DARMSTADT (dpa-AFX) - Die breite Aufstellung mit Pharma, Laborausrüstung und Spezialmaterialien ist dem Darmstädter Merck-Konzern in der Corona-Krise bisher zugute gekommen. Und auch an der Börse zeigt sich der Darmstädter Dax-Konzern derzeit in Topform. Zur Lage des Unternehmens, was die Analysten sagen und was die Aktie macht.

DIE LAGE DES UNTERNEHMENS:

Seit Jahren verdankt Merck KGaA das Wachstum der hauseigenen Laborsparte, auch weil der Konzern den Bereich 2015 mit der Übernahme des US-Unternehmens Sigma-Aldrich gestärkt hatte. Es war mit rund 17 Milliarden Dollar der bisher teuerste Zukauf in der Firmengeschichte. In der Corona-Pandemie profitierte das Laborgeschäft zuletzt auch von einer steigenden Nachfrage aus Forschungs-Projekten für einen Impfstoff. Dennoch bekommt Merck in einigen anderen Teilbereichen die Covid-19-Krise unsanft zu spüren.

In der Pharmasparte etwa kam das wichtige Geschäft mit Fruchtbarkeitsbehandlungen zeitweise ins Stottern, weil viele Paare ihren Kinderwunsch vorerst zurückstellen. Auch von den ursprünglichen Zielen für die kleinste Sparte der Spezialmaterialien musste sich Merck verabschieden. Der Bereich sollte nach einem längerem Durchhänger wieder zurück in die Wachstumsspur finden. Doch Corona bremste das Vorhaben aus. Für 2020 erwartet der Konzern für den Bereich Rückgänge bei Umsatz und Ergebnis.

So leidet das unter dem Dach der Sparte angesiedelte Pigmentgeschäft unter der schwachen Nachfrage vor allem aus der Auto- und Kosmetikindustrie. Merck kämpft in der Sparte Spezialmaterialien schon länger wegen der Konkurrenz aus Asien mit Umsatzrückgängen im Geschäft mit Flüssigkristallen, die etwa für Displays und Smartphones verwendet werden.

Die Sparte fokussiert sich deshalb inzwischen auf die mehr Wachstum versprechende Halbleiterbranche. Im vergangenen Jahr übernahm Merck dafür den US-Halbleiterzulieferer Versum Materials und den kalifornischen Materialspezialisten Intermolecular. Das Kalkül ging bislang auf: Die Zukäufe sind ein wichtiger Wachstumstreiber im Halbleitergeschäft.

Nachdem Merck zum Jahrestart noch der Corona-Krise getrotzt hatte, wurden die Spuren der Pandemie im zweiten Quartal sichtbar. Dennoch sprach Konzern-Chef Stefan Oschmann zur Halbjahresbilanz bereits davon, dass sich das Geschäft im Juni in vielen Bereichen belebt habe. Der Vorstand hob daher seine Jahresziele wieder an, die er wegen der Corona-Unsicherheit zuvor gedämpft hatte. Der zuvor befürchtete Rückgang beim Betriebsergebnis dürfte damit ad acta gelegt sein.

Zudem hat der Vorstand signalisiert, seine Prognose zur nächsten Quartalsbilanz noch einmal zu überarbeiten. Der Zwischenbericht steht am Donnerstag (12. November) an. Der Grund: Merck löst nach einem gewonnenen Patentstreit mit dem US-Konzern Biogen Rückstellungen in Höhe von 365 Millionen Euro auf.

Die Zeit von Konzernchef Oschmann an der Konzernspitze neigt sich unterdessen dem Ende zu. Seit einigen Wochen ist bekannt, dass der Manager Ende April 2021 abtritt und das Zepter an die derzeitige Pharmachefin Belén Garijo übergibt.

DAS MACHT DIE AKTIE (Kurse Stand 10. November 9.30 Uhr):

Die Anteile des Pharma- und Spezialchemiekonzerns haben es trotz Corona-Pandemie in diesem Jahr zum Rekordhoch geschafft. Damit bringen es die Darmstädter inzwischen zu einer Marktkapitalisierung von rund 56 Milliarden Euro und übertrumpfen weitaus umsatzstärkere Branchengrößen wie BASF und Bayer - die Ludwigshafener brachten zuletzt knapp 52 Milliarden Euro auf die Börsenwaage, die Leverkusener gar nur 45 Milliarden Euro.

Zu verdanken ist der Siegeszug der Merck-Aktie auch der langjährigen Strategie des Vorstands, den Konzern in allen drei Sparten auf moderne Technologien mit hoher Wachstumsperspektive auszurichten. Dies kommt Merck an der Börse auch in der Covid-19-Pandemie zugute - die Investoren honorieren den weiterhin guten Lauf im Laborgeschäft, die verbesserten Perspektiven in der Halbleitersparte, die gut gefüllte Pharmapipeline und Mercks Engagement als Ausrüster bei der Suche nach einem Corona-Impfstoff.

Kurzzeitig hatte Merck vor ein paar Jahren an der Börse zwar wegen der Probleme im Flüssigkristallgeschäft einen Durchhänger. Doch Oschmanns schnelle Reaktion mit einem radikalen Umbau der Sparte und deren Neuausrichtung sorgten für den Wiederaufschwung der Aktie.

Zwar war der Corona-Crash auch für das Merck-Papier eine Zäsur, doch es hat den Schock längst wieder verdaut: Vom Tief im März bei rund 76 Euro ging es bis auf 140 Euro am Montagmittag und damit dem bisher höchsten Stand der 25-jährigen Börsengeschichte nach oben. Das Niveau konnte der Kurs nicht ganz halten und lag zuletzt wieder bei rund 130 Euro.

Damit kostet das Papier aber immer noch rund ein Viertel mehr als Ende 2019. Höhere Gewinne können im Dax im bisherigen Jahresverlauf nur Delivery Hero (40 Prozent), Deutsche Bank (32 Prozent) und Infineon (31 Prozent) aufweisen.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Auch nach dem starken Lauf der Aktie glauben viele Experten an weitere Kursgewinne. So stufen elf der 21 bei Bloomberg erfassten Experten, die seit der Vorlage der Quartalszahlen im Sommer Einschätzungen abgegeben haben, nach wie vor positiv ein und nur drei raten zum Verkauf. Das durchschnittliche Kursziel liegt mit rund 130 Euro allerdings etwas unter dem aktuellen Niveau.

Am optimistischsten ist Commerzbank-Experte Daniel Wendorff, der seine Kaufempfehlung am Montag bestätigte und das Kursziel um 60 Euro auf 167 Euro anhob. So viel hat kein anderer Analyst aus dem Zettel. Wendorff begründete dies unter anderen mit besseren Aussichten für das laufende Jahr. Er geht davon aus, dass bei der Vorlage der Zahlen nach neun Monaten die Prognosespanne auf die obere Hälfte eingeengt wird.

Zu den Pessimisten zählt dagegen Goldman-Sachs-Analyst Krishna Chaitanya Arikatla. Er zählt zu den drei Experten, die das Papier mit einem Verkaufen-Votum versehen und hat zudem mit 102 Euro eines der niedrigsten Kursziele. Seiner Einschätzung nach verdankt das Merck-Papier seine jüngste Kursstärke vor allem den guten Wachstumsperspektiven in der Laborsparte.

Auch Arikatla zweifelt diese Aussichten nicht an, hält das Papier aber generell für zu hoch bewertet. Viele andere Branchenkenner teilen die positiven Aussichten für das Laborsegment. Die Sparte bleibe ein Kronjuwel im Merck-Porfolio, formulierte es unlängst etwa Peter Verdult von der US-Bank Citigroup. Im dritten Quartal, so vermutet Falko Friedrichs von der Deutschen Bank, dürfte Merck vor allem dank der Laborsparte stark abgeschnitten haben.

Kepler-Experte David Evans traut Merck sogar ein deutlich besseres Zahlenwerk zu als am Markt erwartet. Auch Analystin Emily Field von der britischen Barclays-Bank ist inzwischen zuversichtlicher. Sie rechnet für die Pharmasparte und das Spezialmaterialiengeschäft mittlerweile mit einer deutlich besseren Entwicklung als von zuvor ihr gedacht, schrieb sie Mitte Oktober.

Die Expertin, die lange skeptisch war und oft ein Haar in der Suppe bei Merck fand, strich damals ihr Verkaufsvotum für den Titel und ist seitdem neutral eingestellt. Zudem erhöhte sie das Kursziel von 92 Euro auf 125 Euro. Die DZ Bank lobte zuletzt Mercks Fokussierung: "Das erfolgreiche Portfolio-Management und die strategische Konzernneuausrichtung von 2016 bis 2022 zahlen sich bisher aus", schrieb Analyst Peter Spengler./tav/stw/zb/fba