Vevey (awp) - Der weltgrösste Nahrungsmittel-Hersteller Nestlé veröffentlicht am Donnerstag, 28. Juli das Geschäftsergebnis für das erste Semester 2022. Insgesamt 13 Analysten haben zum AWP-Konsens beigetragen.

(in Mio Fr.)                 AWP-Konsens          H1 2021  

Umsatz                         45'105             41'755      
EBIT adj.*                       7495               7251     
- Marge (in %)                   16,6               17,4    
Reingewinn                       5508               5945   

(in %)
Organisches Wachstum              7,5                8,1   
RIG                               1,7                6,8    


Q2 2022E                                          Q1 2022

(in %)
Organisches Wachstum              7,4                7,6    
RIG                               1,1                2,4     


* Trading Operating Profit

FOKUS: Die Analysten sind sich einig, dass Nestlé auch im zweiten Quartal ein hohes organisches Wachstum gelungen ist. Dieses dürfte hauptsächlich auf höheren Preisen beruhen, während das Volumenwachstum sich wieder etwas abschwächen dürfte. Die Experten rechnen damit, dass der Preiseffekt denjenigen des ersten Quartals - den stärksten seit 2008 - sogar nochmals übertreffen wird. Firmenchef Mark Schneider liess bereits im Frühling verlauten, dass im Jahresverlauf weitere Preiserhöhungen notwendig würden.

 

Regional gesehen wird das Umsatzwachstum den Analysten zufolge unter anderem vom US-Geschäft getrieben. Dort dürfte mehr Säuglingsnahrung verkauft worden sein, nachdem die Fabrik eines grossen Konkurrenten wegen Verunreinigungen vorübergehend schliessen musste. Aber auch Tierfutter dürfte in den USA erneut zu den Kassenschlagern zählen.

 

Auf der anderen Seite gehen die Experten von einem Rückgang der Verkäufe in China aus. Denn dort herrschen noch immer Lockdowns und Nestle generiert in der Region mehr als einen Viertel des Umsatzes mit Fertigmenüs, deren Nachfrage in Zeiten des Homeoffice naturgemäss sinkt. Zudem schwächelt dort nach wie vor das Geschäft mit der Säuglingsnahrung.

 

Die wichtigste Frage, die sich die Marktteilnehmer vor der Zahlenvorlage von Nestlé stellen, liegt jedoch auf der Gewinnseite der Konzernrechnung: Wird das Unternehmen seine Erwartung bezüglich operativer Profitabilität für das Gesamtjahr bestätigen? Die Analysten meinen, dass dies nicht der Fall sein wird - zu stark sei die Kosteninflation bei Verpackungen, Logistik, Rohstoffen und Löhnen. Und bereits im Frühling hatte das Management eingeräumt, dass die Margenguidance von 17 bis 17,5 Prozent ambitiös sei. Somit geht das Gros der Analysten hier von einer Senkung der Erwartungen aus.

 

ZIELE: Nestlé stellte zuletzt ein organisches Wachstum von ungefähr 5 Prozent in Aussicht und eine EBIT-Marge von 17,0 bis 17,5 Prozent. Analysten erwarten, dass der Konzern die Guidance für das organische Wachstum erhöhen dürfte, während die Margenerwartung wohl gesenkt wird.

 

PRO MEMORIA:

 

- M&A: Nestlé hat auch im zweiten Quartal wieder mehrere strategische Zu- und Verkäufe getätigt. Dabei gehört es unter anderem zur Strategie, dass das Unternehmen den Bereich Health Science (NHSc), also das Geschäft mit Gesundheitsprodukten, weiter ausbaut. Jüngst etwa übernahm NHSc das neuseeländische Unternehmen The Better Health Company oder den brasilianischen Nahrungsergänzungs- und Vitaminhersteller Puravida. Aber auch die Konzentration auf Premium-Marken gehört zur Strategie. Im Frühling übernahm Nestlé den hippen Gewürzhändler Ankerkraut. Das führte zu einem Shitstorm in den sozialen Medien, bei dem die Gründer des kleinen Unternehmens aus Hamburg wegen des Verkauf ihrer Firma an den grossen Nestlé-Konzern angefeindet wurden.

 

Es ist im zweiten Quartal aber auch zu einem Verkauf gekommen. Nestlé hat seine Franchisefirma "Nestlé Toll House Café by Chip" in den USA an die Restaurantkette Fat Brands verkauft. Bei keiner der Übernahmen oder Verkäufe gab Nestlé den Kauf- oder Verkaufspreis bekannt.

 

- PRODUKTE & NEWS: Nestlé hat den USA mit tonnenweise Babymilchpulver ausgeholfen. In dem Land herrschte eine Knappheit an Säuglingsnahrung, nachdem eine Fabrik schliessen musste. Verschiedene Hersteller aus Europa kamen zum Zug, darunter auch Nestlé. Das Unternehmen lieferte im Mai als allererstes im Rahmen der von Präsident Joe Biden ins Leben gerufenen "Operation Fly Formula" 22 Tonnen Milchpulver in das Land. Im Juni folgten weitere 22 Tonnen. Zudem weitete Nestlé die Produktionskapazitäten aus, um der hohen Nachfrage gerecht zu werden.

 

Während Nestlé in den USA von der Schliessung einer konkurrenzierenden Fabrik profitieren konnte, litt es in Europa selbst unter einer Schliessung. In einer Fabrik der Tochter Buitoni in Frankreich wurden E.Coli-Bakterien in Pizzen nachgewiesen. Fälle von Nierenversagen bei Kindern sollen mit dem Verzehr der kontaminierten Pizzen in Zusammenhang stehen. In zwei Fällen sollen sogar Kinder gestorben sein. Inzwischen ist ein Untersuchungsrichter mit dem Fall befasst, die Fabrik ist geschlossen. Nestlé Frankreich hat einen Fonds eingerichtet für die Familien der Opfer, der laut dem Chef von Nestlé Frankreich jedoch "in keiner Weise an die Stelle von Entschädigungen treten" soll, die von der Justiz beschlossen würden.

 

- AKTIENRÜCKKAUFPROGRAMM: Der Nahrungsmittelmulti hat Anfang Jahr ein neues Aktienrückkaufprogramm lanciert, bei dem es Aktien von bis zu 20 Milliarden Franken zurückkaufen will. Es läuft noch bis Ende 2024. Wie Analyten schreiben, ist im bisherigen Jahresverlauf bereits ein Drittel des angestrebten Ziels erreicht worden, was mehr als 2 Prozent des Aktienkapitals entspricht.

 

AKTIENKURS: Die Papiere von Nestlé haben im bisherigen Jahresverlauf einen Rückgang um gut 8 Prozent verzeichnet. Damit schneidet der Konzern jedoch deutlich besser ab als der Gesamtmarkt (SMI) mit einem Minus von knapp 13,8 Prozent.

jg/tv/tt