Von Carol Ryan

LONDON (Dow Jones)--Eigentlich schlägt sich Nestle in der aktuellen Situation ganz ordentlich. Angesichts einer Inflation in einigen wichtigen Märkten auf Vier-Jahres-Hoch sind die Umsätze des Nahrunsmittelkonzerns erstaunlich. Das große Europageschäft könnte dem Unternehmen in den kommenden Monaten aber einen Strich durch die Rechnung machen.

Der Schweizer Lebensmittelgigant, der unter anderem Nescafe-Kaffee und Purina-Tiernahrung vertreibt, meldete zuletzt das höchste Quartalswachstum seit 14 Jahren und hob seinen Ausblick für das Gesamtjahr an. Die Umsätze kletterten in den drei Monaten bis September bei konstanten Wechselkursen um 9,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Produkte, die außerhalb des Hauses konsumiert werden, wie abgefülltes Wasser und Süßwaren, verkauften sich besonders gut. Die Nachfrage nach diesen Produkten war im vergangenen Jahr zwar während der Lockdowns zurückgegangen, hat sich aber mit der Rückkehr der Menschen zu einem normaleren Tagesablauf wieder erholt.


  Preise statt Volumen steigen 

Das gesamte Wachstum von Nestle im Berichtsquartal verdankt der Konzern jedoch höheren Preisen und nicht dem Verkauf größerer Mengen. Die Marken des Unternehmens sind heute im Durchschnitt 9,5 Prozent teurer als zur gleichen Zeit des vergangenen Jahres. Doch selbst diese Erhöhungen werden die Inflation der Inputkosten, die das Unternehmen erlebt, nicht vollständig ausgleichen. Das Management rechnet für das Gesamtjahr mit einer operativen Marge von 17 Prozent, die damit um 0,6 Prozentpunkte unter dem Niveau der Vorpandemie liegt.

Keine Frage: Der Konzern steht vor einem Balanceakt. Eine weitere Anhebung der Preise könnte die Kunden dazu bewegen, zu billigeren Marken überzulaufen. Das interne Realwachstum von Nestle, das sich aus dem Volumen und dem Mix der verkauften Produkte ergibt, ist zum ersten Mal seit mindestens einem Jahrzehnt ins Minus gerutscht. Dies liegt vor allem daran, dass das Unternehmen im vergangenen Jahr während der Lockdowns ungewöhnlich viele Waren verkaufte. Die Kunden reagieren jedoch immer empfindlicher auf Preiserhöhungen bei Alltagsprodukten wie Milcherzeugnissen. Eigen-Handelsmarken gewinnen einen Teil des Marktanteils zurück, den sie während der Pandemie verloren hatten, als die Verbraucher sich mit bekannteren Lebensmittelmarken versorgten.


  Nestle wälzt höhere Kosten nur zum Teil auf europäische Kunden ab 

Das große Europa-Geschäft, das rund 20 Prozent des Gesamtumsatzes von Nestle ausmacht, wird es schwieriger machen, die jüngste starke Leistung bis 2023 aufrechtzuerhalten. Die europäischen Verbraucher haben die höheren Energierechnungen noch nicht in vollem Umfang zu spüren bekommen, werden aber in diesem Winter mit höheren Heiz- und Stromkosten rechnen müssen. Selbst wenn man die kürzlich angekündigten staatlichen Preisobergrenzen berücksichtigt, sind die Strompreise für ein Jahr in Europa und Großbritannien etwa doppelt so hoch wie der Durchschnitt für 2021, so die Bank of America.

Verkäufer von Verbrauchsgütern wie Kleidung leiden in der Regel stärker als Konsumgüter-Marken, wenn die Kunden weniger Geld ausgeben können. Aber europäische Unternehmen wie Nestle und Unilever sind in der Region stärker engagiert als die US-Konkurrenten Procter & Gamble und Kraft Heinz. Nestle scheint in der Region bereits vorsichtig zu agieren. Der Preisanstieg von 5,7 Prozent in Europa in den ersten neun Monaten dieses Jahres ist fast halb so hoch wie die aktuelle Inflationsrate in der Eurozone und in Großbritannien. Nestle - mit der größten Gewichtung in den Stoxx-Europe-Indizes - erwies sich während der Pandemie als stabiler und zuverlässiger Wert. Heute werden die Aktien mit dem 21-fachen der prognostizierten Gewinne gehandelt und rangieren damit leicht unter dem Fünfjahresdurchschnitt von 23. Das deutet auf einen hohen Wert hin, aber der europäische Winter wird ein harter Test für den defensiven Ruf von Nestle.

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October 20, 2022 04:40 ET (08:40 GMT)