Von Adam Clark

BARCELONA (Dow Jones)--Die Europäische Union strebt einen Konsens zur Regulierung der künstlichen Intelligenz (KI) an, und das könnte ausnahmsweise eine gute Nachricht für große US-Technologieunternehmen sein.

Ein Entwurf des von der EU vorgeschlagenen KI-Gesetzes macht seit 2021 die Runde. Nach langem Hin und Her müssen sich die EU-Vertreter bis zum 6. Dezember auf eine Regelung einigen. Wenn das Gesetz in seiner jetzigen Form bestehen bleibt, sollte dies Tech-Investoren ermutigen, denn Microsoft, Google und Amazon.com dürften die großen Gewinner sein: Die Gesetzgebung wird die KI-Entwicklung nicht aufhalten, aber sie erlegt ihr eine regulatorische Belastung auf, die letztlich deren Dominanz zementieren könnte.


   Warum ist das EU-KI-Gesetz so wichtig? 

Das KI-Gesetz der EU wird der weltweit erste umfassende Rechtsrahmen für diesen Sektor sein. Die US-Regierung hat zwar eine Durchführungsverordnung zu KI erlassen, aber es ist unklar, wie diese durchgesetzt werden soll. Im Gegensatz dazu sieht das EU-Gesetz mögliche Bußgelder auf der Grundlage des weltweiten Umsatzes vor.


   Was bedeutet das für die großen US-Technologiekonzerne? 

In Anbetracht der Schwierigkeiten, den Zugang zu KI-Modellen zu kontrollieren, werden Microsoft, Google und Amazon ihren Ansatz wahrscheinlich an die Anforderungen der EU anpassen müssen. Der so genannte Brüssel-Effekt führt häufig dazu, dass die EU-Vorschriften zum geltenden internationalen Standard werden. US-Tech-Unternehmen haben beispielsweise mehrere Jahre damit verbracht, herauszufinden, wie sie sich an die strenge Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) der EU anpassen können.

Die EU steht den amerikanischen Technologiegiganten meist ablehnend gegenüber. In den vergangenen Jahren hat sie Bußgelder in Milliardenhöhe gegen sie verhängt und gleichzeitig weitreichende Gesetze für die digitalen Märkte verabschiedet.

Anstatt auf die Forderungen einiger Wissenschaftler und KI-Untergangspropheten zu hören, die Entwicklung der KI zu stoppen, schlägt der aktuelle Gesetzesentwurf vor, sie durch die Einführung einer gestaffelten Skala von Anforderungen zu regulieren. Das gibt den derzeitigen KI-Vorreitern die Möglichkeit, ihre Innovationen fortzusetzen, wird aber wahrscheinlich zusätzliche Kosten verursachen, die für Start-ups schwieriger zu bewältigen sein könnten.

Der vom Europäischen Parlament unterstützte Entwurf des KI-Gesetzes sieht eine höhere Regulierungslast für die kommende Generation von Foundation Models vor - also der leistungsfähigsten KI-Systeme, die an verschiedene Aufgaben angepasst werden können (generative KI).

Dazu gehören wahrscheinlich künftige Versionen von OpenAIs GPT, das von Microsoft unterstützt wird, sowie Modelle von Google und Meta Platforms sowie das US-Start-up Anthropic, das von Google und Amazon unterstützt wird.

Das KI-Gesetz würde die Frage aufwerfen, ob diese Modelle systemische Risiken darstellen. Diejenigen, bei denen dies der Fall ist, würden einer verstärkten Aufsicht, Transparenz und Dokumentationspflicht unterliegen.


   Der Knackpunkt 

Frankreich, Deutschland und Italien haben laut Axel Voss, Mitglied des Europäischen Parlaments, Einwände gegen die vorgeschlagene Regulierung der Foundation Models. Stattdessen plädieren sie dafür, die Regulierung auf spezifische KI-Anwendungsfälle wie Chatbots oder Bildgeneratoren zu beschränken, während die sogenannten Foundation Models sich durch Verhaltenskodizes selbst regulieren sollen.

Wie die Verhandlungen ausgehen werden, könnte sich in der kommenden Woche zeigen.

In Frankreich ist Mistral AI beheimatet, ein KI-Start-up-Unternehmen, das laut PitchBook 113 Millionen US-Dollar eingesammelt hat. In Deutschland gibt es Aleph Alpha, das 654 Millionen Dollar eingeworben hat. Beide Unternehmen entwickeln KI-Modelle, die denen von OpenAI ähneln.

Europäische Risikokapitalgeber sind besorgt, dass die KI-Regulierung, die auf Foundation Models abzielt, diese Unternehmen gegenüber ihren größeren US-Wettbewerbern benachteiligen könnte.

"Eine risikobasierte Regulierung der Foundation Models anstatt der Anwendungsebene [typischerweise Apps wie ChatGPT] geht an der Sache vorbei. Alle Algorithmen können von böswilligen Akteuren missbraucht werden - es ist die Art und Weise, wie die Modelle angewendet werden, die das Risiko mit sich bringt", sagte Ekaterina Almasque, General Partner bei der europäischen Risikokapitalfirma OpenOcean, gegenüber Barron's.

Voss, der den aktuellen Vorschlag des Europäischen Parlaments unterstützt, sagte Barron's, dass die EU-Parlamentsmitglieder an ihrer Position festhalten, dass Foundation Models reguliert werden sollten.

Die EU-Parteien werden sich am 6. Dezember treffen, um einen Kompromiss zu finden. Obwohl es keine feste Frist gibt, würde eine fehlende Einigung die Verabschiedung des Gesetzes vor den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2024 erschweren.


   Big Tech dürfte davon profitieren 

Große Technologieunternehmen könnten ihre Finanzstärke nutzen, um die Anforderungen des Gesetzesentwurfs zu erfüllen - was bedeuten könnte, dass sie für die Lizenzierung urheberrechtlich geschützter Daten zahlen und Personal einstellen müssen, um die Systeme zu testen und die Einhaltung der Vorschriften zu überwachen.

Dies verschafft ihnen einen Vorteil gegenüber Herausforderern, die bereits hohe Kosten für die Entwicklung von KI-Modellen der nächsten Generation tragen müssen, noch bevor sie die neuen Anforderungen erfüllen. Nach Angaben des OpenAI-Mitbegründers Sam Altman hat das Training von GPT-4 mehr als 100 Millionen Dollar gekostet - ein Betrag, der für viele unerschwinglich sein dürfte. Microsoft hat 13 Milliarden Dollar in OpenAI investiert. Nach Angaben des Wall Street Journal plant das Unternehmen den Verkauf von Mitarbeiteraktien mit einer Bewertung von 80 bis 90 Milliarden Dollar.

Angesichts ihres Vorsprungs, ihrer enormen Ressourcen und ihres Besitzes der drei größten öffentlichen Clouds sind Amazon, Microsoft und Alphabet heute die etablierten KI-Anbieter. Dieser Status könnte durch eine neue Verordnung gewahrt werden.

Microsoft lehnte es ab, den EU-Gesetzentwurf zu kommentieren. Google, OpenAI und Anthropic reagierten nicht auf Bitten um Stellungnahme. Ein Amazon-Sprecher sagte Barron's, dass das Unternehmen die EU-Verordnung unterstütze, es aber wichtig sei, dass sie die risikoarme Nutzung von KI nicht einschränke.


   Meta geht bei KI bisher anderen Weg 

Interessanterweise hat sich Meta Platforms in Sachen KI von seinen Big-Tech-Rivalen abgesetzt. Der Social-Media-Pionier verfügt nicht über eine eigene Cloud und hat sein eigenes KI-Modell auf Open-Source-Basis bereitgestellt.

Im Juni unterzeichnete Metas leitender KI-Wissenschaftler, Yann LeCun, einen offenen Brief, in dem er argumentierte, dass der derzeitige Ansatz der EU zur KI-Regulierung unverhältnismäßige Kosten für potenzielle Wettbewerber verursachen würde. LeCun hat wiederholt davor gewarnt, dass die Zukunft der KI von einigen wenigen mächtigen Unternehmen dominiert werden könnte.

Meta lehnte es ab, sich zu den EU-Vorschriften zu äußern.

Bislang wurde der Wettlauf um die KI weitgehend durch Talent und Infrastruktur bestimmt, was Microsoft, Google und Amazon einen gewaltigen Vorsprung verschafft hat. Die Regulierung könnte ihren Vorsprung noch vergrößern. Das Dilemma für die EU - und für alle KI-Regulierungsbehörden - besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen Risiken und Wettbewerb zu finden. Dieser Kampf hat wahrscheinlich gerade erst begonnen.

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December 01, 2023 03:42 ET (08:42 GMT)