Von Matthias Goldschmidt

FRANKFURT (Dow Jones)--Die großen Versicherer haben mit der Umstellung auf die Bilanzierungsstandards IFRS 9 und IFRS 17 ein Mammutprojekt zu stemmen. Für Christoph Jurecka, Finanzvorstand des Rückversicherers Munich Re, ist der Aufwand, der für den Konzern in den dreistelligen Millionen-Euro-Bereich geht, die Mühe wert. Denn von einer höheren Transparenz und Einheitlichkeit kann seiner Ansicht nach die gesamte Branche profitieren, welche sich am Kapitalmarkt oftmals unter Wert verkauft.

"In fehlender Einheitlichkeit liegt viel Potenzial für Missverständnisse", sagte Jurecka, der seit fast zwei Jahren Finanzvorstand der Munich Re ist, im Gespräch mit Dow Jones Newswires. "Unterschiede führen dazu, dass diese Branche als komplex wahrgenommen wird und am Kapitalmarkt daher unterbewertet wird." Wichtig sei eine "möglichst einheitliche IFRS-17-Implementierung zum gleichen Zeitpunkt", was zu einer insgesamt verbesserten Transparenz führe. "Davon kann die Versicherungsbranche insgesamt am Kapitalmarkt nur profitieren."

Ein Versicherungsvertrag sei "schon per se ein abstraktes Gut", so der Finanzvorstand, der diese Funktion zuvor fast acht Jahre bei Ergo, der Erstversicherungstochter der Munich Re, innehatte. Hinzu komme eine regulatorische Komplexität, die dem globalen Nebeneinander von verschiedenen Standards geschuldet sei. Dass die US-Versicherer nicht mit an Bord sind, hält er für bedauerlich, aber "wenn wir es außerhalb der USA schaffen, vergleichbar zu sein, ist schon ein wichtiger Schritt gemacht."


   Kosten für Umstellung gehen in die hunderte Millionen Euro 

Mit IFRS 17 werden Ansatz, Bewertung und Ausweis von Versicherungsverträgen geregelt. Dabei geht es nicht nur um Erst- sondern auch um Rückversicherungs- und bestimmte Investmentverträge. Ursprünglich sollte IFRS 17 in der Fassung aus dem Mai 2017 ab dem 1. Januar 2021 erstmals verpflichtend zur Anwendung kommen. Aufgrund des hohen Aufwands wurde der Zeitpunkt jedoch verschoben. Nun haben die Versicherer bis Anfang 2023 Zeit. Auch reicht es nun, wenn sie IFRS 9 ebenfalls zu dem Zeitpunkt einführen. Diese Vorschrift regelt die Bewertung von Kapitalanlagen in der Bilanz.

Die Umstellung auf die Standards IFRS 9 und 17, die mehr als 90 Prozent der gesamten Bilanz des Konzerns abdecken, sei ein "extrem umfassendes und großes Programm für Munich Re", sagte Jurecka, der die Kosten der Umstellung auf konzernweit einen dreistelligen Millionen betrag beziffert und dabei einen Einblick in den zu leistenden Aufwand gibt: "Betroffen sind bei uns über 50 Millionen Versicherungsverträge, die wir nach dem neuen Standard IFRS 17 bilanzieren müssen", sagte er. "Über 250 Milliarden Euro an Assets under Management sind von IFRS 9 betroffen. Zudem sind mehr als 50 IT-Systeme anzupassen oder neu einzuführen. Wir brauchen zukünftig ganz andere Daten zur Bilanzierung unseres Geschäfts."


   Kein Handlungsbedarf bei Solvency II 

Die IFRS-Umstellung ist für die Branche von Seiten der Regulatorik derzeit sicherlich das wichtigste Thema. Aber auch bei Solvency II, dem seit 2016 geltenden Regelwerk zur Eigenmittelausstattung von Versicherungsunternehmen, könnten sich demnächst Änderungen ergeben. So hat die europäische Versicherungsaufsicht Eiopa einen Überprüfungsprozess lanciert.

Hier sieht Jurecka aber keinen unmittelbaren Bedarf für Veränderungen. "Ich bin für Stetigkeit, und weil Solvency II ja im Grunde auch gut funktioniert, gibt es für mich keinen dringenden Handlungsbedarf", sagte er.

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November 30, 2020 08:32 ET (13:32 GMT)