(neu: mehr Aussagen aus der Telefonkonferenz, mehr Hintergrund, Aktienkurs aktualisiert, Analystenstimme)

DARMSTADT (dpa-AFX) - Die Corona-Krise bereitet auch dem Pharma- und Chemiekonzern Merck KGaA Probleme. Nach einem starken Jahresstart verlangsamte sich das Wachstum im zweiten Quartal deutlich. So bekam Merck etwa ein schwächeres Geschäft mit Fruchtbarkeitsbehandlungen sowie eine maue Nachfrage der Auto- und Kosmetikbranche zu spüren. Dafür zahlten sich die Übernahmen in den USA aus. Konzernchef Stefan Oschmann zeigte sich gleichwohl etwas zuversichtlicher und schloss nun einen Rückgang des Betriebsgewinns im Jahresverlauf aus. "Wir legen die Latte etwas höher", sagte er am Donnerstag in Darmstadt.

Während die Corona-Pandemie in China ihren Höhepunkt überschritten habe, sei eine wirtschaftliche Erholung in den USA und Europa im zweiten Halbjahr zu erwarten, sagte Oschmann. Dabei rechnet er mit lokalen Anstiegen der Infektionen, aber nicht mit großflächigen Lockdowns, die Merck im April und Mai hart trafen. Das heiße nicht, dass nun alles wieder gut sei, betonte Oschmann. "Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei."

Im Juni sei in vielen Geschäften bei Merck aber bereits wieder die Erholung im Gange gewesen. In einigen Geschäftsbereichen hätten sich die Folgen der Pandemie nicht so stark ausgewirkt wie befürchtet. "Wir haben uns in einem sehr schwierigen Umfeld gut geschlagen."

Die Börsianer konnten die Aussagen indes am Donnerstag nur wenig überzeugen. Nach einem nur geringfügig leichteren Start waren die Aktien im Tagesverlauf immer weiter abgerutscht. Im Tief waren sie mit einem Abschlag von fast drei Prozent gehandelt worden, am späten Nachmittag standen die Papiere erholt im moderaten Plus. Warburg-Analyst Ulrich Huwald sah das zweite Quartal als leicht unter den Erwartungen an - wegen der Materialsparte.

Im zweiten Quartal stieg der Umsatz bei Merck im Vergleich zum Vorjahr um 3,7 Prozent auf gut 4,1 Milliarden Euro, was vor allem den Übernahmen des US-Halbleiterzulieferers Versum Materials und des kalifornischen Materialspezialisten Intermolecular geschuldet war. Aus eigener Kraft ging der Erlös um 2,5 Prozent zurück. Mit den Zukäufen will sich Merck auf die Elektronikindustrie ausrichten, wo Oschmann im Trend zu vernetzten Industrie und immer leistungsfähigeren Prozessoren Chancen sieht. Der um Sondereffekte bereinigte Betriebsgewinn (Ebitda) sank von April bis Juni um 5,7 Prozent auf gut eine Milliarde Euro.

Die Corona-Krise bekam der Konzern vor allem bei Arzneien mit einem Umsatzrückgang von fast elf Prozent zu spüren. Einen deutlichen Knick gab es bei Fruchtbarkeitstherapien, da viele Kliniken geschlossen blieben. Neue Mittel gegen Multiple Sklerose (MS) und Krebs konnten zulegen, wenngleich ihre Entwicklung hinter den ursprünglichen Planungen aus der Zeit vor der Krise zurückbleibt, wie Oschmann einräumte.

Die MS-Tablette Mavenclad - ein wichtiger Hoffnungsträger - konnte zwar organisch um fast 36 Prozent zulegen, doch die Verschreibungen waren im Quartal zeitweise ins Stottern geraten. Seit Juni verspüre der Konzern aber auch hier wieder Aufwind, hieß es. Auch Diabetes-Arzneien blieben gefragt. Merck hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2022 mit neuen Medikamenten zwei Milliarden Euro umsetzen - daran will Oschmann auch trotz Corona-Krise nicht rütteln.

Die Laborsparte konnte abermals zulegen, vor allem durch florierende Geschäfte rund um Produkte und Dienstleistungen für die Arzneiherstellung. Dabei habe der Konzern auch von einer steigenden Nachfrage im Zusammenhang mit der Forschung an einem Corona-Impfstoff profitiert. Das Unternehmen arbeite inzwischen mit mehr als 45 Impfstoff-Projekten zusammen. Im Geschäft mit akademischen Kunden musste Merck jedoch abermals einen Rückgang verkraften, weil viele Forschungseinrichtungen geschlossen blieben.

Die Spezialmaterialien konnten ihre Erlöse dank der Zukäufe in den USA um fast 40 Prozent steigern, alleine betrachtet sank der Umsatz kräftig. Hier war vor allem die schwache Nachfrage aus der Auto- und Kosmetikindustrie zu spüren. Merck stellt Pigmente etwa für Auto- und Nagellacke her und leidet unter den mauen Geschäften seiner Kunden. Merck hatte schon vor der Krise den Bereich kurzzeitig ins Schaufenster gestellt, dann die Verkaufspläne aber verworfen. "Wir glauben, dass der Markt wieder zurückkommt", betonte Oschmann.

Zudem steht in der Sparte bereits seit längerem das Geschäft mit Flüssigkristallen etwa für Smartphone-Displays unter Druck durch die Konkurrenz aus Asien. Das Tief bei den Halbleitern, das Merck noch Mitte vergangenen Jahres zu spüren bekommen hatte, sieht die Konzernführung indes klar überwunden. Auch ohne die Zukäufe habe der Bereich um mehr als zehn Prozent zulegen können, sagte Oschmann. Damit sieht der Merck-Lenker den neuen Fokus der Sparte auf die Halbleitermärkte und die Elektroindustrie einmal mehr bestätigt. Die Integration von Versum laufe derweil nach Plan. Der Konzern will bereits in diesem Jahr 25 Millionen Euro an Synergien realisieren.

Merck hatte schon wegen der Pandemie die Prognosen gekürzt. Nun erwartet das Management einen Betriebsgewinn (bereinigtes Ebitda) von 4,45 bis 4,85 Milliarden Euro. Nach rund 4,4 Milliarden im Vorjahr werden Rückgänge also nicht mehr erwartet. Den Umsatz sieht Merck 2020 bei bis zu 17,7 Milliarden Euro nach 16,2 Milliarden im Vorjahr./tav/als/eas/he