Von Jacky Wong

SIDNEY (Dow Jones)--Corona, Russlands Krieg gegen die Ukraine und wachsende geopolitische Spannungen in Asien haben die globalen Lieferketten durcheinander gebracht. Bestrebungen haben im Westen Konjunktur, wichtige Lieferketten wieder in die Heimatländer zurückzuholen. Das gilt vor allem für solche, die mit China, dem Moloch der Industrie, verbunden sind.

Eine Abkopplung von der Volksrepublik, eine vollständige Unterbrechung der wirtschaftlichen Beziehungen, ist dabei unwahrscheinlich. Aber Lieferketten würden künftig weniger stark integriert sein als in der Vergangenheit. Dies hätte erhebliche Folgen für Firmen wie Verbraucher und wahrscheinlich auch für die langfristigen Inflationserwartungen.

Zwei Gesetzesvorschläge aus Europa sind das jüngste Beispiel dafür, wohin die Reise geht. Vergangene Woche schlug die EU ein Verbot von Produkten vor, die mit Hilfe von Zwangsarbeit entstehen. China wird darin zwar nicht namentlich genannt, doch ist der Vorwurf, dass Uiguren in der Region Xinjiang Zwangsarbeit leisten müssen, die klare Zielrichtung des Gesetzes. UN-Berichte haben in den vergangenen Wochen bei diesem Thema zusätzlich für Aufruhr gesorgt. In einem ist zu lesen, es sei "vernünftig, zu dem Schluss zu kommen", dass in Xinjiang Zwangsarbeit stattgefunden habe. Und die Menschenrechtsorganisation der UN erklärte, China habe Verbrechen gegen Uiguren und andere muslimische Minderheiten begangen. China streitet alle derartigen Behauptungen ab.


 Europa hängt bei Solartechnik massiv von China ab 

Das vorgeschlagene EU-Gesetz sieht allerdings weniger streng aus als sein US-Pendant. In den USA müssen Importeure nachweisen, dass Produkte aus Xinjiang nicht mit Hilfe von Zwangsarbeit entstanden sind - eine unglaublich hohe Hürde. Im EU-Vorschlag sollen Produkte erst nach Abschluss einer Untersuchung gesperrt werden, wenn Zwangsarbeit nachgewiesen ist. Das könnte sich allerdings ändern, da der Vorschlag von Rat und EU-Parlament genehmigt werden muss. Bis der aktuelle Vorschlag Gesetz wird, könnten also noch Jahre ins Land gehen. Trotzdem wächst der Druck auf Unternehmen ihre Lieferketten zu überdenken, zumal das Gesetz in den USA bereits in Kraft ist. In einigen Branchen könnte der Umbau schwierig werden - etwa in der von China dominierten Lieferkette für Photovoltaik. Xinjiang mit seinem Zugang zu reichlicher und billiger Kohle-, Solar-und Windenergie ist ein wichtiger Produzent des Vorprodukts Polysilizium, ohne das Solarzellen nicht auskommen.

Laut Morgan Stanley ist Europa Chinas größter Einzelmarkt für Solarexporte. Chinesische Lieferungen von Solarmodulen nach Europa sind in der ersten Jahreshälfte um 137 Prozent nach oben geschnellt, erklärte die Bank.

Ein weiterer Gesetzesvorschlag aus Europa zielt direkt darauf ab Chinas Dominanz anzugehen, die sich auch auf die Verarbeitung von Lithium und anderen für erneuerbare Energietechnik wichtigen Mineralien erstreckt. Europa möchte mit dem Gesetz heimische Produktion, Verarbeitung und Recycling solcher Rohstoffe beschleunigen. Die Art und Weise, wie Europa in übermäßiger Abhängigkeit von russischem Öl und Gas in eine Energiekrise geschlittert ist, hat zweifellos dazu beigetragen, hier fokussierter vorzugehen.


 Nutznießer könnten Mexiko und Vietnam werden 

"Lithium und Seltene Erden werden bald wichtiger sein als Öl und Gas", sagte EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen vergangene Woche und wies darauf hin, dass China fast 90 Prozent der Seltenen Erden und 60 Prozent des Lithiums verarbeitet.

Die USA haben ähnliche Schritte bereits unternommen. Ein im August verabschiedetes Gesundheits-, Klima- und Steuergesetz bietet Anreize für eine heimische Produktion etwa von Batterien und Solarzellen. Washington setzt auch auf Anreize, die Produktion in den Sektoren Halbleiter und Biotechnologie zu verlagern.

Derartige Maßnahmen werden Jahre brauchen, bis sie Erfolge zeitigen. Die Hoffnung auf eine umfassende Verlagerung von Produktionsarbeitsplätzen zurück in den Westen ist gleichwohl unrealistisch. Die großen Nutznießer dürften wahrscheinlich als freundlich eingestufte Länder wie Vietnam und Mexiko sein - vor allem solche, die bereits Freihandelsabkommen mit den USA oder der EU haben. Die rasante Globalisierung der vergangenen Jahrzehnte insgesamt dürfte aber wohl eine Pause einlegen. Unternehmen, Verbraucher und Regierungen werden dadurch ein gewisses Maß an Zuverlässigkeit und Seelenfrieden gewinnen - aber sie müssen auch bereit sein dafür zu zahlen.

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September 20, 2022 04:19 ET (08:19 GMT)