DARMSTADT (dpa-AFX) - Der Pharma- und Spezialchemiekonzern Merck KGaA macht derzeit mit seiner Zukaufslust Schlagzeilen. Der Konzern versucht den US-Halbleiterzulieferer Versum Materials gegen dessen Willen zu übernehmen. Der Ausgang des Vorhabens ist zurzeit noch offen. Was los ist beim Unternehmen, was Analysten sagen und was die Aktie macht:

DAS IST LOS BEIM UNTERNEHMEN:

Merck kommt nach einem Ergebnisrückgang im Übergangsjahr 2018 langsam wieder in Tritt. 2019 will der Konzern bei allen wichtigen Kennziffern wieder zulegen. Dafür stellen die Darmstädter derzeit die Weichen. Die Pharmasparte, die unter dem Erlösrückgang bei ihren wichtigsten Umsatzbringern ächzt, hatte zuletzt einige Erfolge zu vermelden, wie eine Forschungsallianz mit GlaxoSmithKline. Bei Erfolg winken dem Unternehmen Millionenerträge.

Das Laborgeschäft hat sich ohnehin als Ertragsperle bewährt, seit der Konzern den Bereich im Jahr 2015 mit der Übernahme des US-Unternehmens Sigma-Aldrich für die Rekordsumme von 17 Milliarden Dollar stärkte. Ist Merck also auf einem guten Weg? Die Zeichen könnten schlechter stehen. Doch noch offen ist das Schicksal der Spezialchemie.

Ausgerechnet in seiner langjährigen Domäne, dem Geschäft mit Flüssigkristallen, bekam der Konzern in den vergangenen Quartalen ernstzunehmende Konkurrenz aus Asien. Die Konzernführung um Stefan Oschmann reagierte erstaunlich schnell und krempelt den Bereich nun um. Oschmann will die Sparte stärker auf die Halbleiterindustrie und das Geschäft mit Elektromaterialien ausrichten.

Das führt zu einem aufsehenerregenden Manöver. Denn es ist länger her, dass sich ein deutsches Dax-Unternehmen in den USA an einer feindlichen Übernahme versuchte. Quasi vom Traualtar weg will der Konzern den US-Halbleiterzulieferer Versum Materials zerren - denn die Braut ist bereits dem US-Spezialchemiekonzern Entegris versprochen. Die beiden US-Firmen hatten sich im Januar auf eine Übernahme geeinigt, der reine Aktiendeal ist rund 4 Milliarden Dollar wert. Mercks Angebot - eine reine Barofferte - liegt bei rund 6 Milliarden Dollar. Damit wäre Versum der teuerste Zukauf für Merck seit Sigma-Aldrich.

Die Versum-Führung wurde kalt erwischt und wies die Avancen prompt zurück. Mercks Attacke aus dem Hinterhalt hat einige Fragen aufgeworfen. Etwa, weshalb Oschmann mit seinem Angebot erst so spät herausrückte. Und ob die Lage im zuletzt schwächelnden Geschäft mit Spezialmaterialien wirklich nicht anders zu retten sei. Merck will zu spät von den Fusionsplänen der beiden US-Unternehmen erfahren haben, weil die Amerikaner ihr Süppchen hinter verschlossenen Türen gekocht hätten.

Auch wenn Mercks Vorgehen auf den ersten Blick überstürzt gewirkt haben mag: Oschmann und sein Management könnten nun durchkommen. Nach dem Appell der Darmstädter an die Versum-Aktionäre, dem Deal mit Entegris nicht zuzustimmen, lenkte das Management des Halbleiterzulieferers jüngst ein. Die Amerikaner empfehlen vorerst zwar weiter das Entegris-Angebot, sind aber zu Gesprächen mit den Deutschen bereit und lassen sich nun sogar in die Bücher schauen. Die Prüfung des Unternehmenswerts (Due Dilligence) läuft also an, doch dürfte der Deal für Merck noch teurer werden. Laut Versum-Management hat Oschmann bereits signalisiert, dass er bei seinem Angebot nachbessern könnte.

Vorerst läuft das Angebot von 48 Dollar an die Aktionäre weiter. Das Ende der Angebotsfrist ist derzeit auf den 7. Juni gesetzt, Verlängerung vorbehalten. An der US-Börse ist der Versum-Kurs zuletzt über das Merck-Angebot gestiegen. Alles deutet also darauf hin, dass auch die Anleger auf eine Anhebung der Offerte spekulieren.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Grundsätzlich bewerten die meisten Analysten die geplante Übernahme von Versum positiv. Der Zukauf dürfte die Margen des Unternehmens verbessern, befand etwa Warburg-Analyst Ulrich Huwald. Richard Vosser von der US-Bank JPMorgan hatte bereits vor einigen Wochen gewarnt, dass Mercks Angebot keine 100-prozentige Erfolgsgarantie bietet. Da es sich um einen feindlichen Übernahmeversuch handele, wäre er nicht überrascht, wenn Merck den Preis mindestens einmal anheben müsste, um einen Erfolg der Transaktion zu sichern, schrieb Vosser in einer Studie Ende Februar. Dabei wäre die Übernahme schon zum jetzigen Angebotspreis alles andere als ein Schnäppchen, findet Warburg-Analyst Huwald.

DZ-Bank-Analyst Peter Spengler befürwortet den Zukauf nur, sofern Merck den Preis nicht erhöhen muss. 2019 rechnet er nun mit einer moderaten Gewinnentwicklung.

Unterdessen schauen die Experten auch auf Mercks eigene Kursentwicklung an der Börse: Nach dem Kursanstieg der Merck-Papiere seien diese inzwischen nicht mehr sonderlich günstig zu haben, schrieb Bernstein-Experte Wimal Kapadia. Von den im dpa-AFX Analyser erfassten Branchenkennern empfehlen derzeit dennoch sieben, das Papier zu kaufen. Die Mehrheit votiert indes für "Halten", die einzige Verkaufsempfehlung im Analyser kommt von Barclays.

DAS MACHT DIE AKTIE:

An der Börse hatte das Übernahmevorhaben zunächst alles andere als Begeisterung ausgelöst. Die Aktie verlor am Tag der Ankündigung durch Merck zunächst deutlich, inzwischen ist diese Kursdelle aber mehr als ausgebügelt. Die Papiere notierten zuletzt mit mehr als 100 Euro mittlerweile so hoch wie seit September 2017 nicht mehr. Dies dürfte wohl auch damit zu tun haben, dass die Börse Merck inzwischen als Gewinner aus dem Deal hervorgehen sieht. Zum im Mai 2017 erreichten Rekordhoch bei 115,20 Euro fehlt indes noch ein gutes Stück.

Merck hatte 2015 mit der Übernahme von Sigma-Aldrich seinen Kurs in neue Höhen katapultiert. Der vom langjährigen Konzernchef Karl-Ludwig Kley bereits zuvor mit Zukäufen eingeläutete Umbau kam gut an, ebenso wie der von Nachfolger Oschmann forcierte Fokus auf neuartige Technologien im Pharmageschäft und Wachtumsmärkte wie China.

Doch nach dem Rekordhoch 2017 wendete sich an der Börse das Blatt, die Anleger zeigten dem Papier zunehmend die kalte Schulter. Ausschlaggebend waren die Schwäche im Flüssigkristallgeschäft und steigende Forschungskosten, weswegen Merck die Aktionäre auf ein schwieriges Jahr einstellte. 2018 wurde für den Konzern im Tagesgeschäft sogar noch holpriger - was die Anleger aber offenbar bereits mit Aussicht auf die für 2019 prophezeite Besserung verziehen und wieder Merck-Aktien ins Depot nahmen.

Seit dem Zwischentief im März 2018 bei 74,54 Euro hat das Papier bis dato um mehr als ein Drittel zugelegt. Damit hat die Merck-Aktie auch den europäischen Pharmasektor ausgestochen, der im selben Zeitraum lediglich knapp ein Fünftel hinzugewann./tav/stw/fba