163 Millionen Dollar.

Immerhin scheinen sich die Investitionen auszuzahlen. Nicht nur die Nutzerzahlen und der Geschäftsausblick überraschten positiv, auch beim Umsatz übertraf Netflix mit einem Zuwachs um 6 Prozent auf 7,9 Milliarden Dollar die Markterwartungen. Für das laufende Quartal allerdings geht das Unternehmen von einem leichten Rückgang der Erlöse aus. Grund sei allein der starke Dollar, der Auslandseinnahmen schmälert.

Netflix leistete sich im Geschäftsbericht diesmal einen ungewohnten Seitenhieb gegen seine Rivalen, die bei der Jagd nach Marktanteilen im Streaming-Geschäft mitunter tiefrote Zahlen in Kauf nehmen: "Wir schätzen, dass sie alle Geld verlieren." Insgesamt dürften der versammelten Konkurrenz 2022 operative Verluste von deutlich mehr als 10 Milliarden Dollar entstehen, während Netflix für sich einen Betriebsgewinn von 5 Milliarden bis 6 Milliarden erwarte.

"Unsere Wettbewerber investieren kräftig, um ihr Abonnenten-Wachstum und -Engagement anzutreiben, doch ein großes und erfolgreiches Streaming-Geschäft aufzubauen, ist hart", schrieb Netflix im Brief an die Aktionäre. Trotz der Rückkehr zum Kundenwachstum ist es vor allem der Streaming-Pionier selbst, der zurzeit Baustellen zu bewältigen hat. Im November soll das verbilligte Basis-Abo mit Werbung anlaufen - eine Strategie, auf die viele Konkurrenten setzen, die Netflix-Chef Hastings aber jahrelang strikt abgelehnt hatte.

Experten sehen großes Potenzial für das Modell. Maria Rua Aguete vom Londoner Marktforschungsunternehmen Omdia schätzt, dass bis 2027 fast 60 Prozent der weltweiten Netflix-Fans die werbefinanzierte Version nutzen werden. Daraus würden 23 Prozent der US-Einnahmen kommen. Weltweit könnten es dann 14 Prozent sein. Allerdings gibt es auch Befürchtungen, dass sich Netflix mit dem Billig-Abo ins eigene Fleisch schneidet. Es berge das Risiko, dass viele Altkunden zum günstigeren Angebot wechselten, hieß es beispielsweise in einer Studie des Bankhauses Barclays./hbr/DP/ngu